Freitag, 25. Juni 2010
Brunnenstraße Outdoor Sommer 2010
Soll ich oder soll ich nicht? Aber dann denke ich mir, es ist meine Entscheidung. Und ich mag die kleinen Kerle einfach, kann nicht mal sagen warum. Also bekommen sie etwas, obwohl sie ja eigentlich durch ihr unverschämtes Erscheinen nur Ignoranz verdient hätten. Kennen Sie jemand, der sich plötzlich an Ihren Tisch setzt und wortlos ein Stück von Ihrer Pizza klaut? Ich schon. Angeblich handelt es sich um eine aussterbende Art in Deutschland, aber ich wette, es handelt sich dabei nur um raffinierte Propaganda- und Marketing-Spielchen. Die Biester sind aber auch so was von durchtrieben, sie sind die Anlageberater unter den Vögeln. Erst kommen sie immer ganz klein und scheinheilig angeschissen, als ob sie keiner Seele was zu Leide tun könnten. Dabei ahmen sie bisweilen das klagende, fordernde Zwitschern ihrer eigenen Kinder nach, um an den anstrengungslosen Wohlstand auf meinem Teller zu gelangen. Gerne gebe ich nach, das gebe ich auch gerne zu. Ob Basmati-Reis oder Sonnenblumenkerne von einem Sonnenblumenkernbrötchen, Pommes oder Spätzle - unsere kleinen Freunde schnappen es und segeln mit ihrer Ladung in entfernte Nester. Der Terminplan ist eng, die kleinen Nervensägen - hatte ich erwähnt, dass es sich um Spatzen handelt? - holen sich wie Steuereintreiber ihren Teil bei mir ab. Was mir bleibt? Ich gebe den dünnen Spatzen mehr als ihren dicken Kollegen. Man sollte die Tiere nicht zu Tode mästen, damit tut man ihnen keinen Gefallen. Ich habe im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien Eichhörnchen gesehen, die waren zu fett, um noch die Bäume hoch zu kommen, weil sie zu viele Hotdogs und Burger gegessen haben. Aber unsere Spatzen sind noch längst nicht soweit. Die Kellner mögen sie zwar nicht, die kleinen Mitesser, die alles zu scheißen. Ich aber füttere sie heimlich unter dem Tisch, die Anarchie der alten Herren.
Montag, 21. Juni 2010
Der Wedding im Netz
Hochgeschätzte Leserschaft,
unter www.derwedding.de finden Sie ein hervorragendes Magazin zur Alltagskultur im Wedding. Freundlicherweise findet sich auch ein Text des Kiezschreibers auf dieser Seite.
Unser Kiez ist praktisch nicht mehr aufzuhalten, hier entsteht das neue Berlin in alter Tradition: lebensnah, hemdsärmelig, schlagfertig, bodenständig, frech nach oben, freundlich nach unten, immer in Bewegung und mit 'nem lockeren Spruch auf den Lippen.
Samstag, 19. Juni 2010
Fußballweltmeisterschaft
Warum Fußball? Wo ist da der Sinn? Warum hat mich dieser Sport je interessiert? Was ist schiefgelaufen, warum bin ich hier? Fragen wie diese warf die Partie England-Algerien (0:0) auf, die gestern weltweit übertragen wurde. Grundsätzlich das eigene Handeln in Frage stellend verbrachte ich den restlichen Abend.
Freitag, 18. Juni 2010
1975
Die tollen Leute hatten früher lange Haare und hingen im Sommer am Baggersee rum. Ich fuhr mit meinem Klapprad an ihnen vorbei und hätte gerne dazu gehört. Statt dessen lagen unsere Räder wenig später im Sand und wir stopften uns mit Mirabellen voll. Ich weiß nur noch, das wir den ganzen Nachmittag durch die Gegend gefahren sind und dabei immer irgendwelche wichtigen Ziele hatten, die aber eigentlich lächerlich waren. In Wirklichkeit krochen wir auf Schutthügeln herum, schmissen Ziegelsteine aus verwaisten Rohbauten, krochen durch Gebüsch, flüsterten, stahlen wertloses Zeug, streiften durch die ganze verlassene Welt, die man als Erwachsener nicht mehr kennt: versteckte Wiesen, Bahndämme, Ruinen, Baustellen, Industriebrachen. Wertlose menschenleere Flächen, angefüllt mit gefährlichen Räuberbanden und außerirdischen Bedrohungen, vergrabenen Schätzen und verwunschenen Höhlen. Die tollen Leute mit den langen Haaren hatten eindeutig das bessere Leben. Ich hätte gerne gewusst, über was für geheimnisvolle Dinge sie miteinander sprachen. Wenn ich sie aus der Ferne sah, träumte ich von ihrem Leben. Später war ich auch älter, hatte längere Haare und saß am Baggersee. Aber das Geheimnis habe ich nie gefunden. Eigentlich hat sich seitdem nicht viel verändert: Wir tun Dinge, die wir zu einem bestimmten Zeitpunkt für wichtig halten. Die Gründe vergessen wir oder wir erfinden nachträglich neue. Zum Glück hören die Träume irgendwann einfach auf.
Freitag, 4. Juni 2010
Neues aus dem Schloss
Nach dem Prinzen auf der Erbse kommt jetzt Prinz Valium. Da hätte ich es ja auch gleich selbst machen können ...
Donnerstag, 3. Juni 2010
Schreiend aufwachen
Ich weiß nicht, wann sie angefangen haben, auf mich zu schießen. Aber wahrscheinlich wird früher oder später auf jeden geschossen, der nicht ganz dem Durchschnitt entspricht. Ich muß aufgefallen sein, sie haben mich entdeckt, wahrscheinlich eine Weile beobachtet und dann, als ihnen etwas an mir mißfallen hat, haben sie angefangen, auf mich zu schießen. Bevor alles anfing, hatte ich Freunde. Ich würde gerne wissen, ob sie noch leben. Ob auch auf sie geschossen wird? Ich bin so allein. Aber wie könnte ich die Wohnung verlassen? Draußen warten sie, und wenn ich hinaus komme, werden sie wieder auf mich schießen. Ich weiß noch nicht einmal, wie sie aussehen. Nur ihre Kugeln schlagen hier und da ein. Sie schießen einfach, auch wenn sie mich gar nicht im Visier haben. Sie wissen ja, daß ich da bin. Wo sollte ich denn auch sonst hin? Auf allen Vieren krieche ich durch die Wohnung, immer unterhalb der zerschossenen Fenster. Als ich damals in die Wohnung eingezogen bin, habe ich noch über das winzige Badezimmerfenster geschimpft. Heute atme ich auf, wenn ich das Badezimmer erreicht habe. Gierig trinke ich das Wasser aus der Toilettenschüssel. Oft bleibe ich dann stundenlang in der leeren Badewanne liegen und träume. Im Winter ist es schön warm am Heizkörper. Ich habe dort einen Berg von alten Kleidern zusammen getragen, in den ich gerne hinein krieche. Oben pfeift der eisige Wind hinein und ich luge nur mit der Nasenspitze heraus. Mit lautem Knall platzt der Putz der gegenüber liegenden Wand heraus. Sie haben wieder geschossen. Sie schießen immer. Vielleicht wollen sie mich auch gar nicht treffen. Wahrscheinlich wollen sie mich nur zermürben, mich soweit bringen, daß ich mich ihnen ausliefere oder mich selbst töte. Aber ich kann warten. Ich lese viel, zuerst habe ich die unteren Reihen meines Bücherschranks durchgeforstet und nach und nach alles gelesen, was ich gefunden habe. Später habe ich dann mit einem aufgeklappten Zollstock, den ich in der Küche unter der Spüle gefunden habe, die oberen Reihen abgeräumt. Die guten Sachen standen natürlich ganz oben. Inzwischen habe ich gelernt, um die Einschußlöcher herum zu lesen. Ich ergänze einfach die Sätze, Zeit zum Nachdenken habe ich ja genug. Eigentlich höre ich die Schüsse kaum noch. Würden sie eine Nacht lang nicht auf mich schießen, nur eine Nacht, ich würde womöglich schreiend aufwachen. Ich habe mich eingerichtet in diesem Leben, aber ich wüßte dennoch gerne, warum denn überhaupt auf mich geschossen wird. Darüber denke ich oft nach.