Montag, 5. Mai 2014
Rabenstein und Greifenklau
„Ein Wirtshaus, ein Brauhaus, ein Gotteshaus, umgeben von einigen Bauernhöfen und Wohnhäusern. Der siebte Tag der Schöpfung. Das Helle!“ Diese handschriftlich notierten Zeilen finde ich auf der Rückseite eines Bierdeckels von „Held-Bräu“ in Oberailsfeld, den ich nach der Rückkehr aus Franken in der Innentasche meiner Jacke entdecke. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Zum Niederknien köstlich ist das Bier, mit dem die schöne Wirtstochter den durstigen Wandersmann labt. „Sanfter Blick aus hellen Augen – hier einheiraten!“ steht dazu in meinem Notizbuch. Die Einkehr in dieses Gasthaus ist der Höhepunkt einer herrlichen Wanderung. Von unserem Landgasthof in Langenloh, wo in einer winzigen, kaum gästeklogroßen Kapelle morgens um sechs der Tag eingeläutet wird, sind wir nach dem Frühstück zur Burg Rabenstein aufgebrochen, einer traumschön gelegenen Ritterburg hoch über dem Tal. Wunderbare schmale Waldwege winden sich durch die Hügel, wir laufen an Felsen vorbei, auf denen Moos, Blumen und kleine Bäume wachsen. Es geht buchstäblich über Stock und Stein, durch Felsspalten und Höhlen hindurch, an deren Eingang Fred Feuerstein seinen Namen gemeißelt hätte. In der fränkischen Schweiz hat man das Gefühl, in ferner Vergangenheit zu leben.
Aber auch in der Stadt war es schön. In Bamberg gibt es noch einige Lonely Planet-freie Zonen, wo man weder auf quäkende Amerikaner noch auf Japaner mit Gruppenzwang trifft. Da wäre zunächst „Mahrs Bräu“ zu nennen, eine uralte und verwinkelte Gaststube im Stadtteil Wunderburg (was für ein Name!), wo ein großartiges „U“ ausgeschenkt wird, ein ungefiltertes Bier. Dann der Brauereigasthof „Greifenklau“ am Laurenziplatz, wo man in einem idyllischen Biergarten unter Linden und Kastanienbäumen statt unter Plastikschirmen mit Reklameaufdruck sitzt und mit Blick auf einen bewaldeten Hügel, der von einer Burgruine gekrönt wird, ein perfektes helles Lagerbier im Steinkrug genießen kann. Und wer danach immer noch durstig ist, läuft durch ein hübsches kleines Wohnviertel hinüber zur „wilden Rose“ auf dem Stephansberg. Hier spielen die Kinder noch auf der Straße und verzieren mit bunter Kreide das graue Band des Asphalts. Der Wirt vom „Greifenklau“ hat es uns persönlich empfohlen, weil man von diesem Biergarten aus einen besonders guten Blick auf die Altstadt Bambergs hat. Aber am schönsten ist es doch in den Dorfkneipen, wo am Vormittag nur die Einheimischen beim Bier sitzen, Zeitung lesen oder ein Schwätzchen halten. Über der Theke stehen die Krüge der Stammgäste, auf denen ihre Namen zu lesen sind.
Störend habe ich bei unseren Wanderungen nur die gelegentlichen, abschätzigen Blicke der geföhnten Susis empfunden, die uns mit ihrer grellbunten und pseudomodischen Wanderausrüstung entgegen gekommen sind. Wir nennen es „Wanderkarneval“, wenn uns Leute mit Kirmesklamotten begegnen, die vermutlich auch im Dunkeln leuchten. Man kann nicht einfach loslatschen, nein, man braucht unbedingt diesen ganzen Fitnesströdel für mindestens fünfhundert Euro von Globetrottel oder Jakob Wolfshaut. So wie Radfahrer ohne Wurstpelle in Signalfarben offenbar nicht mehr leben können, brauchen die urbanen Profilneurotiker zum Laufen ein paar Skistöcke („Nordic Walking“ heißt die Erfindung skandinavischer Marketing-Profis), spezielle Trekkinghosen mit „Funktionen“, eine „atmungsaktive“ Jacke mit einem Labyrinth von sinnlos kleinen Taschen und einer Million Reißverschlüssen, weltraumtaugliche Unterwäsche und einen Designerrucksack, in dem sich Lebensmittelvorräte für drei Wochen, ein Sextant zur Berechnung der Position auf hoher See, ein Höhenmesser (weil es eminent wichtig ist, wieviel Meter über Meereshöhe man gerade einen Furz lässt), Verbandskasten und Warndreieck befinden. Neuester Schrei sind elektronische Armbänder, die Puls, Körpertemperatur, Kalorienverbrauch, Mondphase, Börsenkurse und Horoskop anzeigen. Eine Art Armaturenbrett für den eigenen Körper. Und natürlich ist das unvermeidliche Smartphone immer dabei, denn da gibt es die tolle App, die einem per GPS die genaue Lage des eigenen Quadratarschs im Stadtpark anzeigt. Der moderne Wichtigtuer muss selbstverständlich permanent erreichbar sein und zwanghaft seinen Social Media-Status kontrollieren sowie alle fünfzehn Minuten den Ukraine-Newsticker aufrufen. Manchmal frage ich mich: Bin ich der einzige Erwachsene in diesem Land? Dieser ganze Ausrüstungswahnsinn ist das Ergebnis einer umfassenden Gehirnwäsche durch die Sportindustrie. Man redet den Menschen Bedürfnisse ein, die sie gar nicht haben. Ich trage eine abgewetzte Jeansjacke und Wanderstiefel, die aussehen, als seien Erdklumpen an meinen Füßen festgewachsen. Man braucht nur gute Schuhe, sonst gar nichts, denn die Schuhe sind das einzige, das uns mit dem Erdboden verbindet. Dieses ganze Muschileckergedöns braucht kein Mensch!
P.S.: Der junge Wirt und Brauer vom „Schwan“ in Burgebrach setzte sich, da wir die letzten Gäste waren, zu uns an den Tisch und erzählte einige lustige Anekdoten über seine neue Kundengeneration, die “Digital Natives”, wie sich dieser selbstverliebte Eingeborenenstamm im NSA-Land auf Neudeutsch gerne nennt. Wir bezeichnen sie als „Pisa-Generation“ und lachen einfach über ihr analoges Amateurdasein jenseits von Playstation und Facebook-„Freundschaft“, weil sie gerade vom hochnäsig verhöhnten Establishment aus Parteien und Nachrichtendiensten sowie den von ihnen hochverehrten Konzernleitungen (Apple, Google und Co.) ganz gepflegt in den Allerwertesten gevögelt werden, ohne es beim endlosen Rumgefummel an ihren Smartphones wirklich zu merken. Vier Angehörige dieses Stammes saßen neulich am Wirtshaustisch und starrten stumm auf die Anzeigetäfelchen ihrer phantastischen Telefonapparate. Lange sprach niemand von ihnen ein Wort und der Wirt fragte besorgt, was denn los sei. Sie antworteten, dass sie gerade gemeinsam eine Partie Schafskopf spielen würden. Das vom Wirt angebotene Päckchen Spielkarten lehnten sie mit der Begründung ab, dass man die Karten ja dann eigenhändig mischen müsse. Egal. Viel wichtiger: Das Bockbier im „Schwan“ ist das Beste, das ich jemals getrunken habe. Aber auch das Kellerbier ist sehr zu empfehlen. Dazu sollte man den herrlichen Nussschnaps probieren.
Musik auf der Heimfahrt: „Relax“ als 12 Inch von FGTH. Dazu ein Fläschchen „Held-Bräu Hell“ mit einem Ritter auf dem Etikett, dessen Schild ein Rabe ziert. http://www.youtube.com/watch?v=QFLBIamw7SE
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