Montag, 14. April 2014
Gott sieht alle Spiele
Sonntagnachmittag. Wembley. Maracana nix dagegen. Auf dem Feld stehen elf Männer mit Bierbauch und Vokuhila-Frisur. Unsere Elf. Wir Alten stehen am Spielfeldrand. Bierflasche, Bratwurst und Zigarette. So wie Gott es gewollt hat, als er diesen herrlichen Planeten schuf. Wir sind unter uns. Hier kann man sich mitten im Gespräch genüsslich am Hintern kratzen, ohne sich zu schämen. Wer kein Interesse an Fußball, Fleisch, Alkohol und Nikotin hat, möge in der Hölle verrotten. Es gibt keine Zeitlupe, aber dafür hörst du alle Dialoge auf dem Platz und kannst den Schiedsrichter im Zweifelsfall darauf hinweisen, dass du weißt, wo sein Wagen geparkt ist. Ich erinnere mich daran, selbst einmal auf diesem Platz gestanden und für diesen Verein gespielt zu haben. Bis zum Ende der A-Jugend, dann haben Schicht- und Wochenenddienst meine Sportkarriere beendet. Damals waren wir Tabellenletzter in der untersten Liga. Das heißt: Wir konnten nicht mehr absteigen, wir waren schon ganz unten. Ein großartiges Gefühl. Wir hatten den Stolz von Zigeunern. Wenn dich alle verachten, bist du in Wirklichkeit ganz groß. Wir haben schon vor Spielbeginn beim Schoppen auf die Höhe unserer Niederlage gewettet. 0:8, 0:10 – und so ging es dann auch aus. In der Halbzeitpause kreiste an kalten Tagen die Wodkaflasche in der Kabine. Du weißt gar nicht, warum du das überhaupt machst, wenn du an einem regnerischen Novembertag aus nächster Nähe die schwere nasse Lederkugel voll in die Fresse kriegst und mit taubem Gesicht über den Platz taumelst. Warum lebe ich eigentlich und was mache ich hier um Himmels Willen? Jeder Sonntag wie ein Philosophieseminar. Auf dem Lehrplan steht Stoizismus. In Wahrheit geht es gar nicht um Sieg oder Niederlage, sondern darum es auszuhalten, ohne umzukippen oder durchzudrehen.
Aber an einem Tag war alles anders. Es war der letzte Spieltag und wir haben gegen den designierten Meister gespielt. Sie mussten nur noch gegen uns in Schweppenhausen gewinnen, um sich die Meisterschale abzuholen. Wir - natürlich – abgeschlagen Tabellenletzter. Aber wir konnten nicht absteigen, denn es gab keine Liga unter uns. Der letzte Verein in der untersten Spielklasse. Und wenn du nichts zu verlieren hast, spuckst du an einem guten Tag dem Schicksal ins Gesicht. Ich weiß gar nicht mehr, wie der Gegner hieß, aber an diesem Sonntag haben wir sie fertig gemacht. Ich sage nur: Blutgrätsche. Zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben hat euer sanftmütiger Kiezschreiber die rote Karte gesehen. Wir haben die Wiese gerockt und 4:3 gewonnen. Die arroganten Arschlöcher wurden nicht Meister und die Mannschaft, die den Titel geholt hat, schickte uns einige Tage später einen Kasten Bier als kleines Dankeschön. Du kriegst dein Leben lang auf die Schnauze, aber es kommt der Tag, an dem du für alles belohnt wirst. Für mich war es dieses Spiel und heute stehe ich gelassen am Spielfeldrand, um die nächste Generation von Amateurfußballern anzufeuern. Euer Tag wird kommen. Keiner kennt den Sinn dieses Spiels, aber es lohnt sich dabei zu sein.
P.S.: Zum Abschluss noch ein wenig Heimatkunde.
„Des konnsde abhake unnä U wie Uffschnitt.“ = Der Spielverlauf
„Nix druff außä Zahnbelach.“ = Der Gegner
„Die schwarze Sau.“ = Der Schiedsrichter (nicht rassistisch gemeint)
„Es is em Fritz sei Weddä.“ = Regen (Anspielung auf den Fußballgott Fritz Walter)
„Isch hunns genau gesiehn!“ = Hauptargument des Zuschauers (in Wirklichkeit hat man natürlich gerade ins Schoppenglas oder einer Spielerfrau auf den Hintern geblickt)
"De Dolle leeft de Rotz ins Maul." = glücklicher Sieg durch ein abseitsverdächtiges Tor in der letzten Minute
„Besser wie in die Bach gekackt.“ = Unentschieden
„Sauber die Hoor geschnitt.“ = Niederlage
„Jaska“ = heftiges Besäufnis nach dem Spiel
P.P.S.: Wenn es tatsächlich einen Gott geben würde, dann wäre doch Mainz 05 deutscher Meister und nicht diese Drecksbayern, oder? Außerdem wäre der FCK niemals abgestiegen und Uli Hoeneß müsste sich die nächsten zehn Jahre nach der Seife bücken. Das soll mir der Papst mal widerlegen!
P.P.P.S.: Eine Geschichte muss ich noch erzählen. Es war mein schönstes Erlebnis als Zuschauer beim TuS 09 Schweppenhausen. Ich stand auf der Tribüne, das Spiel lief schon eine Weile, und ich hatte in der linken Hand ein Bratwurstbrötchen (mit Senf!) und in der rechten Hand eine Flasche Bier. Da kam in hohem Bogen der Ball direkt auf mich zugeflogen. Was sollte ich machen? Ich hatte keine Hand frei und keine Zeit, meinen Nachbarn Wurst und Bier in die Hand zu drücken. Aber der Ball kam so gut, dass ich ihn volley nehmen konnte. Ich drosch das Leder dreißig Meter zurück auf den Platz. Dafür bekam ich spontanen Applaus vom Publikum, einer forderte sogar meine Einwechslung – und das Beste: Ich habe weder einen Schluck Bier verschüttet noch die Wurst fallen lassen.
Musikalisch passt hier natürlich die Hommage an alle Linienrichter dieser Welt: "I walk the line" von Johnny Cash. http://www.youtube.com/watch?v=eKJN9ZfGX3s
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