Montag, 29. April 2013
Tegernseer Tönnchen (Berlin)
Als ich das Lokal betrete, empfängt mich trotz der frühen Mittagsstunde ein ausgelassenes Gelächter. An einer langen Tafel sitzt eine große Tischgesellschaft mittelalter bis älterer Herrschaften. Ich nehme an einem abseits gelegenen Tischchen Platz und bestelle meinen Schweinsbraten und mein Bier. Die Damen und Herren sind schon beim Kaffee und krähen fröhlich durcheinander. Ich höre Satzfetzen wie „Ick bin doch ooch erbberechtigt“ oder „Mutti hatte bloß een Girokonto“. Alle sind in schwarz gekleidet, schwarze Mäntel und Hüte hängen an der Garderobe. Bei der Verabschiedung eine Viertelstunde später bilden sich kleine, heiter plaudernde Grüppchen wie man sie von Gartenpartys kennt. Die liebe Gisela und der liebe Harald werden verabschiedet, eine Einladung für Helmuts sechzigsten Geburtstag sei bereits fix und fertig, könne aber (und hier wird die Stimme leiser und tiefer) unter diesen Umständen natürlich noch nicht verteilt werden, man sei aber selbstverständlich herzlich eingeladen, schon werden Mitfahrgelegenheiten organisiert. Ich frage beim Bezahlen – längst ist die lärmende Meute nebst Bewirtungsquittung von dannen gezogen - die Kellnerin, ob die Trauerfeiern in ihrem Lokal immer so lustig seien. Sie rollt die Augen und sagt: „Letzte Woche hatten wir eine Beerdigungsgesellschaft, die hat von zwei bis zwölf nur gesoffen.“ Die Generation der Erben betritt die Bühne …
Der Kalle
Natürlich. Der Kalle also auch. Wie sein Chef, aber natürlich im Kleinformat. „Hopsala! Da sind ja zwei Rolex in meinem Koffer. Ganz vergessen. Was macht das? Ja ja, hören Sie, ich hab’s eilig. Ich muss zu einer Konferenz, auf der ich einen Audi geschenkt bekomme. Schicken Sie den Strafbefehl einfach an die Rechtsabteilung des FC Bayern.“ Westerwelle hat als FDP-Chef mal vom „anstrengungslosen Wohlstand“ und der „spätrömischen Dekadenz“ der Hartz IV-Empfänger gesprochen. Und dann sieht man diese Multimillionäre im Fernsehen, wie sie durch ihre eigene Welt der VIP-Bereiche, Gratisdienstleistungen und sinnlos teuren Geschenke schweben. Wer schon alles besitzt, dem wird trotzdem noch ein zweites Mal alles hinterher geworfen. Als wären es Maharadschas, deren Wege wir noch mit Rosenblättern, Kaviar und Brillianten bestreuen müssten. Und wenn dann einer vom neuen Hochadel beim Gesetzesbruch ertappt wird, ist das Volk ein undankbarer Haufen, dass eine solche von Gott gesegnete Herrschaft in diesem blühenden Bayernland gar nicht verdient habe. Wenn Multimillionäre wie Rummenigge auf einer Konferenz in Katar einfach so zwei Rolex geschenkt bekommen, dann ist das für mich nichts anderes als anstrengungsloser Wohlstand und spätrömische Dekadenz. Und wer diese Art von Reichtum verspricht, lädt nach Westerwelles Worten zum Verfall der Sitten ein. Quod erat demonstrandum. Ich würde mich freuen, wenn ich dazu von den Freidemokraten mal ein klares Wort zu hören bekäme.
Sonntag, 28. April 2013
Viererkette: Söder – Hoeneß – Seehofer - Merkel
Folgendes Gedankenspiel: Hat vielleicht der Söder als Finanzminister das Steuergeheimnis vom Seehofer-Amigo gebrochen, um sich für seine Demontage als Kronprinz der CSU und die damit verbundenen Beleidigungen am Partei- und Regierungsboss zu rächen? Damit die Sache nicht auffällt, lanciert der Söder die Causa Hoeneß über einem Mittelsmann dem „Stern“. Jeder denkt natürlich gleich: Ein Skandal im „Stern“? Da muss die SPD dahinterstecken. Schließlich kaufen die Sozen ja die Steuer-CDs wie blöde und die CSUler schützen heldenhaft ihre Steuerflüchtlinge vor dem Zugriff des preußisch-protestantischen Kraken namens Deutschland. Die Daten von der Vontobel in Zürich, wo Hoeneß jahrelang gezockt hat, sind ja vermutlich ebenso auf dem Markt wie Daten der anderen eidgenössischen Banken. Da denken sich die Zeitungsleser und Fernsehzuschauer doch gleich: Die SPD will im Wahlkampf dem Regierungslager kräftig eins auswischen.
Der Nelson vom Tegernsee wäre dann nur ein willkommener Kollateralschaden in Söders Plan zur Rache an Seehofer. Ein medialer Konkurrent und lästiger Emporkömmling weniger. Einer, der als Hofnarr der Mächtigen glaubte, selbst mächtig zu sein, wird nebenbei entsorgt. Einer, der Wurst machen konnte und Stars. Wenn der Söder sich da mal nicht täuscht. Wenn der Hoeneß alles auspackt, was er über die Bussi-Mafia in Minga&Umgebung weiß, gibt’s pünktlich zur Bundestagswahl im September so heftige Kollateralschäden, dass Großkopferte wie Seehofer oder Söder gleich im Dutzend über die Klinge springen werden. Hoeneß wird alles tun um zu verhindern, dass sein kleiner Arsch demnächst die große Sensation in Stadelheim wird. Also wird man ihn wie Zumwinkel irgendwie durch seinen Prozess navigieren und er kommt mit einer Geldstrafe davon. Die hat er sich in einem Jahr locker wieder zusammenspekuliert. Zumwinkel zum Beispiel hat nach seiner Verurteilung zu einer Haftstrafe auf Bewährung das Land verlassen und sich eine Burg am Gardasee gekauft. Vielleicht zieht „der Uli“ ja zum Franz nach Kitzbühel?
Freitag, 26. April 2013
Sinnbild der Sinnlosigkeit
Gewinner und Verlierer sind in unserer Gesellschaft seit langem in Beton gegossen. Es ist, als ob es in einem Fußballspiel 12:0 steht und es wird niemals abgepfiffen werden. Irgendwann steht es 15:0, 18:0. Das Spiel wird langweilig – selbst für die Fans der überlegenen Mannschaft. Wir alle haben längst den Spaß an diesem Spiel namens „Wirtschaft“ oder „Arbeit“ verloren. Wir sind müde, aber es hört einfach nicht auf. Wir rotieren wie blöde, aber wir bewegen uns nicht von der Stelle.
Weltstars privat
„Als das Smartphone und der iPod noch nicht erfunden waren, galten Vier-Farb-Kugelschreiber und Taschenrechner als die ultimativen Statussysmbole im Klassenzimmer. Damit hast du in den siebziger Jahren jedes Mädchen rumgekriegt. Irgendwann später, ein Jahr oder so, haben uns dann die Jungs abgelöst, die sich eine Gitarre gekauft haben.“ (Ronaldo Pofalla)
Donnerstag, 25. April 2013
Feedback
So sieht uns die Welt: Bier und Fußball, Mercedes-Stern und Hakenkreuz, Merkel und Moneten.
Montag, 22. April 2013
War es so, Uli?
Die Geschichte von Ulrich Hoeneß könnte so gelaufen sein: Im Jahr 2012 wird das deutsch-schweizerische Steuerabkommen verhandelt. Der Bayern-Krösus ist längst Intimfreund der schwarzen Politgarde und nimmt regen Anteil an den Diskussionen. Schließlich verspricht er sich von diesem Abkommen ein elegantes Ende seiner dubiosen Karriere als Steuerhinterzieher. Dann platzt das Abkommen aufgrund der Ablehnung des Gesetzes durch Rot-Grün im Bundesrat. Hoeneß schäumt und schimpft auf die Politiker, derweil bekommt er in der Bevölkerung und in den Medien immer mehr das Image eines Säulenheiligen, eines „Vater Theresa“ (wie ein grenzdebiler Rummenigge es dereinst formuliert hatte). Das wiederum schmeckt der Politik nicht. Seit langem ist ihnen der Saubermann und Vorzeigeunternehmer mit seiner Stammtischpolemik ein Dorn im Auge. Die Hoheit über den Stammtischen gehört schließlich der CSU! Also steckt irgendeiner aus dem Regierungslager dem „Stern“, dass es einen dicken Finanzskandal in der Bundesliga gibt, in den ein Prominenter verwickelt ist. Es geht um Hunderte Millionen Euro, der Kreis der Verdächtigen ist klein. Die Stern-Reporter recherchieren den Fall. Dabei rufen sie auch Hoeneß an und fragen ihn, ob er was zu dieser Sache weiß. Dem selbstverliebten Moralapostel geht postwendend der Arsch auf Grundeis. Sie sind mir auf den Fersen! Er gibt eine ausweichende Antwort und bespricht die Sache mit seinen Steuerberatern, Anwälten und engen Familienangehörigen. Das Ergebnis: Am 17. Januar 2013 erstattet Hoeneß Selbstanzeige, am gleichen Tag veröffentlicht der „Stern“ die Story (interessanterweise wird die Geschichte medial von der gleichzeitigen Verpflichtung von Josep Guardiola durch den FC Bayern überlagert). Die Staatsanwaltschaft ermittelt nachlässig (Hausdurchsuchung erst im März), die CSU-Staatskanzlei ist über den Vorgang permanent informiert. Erst als die Müncher „Abendzeitung“ Wind von der Story bekommt (ein Leck beim zuständigen Finanzamt Miesbach oder ein freundlicher Sozialdemokrat bzw. Grüner in der Staatsanwaltschaft?), muss Hoeneß mit seinen Straftaten an die Öffentlichkeit. Dem FC Bayern-Aufsichtsratskollegen Markwort erteilt er die exklusiven Rechte an seiner Story, um sie wenigstens halbwegs unter Kontrolle zu halten. Der „Abendzeitung“ droht er mit dem Rechtsanwalt und hofft nun wie Guttenberg, dass die Zeit und ein wenig Heuchelei in Bayern alle Wunden heilen werden.
Sonntag, 21. April 2013
Du hast die Haare schön
Und wieder ist einer dahin gegangen. Einer aus der Phalanx der arroganten Erfolgsmenschen, einer dieser bajuwarischen Moralapostel, die anderen gerne lautstark die Welt erklären: Strauß, Stoiber, Seehofer, Guttenberg – und jetzt Hoeneß. Der nun folgende Shitstorm wegen seiner Steuerhinterziehung wird den Wurstmacher den Kopf als Unternehmer und FCB-Präsident kosten. Die Selbstanzeige belegt, dass der Steuerflüchtling keinen anderen Ausweg mehr sah. Von Ulrich Hoeneß bleiben vor allem zwei Momente in Erinnerung: wie er 1976 mit einem Elfmeter die Fußballeuropameisterschaft im Alleingang vergeigt und wie er mit moralinsauren Hetzkampagnen Christoph Daums Karriere öffentlich zerstört. Vielleicht ist in Guttenbergs amerikanischem Exil ja noch Platz. Geld hat der Uli ja.
Freitag, 19. April 2013
Blick aus dem Fenster
Unter meinem Fenster zieht die Welt dahin: lachende und weinende Kinder, schweigende und schreiende Erwachsene, manchmal eine ganze bulgarische Kapelle auf ihrem Weg zwischen den Restaurants dieser Stadt. Riesige Busse mit flacher Stirn hupen und drängen nach vorn, Kleinwagen schlüpfen wie Insekten aus schmalen Parkbuchten. Ein übergewichtiger Mann schiebt seinen Bauch mühsam in Richtung Einkaufszentrum und zieht ein zweirädriges Utensil mit absurder Schottenmusterung hinter sich her als wäre es ein altersstarrsinniger Rauhaardackel. Touristen aus dem nahen Hotel gehen an der Gedenktafel für die ermordeten Kurden vorüber. Manche bleiben stehen und lesen die Namen, andere streben aufgeregt schnatternd dem Ku’damm entgegen. Die Kraft der Stadt kann ich nur erahnen, wenn ich die Fenster öffne und mir das fröhliche Geschrei der spielenden Kinder am Prager Platz und der gegenüberliegenden Kita über die Tastatur fliegt. Nur aus diesen Kindern kann Berlin seine Energie schöpfen, die Zeit der alten Männer ist vorbei, ihrer lauwarmen Pläne von ach so tollen Flughäfen und anderer Betonfantasien von Leuten, die selbst kein Zuhause mehr kennen.
Samstag, 13. April 2013
11. April – ein schwarzer Tag für Berlin
“Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt”, hat Heinrich Zille einmal gesagt. Rosemarie Fliess hat den Kampf verloren, der auf dem Berliner Wohnungsmarkt tobt. Der Eigentümer ihrer Wohnung in Reinickendorf bestand, trotz Mietübernahmeerklärung des Sozialamts und einer ärztlichen Diagnose, die schwerbehinderte Frau sei durch die drohende Obdachlosigkeit gesundheitlich gefährdet, auf Vollstreckung der Zwangsräumung. 140 Polizisten hat der Staat geschickt, um die Zwangsräumung durchzusetzen. Zwei Tage später war die alte Dame tot. Ihr letzter Zufluchtsort, die Wärmestube „Wärme mit Herz“, wird am 19. April ebenfalls zwangsgeräumt. Für Rosemarie Fliess bleibt ein kleiner Flecken Erde, der ihr immer gehören wird: Ihr letzter Wille war es, nach dem Ritus ihres jüdischen Glaubens beerdigt zu werden. Der Berliner Senat wird es, all seiner Schamlosigkeit und Schäbigkeit zum Trotz, nicht wagen, dieser alten Frau den allerletzten Herzenswunsch zu verweigern und sie würdelos in einem anonymen Massengrab zu verscharren.
Mittwoch, 10. April 2013
Rätsel
Ein Volk von stummen Knechten und demütigen Mägden, die jedem Befehl gehorchen und jede Arbeit verrichten; ein Volk, dessen uralte Herrscherfamilien noch nicht einmal mehr die Zuchtknute schwingen müssen, denn es hat sich mit seinen falschen Idealen von Fleiß, Gehorsam und Bescheidenheit selbst eine Peitsche geschaffen, die es unaufhörlich vorantreibt; ein Volk, das im Zeitalter der Globalisierung die Blutsauger aller Länder geradezu magisch anzieht, denn dieser Mischung aus Wohlstand und Wehrlosigkeit kann niemand lange widerstehen; ein Volk von Weicheiern und geföhnten Susis, das auf der ganzen Welt für seine Erfolge verachtet und für seine Geschichte gehasst wird, und dem selbst neureiche Kleinststaaten wie Luxemburg, Zypern und Malta ihre Unverschämtheiten ins Gesicht brüllen können. Wer bin ich?
Dienstag, 9. April 2013
Aus dem Zettelkasten
Der Typ, der das # erfunden hat, ist inzwischen bestimmt steinreich. Ich habe schon Ende der achtziger Jahre das Wort „Hashtag“ erfunden und keinen Cent dafür gesehen. Die ursprüngliche Wortbedeutung war übrigens „Kollektives Kiffen ab den frühen Morgenstunden“, aber das ist im Laufe der vielen Jahre völlig verloren gegangen. Inzwischen gehört das Wort der Firma Twitter und für dessen einmalige Benutzung werde ich mit einem Dutzend Spam-Mails bestraft.
Grabinschrift (geplant):
Keiner weiß wohin er ging / Der gute alte Eberling
„Ob Gott oder der Teufel mich geschickt hat, weiß ich nicht. Ich kenne nur meinen Auftrag.“
Abstieg: In den Achtzigern hatten wir Bowie, jetzt haben wir Wowi.
Mach dich selbst so klein, dass die Schwerkraft ihre Bedeutung verliert.
Haben die Wikinger gespart, haben die Wikinger gearbeitet? Quatsch. Die sind in ihre Boote gesprungen, sobald der Suff alle war, und haben die nächstliegende Stadt überfallen.
Die Stufen der Wahrnehmung: Für das Kind besteht der Strand aus Sand, für den Bauingenieur aus Quarz und für den Wissenschaftler aus Siliciumdioxid. Wie war der Fall der Mauer für mich persönlich? Ich habe damals noch in Ingelheim gewohnt und die ganze Sache nur im Fernsehen gesehen. Es war sicherlich auch in meiner Stammkneipe ein Thema gewesen. Aber konkret kam die Veränderung erst vier Wochen nach dem 9.11.1989, als ich mit einer Zigarette in der Hand auf unserem Balkon stand. Da hörte ich plötzlich, wie aus Richtung City etwas sehr lautes die Rheinstraße entlang kam. So etwa wie ein Rasenmäher auf Koks. Und dann fauchte tatsächlich ein hellblauer Trabant aus der DDR vorüber, kleiner als gedacht und hinterließ beim Vorbeiknattern eine riesige Qualmwolke wie in einem Comicstrip. Das war mein erster Kontakt mit der neuen Realität.