Mittwoch, 16. April 2014
Grandpa Simspon erzählt
Die letzte Fußballmannschaft, für die ich gespielt habe und die noch einen Namen trug, war Partisan Dahlem. Ein bunter Haufen, auch Frauen darunter. Reine Männermannschaften waren in dieser Alternativliga (DFB-freie Zone) nicht erlaubt. Unsere Abwehr bestand aus Kreuzberger Punks, die ganz modern mit Viererkette gespielt haben (weil die Punks den damals noch vorhandenen Unterschied zwischen Libero und Vorstopper ohnehin weder begriffen noch akzeptiert hätten) und mit ihren Springerstiefeln alles blind nach vorne gedroschen haben, was ihnen an Bällen vor die Füße kam. Teure Sportsachen gab’s nicht. Die Punks hatten sowieso nur dieses eine Paar Schuhe. Wenn einer von diesen Jungs mal die Stiefel ausgezogen hat … - alter Finne, das glaubst du nicht. Die Frauen haben teilweise mit Rock gespielt, schließlich wollte man hinterher noch ins Café oder in die Vorlesung. Kabine und Dusche gab’s natürlich auch keine. Klo? Ist überall, wenn man dringend muss. Selbstverständlich kam auch niemand mit einer „Sporttasche“, ein Kumpel (Typ: langhaariger Bombenleger) kam immer mit seiner Gitarre, weil er hinterher noch in der U-Bahn Geld verdienen musste. Trikots? Wer hätte die bezahlen sollen? Da musste man sich eben die Gesichter seiner Mannschaft merken. Wen man noch nie gesehen hatte, war offenbar ein Gegenspieler.
Partisan Dahlem bestand aus Studierenden der Soziologie, Ethnologie und der Politischen Wissenschaft an der FU. Gegen diese Truppe wirkte eine Sahra Wagenknecht erzkonservativ – von den grünen Volksverdummern ganz zu schweigen (Ich sage nur: Mülltrennung ist Opium für das Volk). Unser Motto: „Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag“. Damals gab’s im Prenzlauer Berg noch besetzte Häuserblocks wie das legendäre „Dunckerland“, wo ein alter Freund aus Schweppenhausen mit seiner indischen Freundin gehaust hat. Wir waren beim Gegner beliebt, denn wir haben immer einen Kasten Bier zum Spiel mitgebracht und geteilt. Abseits und Schiri gab's nicht, das vereinfachte den Spaß ungemein. Die einzige Mannschaft, die den Ligabetrieb ernst genommen hat, war die Mannschaft der Sportstudenten. Die haben sich vorher „aufgewärmt“ (hallo?!) und hatten auch diese ganzen teuren Markenklamotten von Adidas und Nike, von Hastenichgesehen und Willstenichwissen. Die haben garantiert auch die Meisterschaft gewonnen, die Tabelle hing immer an der Uni an irgendeinem schwarzen Brett (das Internet war 1991 noch nicht erfunden).
Nach dem Studium habe ich nur noch in Parks und auf Bolzplätzen gespielt. Das war noch wesentlich entspannter, weil der Platz kleiner ist. Im Mauerpark, im Tiergarten und bei Besuchen in der alten Heimat auch in Ingelheim. Man musste halt immer mal wieder den Ball aus dem Gebüsch oder einem Bach fischen. Du wusstest nie, wer am Sonntagnachmittag vorbei kommt und gegen wen du spielst. Wir alten Säcke haben manchmal gegen Kindermannschaften gespielt oder einen Haufen Halbstarker mit Migrationshintergrund, die es einfach mal wissen wollten. Ich erinnere mich noch sehr genau an die amüsante Szene: Ihr Anführer, ein etwa vierzehnjähriger Bulgare, baute sich vor mir auf, weil er mich aufgrund meiner Körpergröße und meines Leibesumfangs offenbar für den Mannschaftskapitän hielt, und erklärte mir in einem minutenlangen Monolog, dass sie uns fertig machen würden, dass wir keine Chance gegen sie hätten, ey Alter, verstehst du usw. inklusive der Vorzüge der bulgarischen Fußballkunst im Allgemeinen und seinem persönlichen Talent im Besonderen. Ich will nicht prahlen, aber beim Stand von 10:1 haben sie den Platz verlassen. Verletzungen und Streitigkeiten gab es aber nie, schließlich musste jeder am Montag wieder zum Job oder in die Schule. Mit Ende Dreißig habe ich die Fußballschuhe endgültig an den Nagel gehängt, wie man das früher nannte. In Wirklichkeit stehen sie genauso ungeputzt wie damals unter meinem Drucker neben dem Schreibtisch.
P.S.: Musikalisch passt „White Punks on Dope“ von den Tubes ganz gut. Bitte voll aufdrehen. http://www.youtube.com/watch?v=FFltXDMQsQQ
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