Freitag, 5. Juni 2009
Später Besuch
"Guten Abend."
Ich zuckte herum. "Wer sind Sie?"
Er grinste, mit spöttischem Blick schätzte er die Lage ein. "Ich wohne hier."
"Hier?" Ich war überrascht. Meine Wohnung hat nur ein Zimmer, ein Bad, eine Küche und einen Flur. Wie sollte ich einen zweiten Bewohner übersehen haben? Meine Einsamkeit ist eine endgültige, ich bin alleine, nur das ferne Geräusch der Straße erinnert mich an das Leben der Anderen.
"Natürlich. Ich lebe schon lange hier." Der Blick wurde triumphierend, er stemmte seine Arme in die Seite.
"Aber", begann ich, "von wo kommen Sie denn?" Meine vorgereckten Hände ließen mich wie einen hoffnungslosen Verteidiger erscheinen.
Mit der Geste eines Zirkusdirektors wies er hinter sich. "Sehen Sie doch, dort ist meine Tür."
Und tatsächlich war dort eine kaum sichtbare Tapetentür. Ich trat näher, um ihre Umrisse besser sehen zu können.
"Kommen Sie ruhig hinein. Ich zeige Ihnen alles." Das Lächeln wurde breit und sehr sicher.
Er öffnete die Tür. Ich sah ein riesiges Zimmer, sogar einen Konzertflügel hatte er. Wie konnte ich all das je überhört, übersehen haben? Der Mann hatte ja Recht, ich schuldete ihm jede Anerkennung. Bilder an den Wänden, mit überlebensgroßen Menschen darauf. Und tatsächlich hatte er einen Ausblick auf die Straße, die jedem Raum in meiner Wohnung verwehrt geblieben ist. Mit vaterhaftem Stolz führte er mich an das Fenster und erklärte mir mit ruhiger Stimme das ozeangleiche Gewirr der alltäglichen Welt.
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