Samstag, 5. Juli 2014
Bonetti in Bornheim
Es muss etliche Jahre her sein, dass Andy Bonetti in Bornheim gelesen hat. Auf Einladung des Bürgermeisters hat er im Gemeindesaal einige Kapitel aus seiner erfolgreichen Pralinski-Biographie vorgetragen, nun spaziert er frohen Mutes durch die Straßen. Er trägt seinen schneeweißen Reiseanzug, eine karmesinrote Krawatte und einen Panamahut, der sein gesalbtes Haupt gegen die Sonne schützt. Die Passanten grüßen ihn artig und ältere Herren lüpfen sogar lächelnd ihre Hüte.
Bonetti betritt ein Kaffeehaus und setzt sich an einen freien Tisch am Fenster. Sogleich fliegt eine Kellnerin heran und fragt nach seinen Wünschen. Er bestellt eine große Tasse Milchkaffee und fragt nach der Speisekarte. Während die Kellnerin davon eilt, um seinen Wunsch zu erfüllen, tritt der Kaffeehausbesitzer an seinen Tisch und überreicht ihm die Speisekarte. Er empfiehlt die belgischen Waffeln mit Vanilleeis. Bonetti nickt zufrieden, möchte aber zu den Waffeln und dem Eis noch ein Schälchen Erdbeeren. Der Besitzer lächelt erfreut und geht persönlich in die Küche.
Während Bonetti auf den Kaffee wartet, kommt ein kleines Mädchen mit Zöpfen an seinen Tisch und schaut ihn an.
„Na, Kleine, wer bist du denn?“
Sie sagt nichts und schaut ihn weiter an.
Eine junge Frau kommt zögernd näher.
„Das ist Susi“, sagt sie. „Sie ist jetzt sieben Jahre alt.“
„Und?“
„Sie haben sie nach Ihrer letzten Lesung gezeugt, Mister Bonetti. Ich bin so stolz auf das Kind.“
„Oh. Wirklich?“
Ein Mann mit einer grünen Schürze kommt näher, während die Kellnerin den Kaffee serviert.
„Mister Bonetti“, sagt er, „ich habe Ihren Rat befolgt. Das ist die Rosa foetida bonetti.“ Er hält ihm einen Strauß gelber Rosen vor die Nase, die einen unangenehmen Geruch verströmen.
„Großartig“, sagt Bonetti und riecht an seinem parfümierten Seidentuch, das er hastig aus der Brusttasche gezogen hat.
Alle Gespräche im Kaffeehaus sind längst verstummt, die Blicke der Gäste sind auf Andy Bonetti gerichtet.
Endlich kommen die belgischen Waffeln mit Eis und Erdbeeren.
„Voilá, Mister Bonetti. Wir haben uns erlaubt, ihre Kreation als ‚Surprise à la Bonetti‘ auf die Speisekarte zu nehmen.“
Bonetti beginnt zu essen. Alle schauen ihm gespannt zu. Vor dem großen Fenster des Kaffeehauses hat sich inzwischen eine riesige Menschenmenge versammelt. Stumm zeigen sich die Leute den großen Dichter gegenseitig mit dem Zeigefinger. Hunderte Smartphones werden in die Höhe gehalten, um die Szene für die Ewigkeit festzuhalten. Die Polizei versucht, den Stau aufzulösen, der sich durch die Gaffer vor dem Kaffeehaus gebildet hat.
Aus dem Hintergrund hört Bonetti ein Hämmern. Es ist ein Handwerker, der gerade ein Messingschild mit der Aufschrift „Hier hat der Schriftsteller Andy Bonetti am 3. Juli 2014 gespeist“ an der Wand des Kaffeehauses befestigt.
Es ist nicht leicht, ein berühmter Künstler zu sein. Die Menschen machen sich keine Vorstellung von diesem Leben.
Nachtrag: Die Kellnerin des Kaffeehauses war übrigens eine Studentin an der Universität der Künste in Berlin und verdiente sich zu diesem Zeitpunkt in ihrer alten Heimat gerade ein wenig Geld zur Fortsetzung ihres Studiums. Jahre später hielt sie die geschilderte Szene in einem großflächigen Gemälde fest. „Bonetti in Bornheim“ hängt heute im Pariser Louvre und gilt als eines der großen Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst. Es soll den berühmten amerikanischen Regisseur David Lynch zu seinem Opus magnum „The Bonetti Mysteries“ inspiriert haben. In diesem Film hat Andy Bonetti zwei Cameo-Auftritte: Wir sehen ihn zunächst auf einer Flugreise als Sitznachbarn des Hauptdarstellers, in seiner Hand ein Glas Bourbon mit Eis (nach 7 Minuten), später sehen wir seine markante Silhouette hinter der Milchglasscheibe einer Tür mit der Aufschrift „Registratur für Geburten und Sterbefälle“ (nach 144 Minuten).
Leila K – Ca Plane Pour Moi. http://www.youtube.com/watch?v=n203PynJ5SY
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