Donnerstag, 27. September 2012
Vier Jahre nach Lehman
Was ist 2008 passiert? Bis zur Lehman-Pleite dachte man, ein transparenter Markt sei per se rational. Börsenkurse, Immobilienpreise usw. entstehen durch Angebot und Nachfrage zwischen aufgeklärten, freien und vernünftigen Handelspartnern. Im ermittelten Preis steckt quasi die höhere Vernunft der Beteiligten. Seitdem die Märkte irrational geworden sind, ist diese neoklassische Lehre mit einem großen Fragezeichen belastet. Ich schätze, es wiegt fünfeinhalb Tonnen, ist aus grauem Beton und hört auf den Namen Keynes. Jetzt soll es Vati Staat wieder richten, der doch in seiner pekuniären Abhängigkeit von den Banken und anderen Großinvestoren längst selbst ein symbiotischer Bestandteil des Wirtschaftssystems geworden ist. Dabei können wir eine ganz andere Lehre aus dem Desaster der letzten Jahre ziehen: Der Mensch ist nicht das unabhängige und weltkluge Individuum, als das er sich selbst sieht und als das er sich in den Medien selbst darstellt. Nüchtern betrachtet ist er nur Teil eines Heringsschwarms aus hoffnungslos narzisstischen Maulhelden. In der Masse wagen wir uns hinaus ins Neue. Wenn Millionen zu Telekom-Aktionären werden, kann es doch nicht so schlimm sein, oder? Im warmen Kreis der Herde geht es aufs Börsenglatteis hinaus, geführt von erfahrenen Leitwölfen wie Manfred Krug. Können sich denn alle geirrt haben? Sie können. In Deutschland allemal. Und so hat man in den letzten zwanzig Jahren um der schönen Vierteljahresberichte und schnellen Profite willen ganze Generationen von Finanzmarktnovizen an der Kapitalfront verheizt. Der Schwarm ist nicht permanent rational, er ist nur permanent in Bewegung. Und seit uns 2008 die Gewissheiten ausgegangen sind, kreist der Schwarm richtungslos um sich selbst. Ein paar neue Telefonapparate, Limonadensorten oder Modekollektionen werden ihn auf Dauer nicht beruhigen können.
Montag, 24. September 2012
Was wir von Hosen lernen können
Als Levi Strauss Mitte des 19. Jahrhunderts aus seinem fränkischen Dorf nach Amerika auswanderte, war gerade Goldrausch in Kalifornien. Was machte er? Da er keine Ahnung vom Goldschürfen hatte, verkaufte er den Goldsuchern Pfannen und Töpfe, Hüte und stabile Hosen. Die Hosen hießen noch nicht Jeans, sondern Hüftoveralls – sie hatten die Bestellnummer 501, die Strauss auch bei der Patentanmeldung seiner nietenverstärkten Beinkleider verwendete. Mit den Levi’s-Jeans werden heute noch Milliarden verdient, während die Goldsucher längst tot und vergessen sind. Ihre namenlosen Gräber zerbröseln in den Geisterstädten des kalifornischen Goldrauschs, der später in Jack Londons Alaska seine Fortsetzung fand. Das ist der Unterschied zwischen Gier und Geschäftssinn. Strauss fragte sich: Wie werde ich Teil einer Gesellschaft, wie kann ich in einer neuen Umgebung überleben? Wie tue ich gleichzeitig etwas für mich und für andere? Ein bettelarmer und verachteter Dorfjude aus Buttenheim hat dem modernen Wirtschaftsleben eine wertvolle Lehre erteilt: Hilf dir selbst, indem du anderen hilfst. Wer nur nach Gold sucht, wird es nicht schaffen.
Samstag, 15. September 2012
Wir sehen uns im Mauerpark
Die Causa Mauerpark verdeutlicht wie in einem Brennglas, wie hohl und morsch die politischen Verhältnisse in dieser Gesellschaft geworden sind. Die Exekutive, im Falle Berlins also die Oberhäupter des Senats und der Bezirke, hat offensichtlich weder Interesse an der inhaltlichen Auseinandersetzung in einer konkreten Sachfrage noch an Kommunikation generell. Die Inszenierungen in der BVV Mitte und bei diversen Kleinst-Events für die Presse sind nichts anderes als die historisch konstant gebliebene Hochnäsigkeit der preußischen Obrigkeit, mit der sie nicht nur die stadtpolitisch engagierten Bürger, sondern auch gleich die Legislative, also deren gewählte Vertreter, gezielt demütigt. Der Vertrag mit der CA Immo ist nicht nur ein Dokument politischen Versagens in städtebaulicher, sondern vor allem in demokratischer Hinsicht. Er ist und bleibt in Hinterzimmern geschlossen, er ist und bleibt unakzeptabel für die Bevölkerung. Wie geht es weiter? In den nächsten zwei Jahren wird der Mauerpark südlich der Gleimstraße fertig gestellt. Das ist gut. Im Sommer 2014, wenn Fluchhafen-Wowis Betongeschwader die Baugenehmigung für das Gelände nördlich der Gleimstraße erteilt haben und die Axt an den ersten Baum gelegt wird, ist Zeit für das Endspiel. Mit etwas Glück für die DFB-Auswahl bei der Fußball-WM in Brasilien, mit Sicherheit für die echten Freunde des Mauerparks - und für seine Feinde.
Freitag, 7. September 2012
Leserzuschriften zur spätrumänischen Lyrik
Woher kommt denn Osmodeo? / Fragt Günter Sack aus Gütersloh / Am Stadtrand ist er aufgewachsen / In einem Ort in Niedersachsen
Wie hieß der Branntwein, Seher, sprich! / Was trank denn der Osmoderich? / Es war ein Whisky, edle Zecher / Grad’ jetzt steht er in meinem Becher
Hat er im Zweikampf Recht gebrochen? / Und übel aus dem Mund gerochen? / Hat er wie wir von Alters her / Mit seinen Eltern Schriftverkehr?
Kennt er die Sitten und Gebräuche? / Das Maß für Schuhe und für Schläuche? / Das fragt zu Recht aus Dortmund-West / Familie Schulz und Doktor Best
Und schließlich, das will jeder wissen / Osmodeo, du süßes Kissen / Wer bist du und was sagt dein Namen / "Ich bin der Zorn – Jetzt’ leck mich – Amen!"
In Borneo, vermutet weise, / ein Krimikenner still und leise / begann es krass / was folgt ist Hass / Er macht sich auf die Reise
Spätrumänische Lyrik unplugged
Denk’ ich nur an Osmodeo / Werd’ ich des Lebens nicht mehr froh / Heut’ Nacht holt er mich sowieso / Mein alter Feind aus Borneo
Gebor’n als Fürst von blauem Blut / Packt ihn schon früh der Übermut / Im Zweikampf teilt er voller Wut / Des Gegners Kopf mitsamt dem Hut
Nach einer Flucht von sieben Tagen / Hör ich das Volk beim Bäcker sagen / Betritt er einen Branntweinladen / Es folgt ein Rausch nebst Leberschaden
Der Untergang ist nicht mehr weit / Für mich und meine Sonnenmaid / Osmodeo, gib mir Geleit / Durch Raum und Zeit und Ewigkeit