Freitag, 20. Juni 2014
Die Lesung
Eigentlich ist es immer das Gleiche, nur der Ort ändert sich. Diesmal ist es also Marburg und das „Anti-Quariat“. Bereits beim Betreten der mit staubiger Luft gefüllten Geschäftsräume sinkt mein Mut und ich weiß, dass mich heute wieder eine Demütigung erwartet. Eine Demütigung, die sich aus verschiedenen Quellen speist: Die unheimliche Stille, die fehlende Distanz zum Publikum, die Trostlosigkeit der Kulisse, die existenzielle Verlorenheit der Gastgeberin.
Die Kulisse: Altersdunkle Holzregale mit endlosen Reihen von Buchrücken, gefühlte zehntausend Bücher, die weder einer alphabetischen noch einer thematischen Ordnung folgend nebeneinander stehen, ein Resopaltisch mit dünnen Beinen, auf dem ein Stapel mit Exemplaren meines neuesten Romans „Liquid Memories“ liegt, und ein paar trostlose Topfpflanzen. Dazu knapp zwanzig Stühle verschiedenster Herkunft, die offenbar eigens für diesen Anlass herbei geschafft wurden. Für Andy Bonetti steht ein gepolsterter Stuhl bereit, ein zweiter Resopaltisch und ein Drittelliter Mineralwasser in einer bereits geöffneten Flasche nebst Glas.
Das Publikum: In der ersten Reihe sitzen nur die Gastgeberin Gisela Schmirgelberger-Jungmanova und ihre Zwillingsschwester Rosalinde. Dahinter drei junge Frauen mit kurzen, himbeerrot gefärbten Haaren und versteinerten Mienen, offenbar Studentinnen der Geisteswissenschaften. Dazu ein halbes Dutzend der unvermeidlichen Deutschlehrer, die mit chirurgischer Präzision jeden Satz in seine Einzelteile zerlegen und jede Bedeutung in ihr Gegenteil verkehren können. Schlimmstenfalls schreiben sie gerade selbst an einem Roman oder einem Lyrik-Bändchen. Ganz hinten einige Studenten und Zufallsbesucher, die angestrengt das Display ihres Smartphones bearbeiten. Insgesamt ein gutes Dutzend Leute.
Der Vortrag: Nach einigen dürren Worten der Einführung von Frau Schmirgelberger-Jungmanova beginne ich mit einem humoristischen Text über meine Verhaftung wegen öffentlicher Trunkenheit in Texas 1993, meiner Nacht im Gefängnis und der anschließenden Gerichtsverhandlung. Eisiges Schweigen. Es folgen einige Gedichte im schwungvollen Reimschema meiner rheinhessischen Heimat. In der letzten Reihe steht ein Mann auf und verlässt das Antiquariat. Jetzt komme ich zum ersten Höhepunkt meiner Lesung: Eine Satire auf die feministischen Bemühungen, die deutsche Sprache zu verändern. Die drei Studentinnen stehen gleichzeitig auf und verlassen geschlossen den Raum. Als ich meinen berühmten Text über Hamstergolf zu Gehör bringe, schüttelt ein bärtiger junger Mann mit Hornbrille aus der dritten Reihe den Kopf und geht ebenfalls – vielleicht ein Tierschützer oder Veganer. Ich mache mit einem unveröffentlichten Kapitel aus „Liquid Heaven“ weiter. Als ich einen Schluck Wasser trinke, nutzt eine Studienrätin, die ich auf Anfang Sechzig schätze, die kurze Pause, um mich zu fragen, ob die Protagonistin Rosine Fischel eine Jüdin wäre und ob die Szene in einem Kellerversteck auf das Leben von Anne Frank anspielen würde. Wut und Verachtung blitzen aus ihren Augen. Jetzt würde ich selbst gerne gehen – aber die Demütigung endet erst, nachdem man mit der Veranstalterin, ihrer verbissen schweigenden Schwester und zwei interessierten Zuhörern, die allerdings kein Buch von mir kaufen, noch ein Glas Wein in einem „Bistro“ getrunken hat.
Tic Tac Toe – Ich find dich Scheiße. http://www.youtube.com/watch?v=P7HyGa2YFg4
kommt mir bekannt vor. nur wuppertal statt marburg. schätze, die eisige stille ist international.
AntwortenLöschenEhrlich gesagt mache ich gar keine Lesungen - und ich besuche auch keine. Ich war auch noch nie in Marburg. Ich stelle es mir nur genauso vor, wie ich es beschrieben habe. Als Wissenschaftler habe ich früher eine Menge Vorträge in Tagungsstätten, Volkshochschulen, Rathäusern und Forschungsinstituten halten müssen. Das reicht für ein ganzes Leben.
AntwortenLöschenIhr Blog gefällt mir übrigens sehr gut.
Lesungen muss man schon mögen. Auf beiden Seiten des Tisches.
AntwortenLöschenIch war bisher nur auf einer und sehr enttäuscht, denn der Autor hat zwar einen herrlichen Schreibstil (und ich all seine Bücher im Schrank), kann aber nicht fesselnd oder humorvoll vorlesen und entpuppt sich im Dialog eher kaum wortgewandt.