Was
Ratschläge angeht, um die ich nicht gebeten habe, bin ich offenbar ein
Idiotenmagnet. Neulich habe ich mich mit einem Miteigentümer in der
Eingangshalle unseres Hauses unterhalten. Ich habe meine Wohnung im Februar
1992 gekauft, er hat seine Hinterhauswohnung 1989 gekauft. Inzwischen gehört
ihm eins der beiden Hinterhäuser komplett und er lebt als Miethering in einem
Landhaus bei Bremen. Er hat meine Wohnung noch nie betreten, hat mir aber den
Rat gegeben, meine Wohnung nach all den Jahren zu renovieren und auch alle
Wasser- und Stromleitungen zu erneuern. Außerdem sollte ich die Fliesen in
meinem Bad rausreißen, um eine Fußbodenheizung einbauen zu lassen. Seine Frau
habe das in ihrer Wohnung, eine Etage über mir, machen lassen, damit sie nicht
so kalte Füße bekommt, wenn sie aus der Badewanne steigt. Ich lege da seit knapp
33 Jahren ein Handtuch hin. Ich habe seinen Vorschlag unkommentiert gelassen.
Heiligabend habe ich den ganzen Nachmittag bei Tee und Kuchen mit meiner
Nachbarin zusammengesessen und wir haben sehr gelacht. Besagter Ratgeber hatte
vor zwanzig Jahren auch die Idee, in unserem großen Garten ein Kaffeehaus zu
bauen, in dem ich dann meine Dichterlesungen machen könnte. Schön, dass er an
mich gedacht hat. In der Eigentümerversammlung hat ihn natürlich keiner ernst
genommen.
Wann
sollte man ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen? Erstens ist eine solche
Entscheidung immer ein Statement. Hier bleibe ich, vielleicht nicht für immer,
aber doch für eine lange Zeit. Es ist auch finanziell lukrativ, selbst wenn der
Immobilienmarkt stagniert. Die beste Rendite ist eine nicht gezahlte Miete.
Oder wie man in Rheinhessen sagt: Liebe vergeht, Acker besteht. In welchem
Alter befasst man sich mit dem Thema? Die meisten fangen in der Phase der
Familiengründung und der Festanstellung an, wenn man auch schon genügend
Rücklagen für eine Anzahlung gebildet hat. Vielleicht mit dreißig oder vierzig
Jahren. Wer würde mit sechzig Jahren mit dem Bau eines Hauses anfangen? Die
Kinder sind aus dem Haus und man ist auf der Zielgeraden zu einem entspannten
Lebensabend.
Trotzdem
ist ein Freund auf genau diese Schnapsidee gekommen. Nennen wir ihn Holgi. Er
selbst stammt aus einer altehrwürdigen Mieterdynastie. Er selbst hat immer
Miete gezahlt, seine Eltern auch, ebenso seine Schwester. Er hat also null
Erfahrung. Wie heutzutage üblich fing er an, im Internet zu surfen. Nach sechs
Monaten „Recherche“ ist er, O-Ton Holgi, „gut im Thema drin“. Er nimmt Kontakt
zu einer Firma auf, die Fertighäuser baut. „Die haben eine gute Bewertung im
Internet“, meint Holgi. Das wäre für mich ein Kriterium, wenn ich eine Pizza
bestelle, aber nicht bei einem Bauprojekt. Seine Frau hat eine Wiese geerbt,
die man möglicherweise bebauen kann. Genaues weiß man nicht.
Wie
würde man in diesem Fall vorgehen? 1. Einen Termin beim zuständigen Bauamt
machen und dann eine Baugenehmigung beantragen. 2. Sobald man sie hat, lässt
man sich von einem halben Dutzend Unternehmen Angebote machen. Nicht Holgi. Er
macht einen Termin beim Fertighausfritzen seiner Wahl und lässt sich ein Haus
aufschwatzen, das inklusive Anschluss an die Kanalisation, das Stromnetz usw.
650.000 Euro kosten soll. 170 qm Wohnfläche, kein Keller, in die
Einliegerwohnung soll auch noch die Schwester seiner Frau einziehen. Eigenes
Vermögen: 300.000, Kreditsumme: 350.000. Ich rechne ihm vor, dass er den Kredit
bis zu seinem achtzigsten Geburtstag abstottern muss. Dann müsse er eben bis
achtzig arbeiten. Holgi ist Angestellter. Es gibt keine achtzigjährigen Angestellten.
Auch als Selbständiger bekommt er im hohen Alter keine Aufträge und auch keinen
Job mehr. Die Unternehmen setzen bei Stellenausschreibungen und Projektvergaben
inzwischen KI ein. Alter ist natürlich ein Auswahlkriterium. Die KI würde sein
Anschreiben automatisch in den Spamordner verschieben, kein Mensch bekäme es je zu Gesicht.
Eigentlich
ist die Sache ein finanzielles Himmelfahrtskommando, aber Holgi ist Feuer und
Flamme. Mit einem seligen Kinderlächeln zeigt er mir eine Weihnachtskarte der
Fertighausfirma. „Die haben uns sogar eine Karte geschickt.“ Ein Vordruck ohne
Unterschrift, vermutlich tausendmal rausgegangen, auf der Vorderseite sieht man
– Surprise, Surprise – ein Fertighaus. „So wird unser Haus vielleicht auch mal
aussehen.“ Holgi glaubt, er müsse eines Tages nur noch zu seinem Grundstück
fahren, bekäme einen Schlüssel in die Hand gedrückt („Die bauen
schlüsselfertig“) und könnte den Möbelpackern Bescheid sagen. Das Grundstück
hat, wenn es bebaut werden darf, einen Wert von 100.000 Euro, Haus und
Grundstück also einen Gesamtwert von 750.000 Euro. Was kriegt man in seiner
Stadt für das Geld? Ich habe mal nachgesehen. Zum Beispiel eine
denkmalgeschützte Gründerzeitvilla mit 570 qm Wohnfläche und 2500 qm
Grundstücksfläche. Man bewohnt einen Teil des Hauses und lässt seine Mieter die
Hypothek abtragen. Aber Holgi startet nächstes Jahr sein großes Projekt. Ich
freue mich jetzt schon auf den Moment, in dem es ihm langsam dämmert, dass er
wohl einen großen Fehler gemacht hat. Besagte Nachbarin, die selbst seit
Jahrzehnten zwei große Eigentumswohnungen in Berlin besitzt, hat natürlich
Tränen gelacht, als ich ihr die Story erzählt habe.
P.S.:
Sucht man nach vergleichbaren Objekten, bekommt man Holgis Traumhaus mit
Grundstück (in einem eingemeindeten Dorf am Rand des Stadtgebiets) für 250.000
Euro. Beim Wiederverkauf würde er also niemals 750.000 Euro bekommen, seine
Erben auch nicht.
P.P.S.:
Bis zur Pensionierung von Holgis Frau 2032 müssen sie ohnehin in einer anderen
und weit entfernten Stadt bleiben. Man könnte das Haus also auch wesentlich
später bauen. Derzeit zahlen sie zweitausend Euro Miete. Dazu käme der Kredit,
ca. 1.500 Euro ohne Zinsen monatlich. Lustigerweise hat seine Frau auf dem
Nachbargrundstück mit ihren beiden Geschwistern ein Haus mit zwei separaten
Wohnungen geerbt und renoviert (Marktwert: 270.000 Euro), in das sie einfach
einziehen könnten. Ihre Schwester lebt schon dort. Aber das wäre Holgi vermutlich
zu einfach und nicht kostenintensiv genug.
P.P.P.S.:
Ich verkaufe gerade das Haus, das ich im Sommer geerbt habe. Holgi hat mir bei
meinem letzten Besuch wertvolle Tipps gegeben. Er ist eben „gut im Thema drin“.
In Augenblicken, in denen Holgi sich unbeobachtet fühlt, versucht er, übers Wasser zu wandeln.