Den
folgenden Text habe ich schon vor zehn Jahren in meinem Blog gebracht, es geht
um seine letzte große Liebe:
SIE
leidet am Borderline-Syndrom mit allen Facetten dieser Krankheit. Sie
beherbergt mehrere Persönlichkeiten, hat Bulimie und sie ritzt sich – bevorzugt
die Fußsohlen, damit sie beim Laufen Schmerzen hat. Und sie läuft viel, denn
sie hat zwei Hunde, mit denen sie häufig Gassi gehen muss. Nach jeder Mahlzeit
geht sie auf die Toilette, um sich geräuschvoll zu übergeben, auch in
Restaurants. Zuvor verschlingt sie beträchtliche Mengen und hat auch einen
ganzen Wäschekorb voller Süßigkeiten in ihrer Küche stehen. Das Einzige, was
sie bei sich behält, ist der Alkohol. Weißwein, Eierlikör und Weizenbier in
rauen Mengen. Bis vier Uhr morgens trinkt diese Frau im Regelfall, es ist eine
wahre Pracht. Seit der Frühverrentung wegen ihrer psychischen Probleme lebt sie
in einer kleinen Wohnung und bezieht eine Rente auf Hartz-IV-Niveau. Sie hat
einmal als Juristin gearbeitet, ein hervorragendes Abitur gemacht und ist die
Adoptivtochter eines namhaften Politikers, der im Rotarier-Club ist. Ihr
tatsächlicher Vater lebt in den Vereinigten Staaten, ihre Mutter lebt getrennt
von ihm auf Hawaii. Die Mutter ist schizophren, drogenabhängig und überdies von
adliger Geburt, was ihre Tochter zu einer Baroness macht. Zum Zeitpunkt der
Erzählung hat unsere Heldin einen mehrmonatigen Aufenthalt in einer
Nervenheilanstalt hinter sich, wo sie auch ihren aktuellen Freund kennengelernt
hat. Ihren Noch-Freund …
ER
arbeitet im Kühllager einer Supermarktkette, Nachtschicht. Er hat achtzehn
Semester Sozialklimbim studiert, ohne jemals die Universität von innen gesehen
zu haben. Danach scheiterte er als Wirt einer Dorfkneipe und war Hartz-IV-Empfänger,
bevor er den Job als Lagerarbeiter ergattert hat. Auch er trinkt gerne, nimmt
Drogen, ist überdies spielsüchtig und ein Messi. Seine Wohnung könnte man
mühelos als Location für eine entsprechende Produktion von RTL II verwenden. Er
ist drei Monatsmieten im Rückstand und hat überall Schulden. Er ist depressiv
und neigt zu exzessivem Selbstmitleid – bis er eines Abends SIE kennenlernt.
BEIDE
treffen sich auf einem Dorffest und sind sturzbetrunken, als Amors Blitz
einschlägt. Er verliebt sich in sie. Nachts steht er fortan regelmäßig vor
ihrem Haus und schaut zu den Fenstern ihrer Wohnung empor. Er hofft, wenigstens
ihre Silhouette zu sehen. Über Monate nähert er sich dem Objekt seiner
Leidenschaft an, sie trinken zusammen, sie verstehen sich prächtig. Die
Kommunikation läuft zwischendurch über SMS, da sie aufgrund ihrer Erkrankung
unfähig ist, am Telefon zu sprechen. Irgendwann kommt es zu ersten
Zärtlichkeiten. Einige Wochen später trennt sie sich von ihrem psychisch
kranken Freund und die beiden werden ein Paar. Die Beziehung dauert nur sechs
Wochen, während der sich die beiden mehrfach trennen und wieder versöhnen.
Morgens schreibt sie in einer SMS, dass sie ihn liebt, abends schreibt sie in
einer SMS, dass sie ihn hasst. Dazwischen ist nichts passiert. Manchmal kommt
es zu dramatischen Szenen, wenn er ihr zum Beispiel vorschlägt, etwas in
getrennten Zimmern zu machen, also etwa kochen und fernsehen. Dann fühlt sie
sich verlassen und weint. Als er einmal am Sonntagmorgen in seine Wohnung geht,
um Wäsche zu waschen, schickt sie ihm eine SMS, er hätte sie wegen der
Waschmaschine verlassen und brauche auch nicht mehr wiederzukommen. Tatsächlich
geht er in eine Spielothek, um zu zocken, erzählt später aber, er habe die
uralte Waschmaschine permanent im Auge behalten müssen. Über die Intensität der
Beziehung gibt es widersprüchliche Ansichten. Laut seiner Aussage kam es zu
sexuellen Handlungen. Einmal habe er sogar neunzig Minuten ununterbrochen
(„Nonstop! Ich habe auf die Uhr gesehen“) mit ihr gevögelt, er hätte sogar eine
Blase am Penis gehabt (und das alles ohne Viagra!). Nach ihrer Aussage gab es
überhaupt keinen Sex. Er sei immer betrunken neben ihr eingeschlafen.
Am
Ende trennen sie sich, versichern sich aber gegenseitig, man wolle befreundet
bleiben. Ihrer Meinung nach sind sein schlechter Charakter und seine Impotenz
ausschlaggebend für die Trennung, seiner Meinung nach ihre Geisteskrankheit.
Als sie sich wenige Tage später im Biergarten eines Campingplatzes wiedersehen
- sie ist inzwischen wieder zu ihrem alten Freund zurückgekehrt, in dessen
Begleitung sie ist, er verzehrt gerade ein Jägerschnitzel, ich sitze mit ihm am
Tisch und werde so Zeuge der Begegnung -, dreht sie sich wortlos um und geht
zum Auto zurück, während er augenblicklich Messer und Gabel fallen lässt und
den Gastwirt um die Rechnung bittet. Da ihr neuer und alter Freund Kampfsport
betreibt, kündigt er auf dem Heimweg den Besuch eines Waffengeschäfts an. In
die Dorfkneipe geht er nur noch, wenn sie nicht anwesend ist. Er schickt einen
Kumpel vor, der ihm ein Zeichen gibt, ob die Luft rein ist. Und natürlich
lästert er, der von der Liebe und den Frauen so enttäuscht wurde, wo er nur
kann. Und so erreicht die Geschichte mit all ihren amüsanten und pikanten
Details schließlich auch den ehrwürdigen Chronisten von Wichtelbach.