Sonntag, 15. März 2009
Aus dem prallen Künstlerleben
Neulich saß ich mit meinen berühmten und weniger berühmten Schriftstellerkollegen am Schriftstellerstammtisch in unserer Schriftstellerkneipe. Schriftstellerkneipen sind heutzutage ja gar nicht mehr leicht zu finden, vor dem Krieg – wir älteren Leute unterscheiden ja immer ‚vor dem Krieg‘ und ‚nach dem Krieg‘ – traf man sich im Café des Westens, das lag da, wo heute Kentucky Fried Chicken im Europacenter gegenüber der Gedächtniskirche sein frittiertes Gelumpe unters Volk wirft. Aber das ist eine andere Geschichte und über Fast Food schreibe ich sowieso nicht. Denn ich wollte die Geschichte erzählen, wie mich Atze, mein Schriftstellerkollege, neulich gefragt hat, ob denn der Wedding und insbesondere das Brunnenviertel überhaupt literaturwürdig sei.
"Na unbedingt", sage ich, "Atze, ick sahre dir, dit is janz jewiß een literaturwürja Ort. Und janz besonders der Brunnenkiez."
"Warum’n ditte?" mischt sich nun auch noch Hotte ins Gespräch.
"Na wejn da Schentrifizierung."
"Watt für’n Ding?" fragt jetzt wieder Atze. Atze hat es nicht so mit der Allgemeinbildung, der hält auch Pilates für griechische Nudeln.
"Also", fange ich an und wechsle ins Hochdeutsche, damit auch die Kollegen mit Migrationshintergrund, also die Bayern, Sachsen und Schwaben, etwas lernen können, denn ich sehe schon ihre gespitzten Ohren näher kommen. "Gentrifizierung funktioniert so: Erst gibt es eine Gegend mit vielen günstigen Mietwohnungen. Die Wohnungen sind günstig, weil die feinen Pinkel da nicht hin wollen. Und so kommen eine Menge junger Leute, Künstler und Studenten in dieses Viertel. Nach einer Weile ist es da ganz toll, das kriegen die anderen Berliner und die Berlinbesucher mit, und schon ist dort die Hölle los. Kneipen und Galerien machen auf, Feste werden gefeiert und plötzlich will jeder dabei sein. So ging es mit dem Prenzlauer Berg, mit Friedrichshain oder dem Bergmannstraßenkiez in Kreuzberg. Alles inzwischen in der Hand gutverdienender Bürger, die Mieten sind gestiegen und die jungen Leute sind gegangen."
"Und wohin sind se jejangen?" will Hotte wissen, nachdem er lange und nachdenklich an seinem Weizenbier gesogen hat.
"Na, eben in den Wedding. Diese Leute, die Künstler und Träumer, die Studenten und Existenzgründer kommen jetzt hierher. Das ist der Vorteil vom Wedding und vom Brunnenkiez. Du musst dich gar nicht weg bewegen, die Szene kommt hierher und verändert alles. Ihr kennt doch alle Heuschrecken, oder?" wechsle ich scheinbar abrupt das Thema.
"Kenn ick. Die treten in jroßen Schwärmen uff und machen allet kaputt. Jibt’s ooch in Unternehmensform."
"Eben", nicke ich Atze zu, "und die jungen Leute sind das genaue Gegenteil. Vielleicht so etwas wie ein Kolibrischwarm. Wo sie sich niederlassen, wächst was, und erst, wenn es groß geworden ist, ziehen sie weiter."
Während der Migrantenteil des Schriftstellerstammtischs in lebhafte Diskussionen verfällt, beuge ich mich zu Atze rüber und sage: "Mensch Atze, dit is jenau der Ort für Literatur. Hier musste als kleener Tintenkleckser hin, vastehste?! Dit hier iss Fontane, dit iss Zille, dit iss Döblin."
Und das hatte Atze verstanden, die Kollegen aus der Vorkriegszeit waren ihm bekannt, wenn auch nur dunkel, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
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