Montag, 9. März 2009
Zahltag
"Bitte! Nehmen Sie mein Geld!"
"Ich will Dein Geld nicht."
"Was wollen Sie denn von mir?"
"Ich will wissen, wie hoch Dein Vermögen ist."
"Warum?" Seine Stimme klang panisch.
Ein Schuß, dann wälzte er sich auf dem Boden und hielt sich den blutenden Oberschenkel.
"Ich wiederhole die Frage ein letztes Mal: Wie hoch ist Dein Vermögen?"
"Keine Ahnung. Vielleicht zehn, zwölf Millionen Euro."
"Ich werde Dich töten."
"Sie können alles haben, was Sie wollen. Ich gebe Ihnen alles, was ich habe, nur lassen Sie mich leben." Er zitterte und weinte.
Ein zweiter Schuß in den Kopf beendete das Gespräch.
Er wohnte in einer Zweizimmerwohnung über einer Bäckerei, die an der Hauptstraße des Dorfes lag. Hinter dem Gebäude lag eine üppige blumenübersähte Wiese, die von einem Bach begrenzt wurde. In der Mitte des Baches war eine kleine Insel, auf der sich die Kinder des Bäckers eine kleine Hütte im Gestrüpp gebaut hatten. Lucia, seine vierjährige Tochter, durfte nie dort spielen. Sie war nun schon zwei Wochen tot. Er saß am Fenster und sah hinunter, gedämpft drangen die hellen Stimmen der Kinder durch die geschlossenen Scheiben.
Es hatte ihn eine Stange Geld gekostet, in dieses Restaurant zu kommen. Aber Geld war ihm egal. Er hatte dem toten Börsenmakler die Brieftasche abgenommen und konnte sich einen Anzug und hundert Euro Trinkgeld locker leisten. An der Bar saßen ein paar Männer mittleren Alters, die offensichtlich auf ihre Frauen oder eine andere Verabredung warteten.
"Mit diesen Händen hätte ich Chirurg, Pianist oder wenigstens Uhrmacher werden können. Aber ich führe Senatoren und Bankpräsidenten durch leere Villen."
"Die hatten noch vor drei Jahren eine Marktkapitalisierung von sechzig Millionen, jetzt sind sie bei fast einer Milliarde."
"Ich weiß nicht. Meine Frau will eine Yacht, weil ihre Freundinnen alle eine Yacht haben. Aber was soll ich damit? Ich kann ja noch nicht mal schwimmen. Mir reicht es, wenn ich das Meer mit einer Frozen Margarita in der Hand betrachten kann."
Das übliche selbstverliebte Geschwätz eitler Geldsäcke. Als einer dieser geföhnten Prachtschweine, die uns allen so gerne das Evangelium des Leistungsprinzips predigen, ihre Zeit aber in Privatflugzeugen und Bordellen verbringen, auf die Toilette ging, folgte er ihm. Er hörte in Ruhe zu, wie sich der blonde Lackaffe in einer der Kabinen eine Line Koks reinzog. Als sein Opfer ans Waschbecken trat, tauchte er hinter ihm auf. Er sah noch das überraschte Gesicht, als sein Totschläger auf den Hinterkopf traf. Ein dumpfer Aufprall, eine Weile zuckt und zittert der Leib noch. Wieder einer weniger.
"Sie müssen verstehen, daß ihre Krankenkasse nicht die ganzen Behandlungskosten abdecken kann. Das ist eine sehr spezielle Therapie. Und es ist die einzige, die ihrer Tochter noch helfen kann."
"Aber wo soll ich das Geld her kriegen?"
"Da kann ich Ihnen auch nicht helfen, ich bin nur Arzt. Versuchen Sie es bei Ihrer Bank oder bei Verwandten."
Er hatte das Geld nicht und er bekam es auch nicht. Und so war Lucia an Leukämie gestorben. Dieses zerbrechliche kleine Wesen hatte keine Chance. Und sie war immer so tapfer gewesen. Sie wußte nicht, daß sie sterben mußte. Sie war sich immer sicher gewesen, eines Tages wieder mit ihrem Vater spielen zu können. Er hatte sie neben seiner Frau beerdigt, die von einem Porsche-Geländewagen überfahren worden war.
Den nächsten Millionär überwältigte er im Schlaf und betäubte ihn mit Chloroform. Dann schleppte er ihn auf die Terrasse seiner Villa, steckte einen Schlauch in seinen Schlund und pumpte ihn mit Helium voll. Als er kugelrund davon schwebte, wartete er, bis der bewußtlose Rinderbaron über der Innenstadt war. Mit einem gezielten Schuß aus seinem Jagdgewehr holte er ihn herunter, er wirbelte davon wie ein geplatzter Luftballon.
Als er am nächsten Tag seinen Computer anschaltete, konnte er nicht nur von diesem Ereignis lesen, sondern auch von einem erschlagenen Bonzenschwein in Baden-Baden und einem vergifteten Vermögensverwalter in Zürich. Er lächelte, als er ans Fenster trat und auf die Menschen schaute.
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