Mittwoch, 22. Mai 2013
Quartiersmanagement und Gentrifizierung
Seit einigen Jahren schon sind die Berliner Quartiersmanagements in der öffentlichen Kritik, da sie angeblich zur Gentrifizierung der von ihnen betreuten Stadtgebiete beitragen. Fragt man einen Quartiersmanager, würde er den Zusammenhang zwischen den Maßnahmen des Quartiersmanagements und einer konkret zu beobachtenden Aufwertung des Viertels nicht sehen. Auch in den schriftlichen Selbstauskünften der verschiedenen Projektträger wird Gentrifizierung nicht als Ziel benannt und auch nicht in der Praxis als Ziel verfolgt. Dennoch ist die empirische Koinzidenz beider Prozesse seit Beginn der Implementierung dieses neuen Instruments der Stadtentwicklung im Jahre 1999 nicht zu übersehen. Fast überall, wo Quartiersmanagements tätig sind, sind nicht nur die Straßen sauber (den patrouillierenden Kiezläufern sei Dank) und mit Blumen zugepflastert (kenne ich aus meiner Kindheit, bei uns hieß das „Unser Dorf soll schöner werden“ und dann wurden wirklich die Geranienkästen gezählt …), sondern die Mieten steigen und zwangsläufig nimmt die Fluktuation der Wohnbevölkerung zu. Der Helmholtzplatz (Prenzlauer Berg) ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Ein zukünftiges Beispiel wird das Brunnenviertel sein, wenn etwa 1200 neue Bewohner in das Luxusghetto im Mauerpark einziehen und das Sozialgefüge im Kiez erheblich verändern werden. Quartiersmanagement hat die Aufgabe, in ausgewählten sozialen Brennpunkten für eine „bessere“ Mischung der Bevölkerung nach zuvor festgelegten Sozialkriterien zu sorgen. So ist es definiert. Wenn es in einem Viertel „zu viele“ alte, arbeitslose, arme oder migrationshintergründige Personen gibt, droht die Ghettobildung. Darum muss die Mischung der Bevölkerung angepasst werden. Wenn es in einem sozialen Brennpunkt also zu viele Angehörige der Unterschicht gibt, müssen Angehörige der Mittel- und Oberschicht dorthin. Solange bis die Mischung stimmt. Armut soll sich nicht verfestigen und in Arbeitslosigkeit und dauerhafter Abhängigkeit von Transferleistungen soll sich niemand behaglich einrichten. Die Menschen sollen in Bewegung gesetzt und anpassungsfähiger werden: Mobilität und Flexibilität lauten die Stichworte, die man in jeder Bewerbungsmappe finden kann. Also ist Gentrifizierung nur ein Kollateralschaden einer an sich tollen Sache wie den Berliner Quartiersmanagements. Sie selbst können ja irgendwie nichts dafür, diese lieben netten Sozialtanten und Erklärbären in den Stadtteilläden. Oder klingt das jetzt zu sarkastisch?
Das Problem ist, dass wir eine Ghettobildung bekommen und zum Teil schon haben , nur eben kein Armenghetto, sondern ein Reichenghetto. Das hingegen muss nicht flexibel und mobil sein.
AntwortenLöschenAus meiner Nachbarschaft ist kürzlich der letzte Geringverdiener ausgezogen, ein netter älterer Herr, der sogar noch vor mir dort wohnte. Seine Wohnung wurde entkernt, luxussaniert und verkauft. Die Neuen haben sich schon kurz nach dem Einzug beschwert, dass mein Kind schreit. So ist das jetzt hier.
Eine stilistische Anmerkung noch: Deine Texte würden noch lesenswerter, wenn du Absätze einbauen würdest. So kommt der wirklich gute Text ein wenig zu klobig daher. Absätze lockern das etwas auf. :)
"Ihr jungen Leute heutzutage ... Ihr macht viel leeren Raum um eure wenigen Worte und nennt es Text. Ihr müsst aber den leeren Raum mit euren Worten füllen." (Häuptling Grand Cherokee von den Hitachi in einer Rede auf der Blogger Convention, Passau 2011)
AntwortenLöschen"empirische Koinzidenz beider Prozesse seit Beginn der Implementierung dieses neuen Instruments der Stadtentwicklung im Jahre 1999 nicht zu übersehen"
AntwortenLöschenErstmal vorweg - ich sehe das Problem der Gentrifizierung sehr wohl und fordere von der Politik genauso, dagegen zu steuern. Doch das Quartiersmanagement als Treiber der Gentrifizierung darzustellen, halte ich nicht nur für falsch, sondern auch für gefährlich.
Vor einiger Zeit wurde auf das QM Brunnenstraße ein Anschlag verübt - das Bekennerschreiben enthielt die gleichen Vorwürfe. Schon damals habe ich geschrieben, dass die Menschen ihre Energien doch bitte konstruktiv einsetzen sollen oder zumindest gegen solche richten sollen, die wirklich verantwortlich sind (Landespolitik, Bundespoltik) - und das bitte ohne Gewalt.
Die beschriebene empirische Koinzidenz könnte, wenn man sich mal in Ruhe hinsetzt und überlegt, an folgendem liegen:
- Wo findet Gentrifizerung statt? In sozial schwachen Vierteln.
- Wo werden Quartiersmanagements eingesetzt? In sozial schwachen Vierteln.
Beides hat also die gleiche Ursache, findet aber voneinander unabhängig statt. Die Gentrifizerung läuft in erster Linie über die Mietpreisentwicklung und die entwickelt sich in Berlin auch ohne QM steil nach oben. Wenn mehr Menschen zuziehen und diese Menschen mehr Kohle haben, als die Menschen, die schon da sind, steigen die Mieten. Die alten Bewohner werden verdrängt, die neuen, wohlhabenderen verdrängen diese.
Dass das QM mal hier, mal dort einen Blumenkübel aufstellt, kann nun wirklich nicht als ursächlich dafür gesehen werden. Im Gegenteil bietet die Soziale Stadt viele Vorteile. Richtig genutzt bzw. unterstützt wird es leider nicht - darin sehe ich eher ein Problem.
Die Integration aller Bevölkerungsschichten in die Quartiersarbeit würde vor allem auch sozial schwächeren helfen. In schwierigen Lebenslagen, bei der Freizeitgestaltung, beim Knüpfen sozialer Kontakte. Die Alternative wäre der Fernseher, der Alkohol oder wasweißich, aber auf jeden Fall nichts, was die Lage verbessern würde.
- Jan
Meine Güte, das ist ja, lieber Herr Doktor, in seiner Methodik so dünn, dass es einem die Haare zu Berge stehen lässt: Könnte es sein, dass die Entwicklung am Helmholtzplatz vielleicht weniger durch die - ich glaube 7 - Jahre Quartiersmanagement mit seinen etwa 3 Mio. Euro Fördermitteln, die großteils in die sozialen Einrichtungen geflossen sind, als mehr durch die 18 Jahre Sanierungsgebiet, in denen 109 Mio. Euro eingesetzt wurden, um vor allem zusätzliche private Mittel der Immobilienbesitzer damit zur Kofinanzierung in noch größerer Höhe geprägt worden ist? Im Grundstudium nannte man so etwas "intervenierende Variable" - bzw. Ausblenden derselben.
AntwortenLöschenUnd die Beschränkung auf eine Grundgesamtheit der betrachteten Elemente N=1, nämlich Helmholtzplatz, ist für so eine Argumentation grob fahrlässig. Wenn ich hier HighDeck-Siedlung oder Soldiner Kiez nenne, die seit über 10 Jahren QM haben und wo sich seitdem nix zum Besseren, aber zumindest nicht weiter alles zum Schlechteren wendet, so habe ich die empirische Datenbasis ja schon satt getoppt.
Na gut, aber er schreibt ja selber von einer "empirischen Koinzidenz" - und nicht von einer Korrelation. Vielleicht geht er ja selber davon aus, dass es größere Bewegungen sind, die Gentrifizierung befeuern, als die Tatsache, dass über QM eine Sprachförderung in einer Kita finanziert wird: Etwa Entwicklungen wie geänderte Lebensentwürfe und damit eine "Renaissance der Stadt", die den Bevölkerungsdruck erhöht. Oder die Eurokrise und folgend die Flucht der Kaptialanleger ins Betongold. Oder Wowis "arm, aber sexy", das immer noch als Donnerhall durch die WElt wabert und Massen von Internationals als Pioniere der Gentrifizierung nach Nordneukölln schwemmt. Oder kommen die etwa doch wegen des Quartiersmanagements?
QM wird da eingerichtet, wo u.a. eine hohe Bevölkerungsfluktuation herrscht. QM soll die Bedingungen vor Ort etwas besser machen, so dass die Leute nicht aus dem Viertel flüchten. Und mit jedem, der seine Wohnung NICHT verlässt, kann auch NICHT bei einer Neuvermietung die Miete um 30% angehoben werden und damit auch NICHT vermittelt über den Mietspiegel zu einer dann legalen Mieterhöhung in der Nachbarschaft führen.
Gruß an Doktor Dünn von einem Erkärbären