Freitag, 26. August 2022

Hauptstadthorror

 

Es klingelt an meiner Wohnungstür. Dann wird geklopft. Wieder Klingeln. So geht es minutenlang. Entweder brennt das Haus oder ein Amokläufer steht vor der Tür. Ich habe so etwas in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Soll ich zur Tür gehen? Im Eingangsbereich habe ich immer ein Jagdmesser der finnischen Firma Marttiini in Griffweite. Da fällt jedem Türkenproll das Schnappmesser aus der Hand. Das Teil ist die ultimative Nahkampfwaffe.

Klingeln. Klopfen. Vor meiner Tür steht die Orkarmee. Ich stelle mich der Herausforderung. Vor meiner Tür steht im echten Leben meine Nachbarin. Ein Hobbit in Hausschuhen. So gefährlich wie ein Restaurant-Flyer. Mein Neffe sei zu einem Überraschungsbesuch nach Berlin gekommen, erzählt sie, habe mich in meiner Wohnung nicht angetroffen und hernach bei ihr geklingelt. Er hätte ihr erzählt, die ganze Familie würde sich Sorgen machen, vor allem mein Vater. Seit Monaten hätte ich mich nicht mehr bei meinen Verwandten gemeldet, möglicherweise sei mir etwas passiert, vielleicht läge ich auch tot in der Wohnung. Ich treffe meinen Vater zweimal die Woche, im Urlaub telefonieren wir zweimal die Woche.

Dieser Besuch meines Neffen fand um die Mittagszeit statt, ich war also gerade in einem Restaurant. Als ich am Abend nach Hause kam, war meine Nachbarin, die ich seit dreißig Jahren kenne, natürlich in heller Aufregung. Bin ich tot oder was? Ich erklärte ihr die Lage: Neffe ADHS, viel Ritalin, viel Sonderschule, jetzt auf dem zweifelhaften Weg zum BWLer. Meine Schwester Querdenkerin, seit einem Jahr ohne Kontakt zur Familie. Ich kann nur jedem Leser gratulieren, der ein normales Umfeld hat.

1 Kommentar:

  1. Aus privater und beruflicher Erfahrung würde ich sagen: das IST normal. Es ist immer irgendwo der Wurm drin.
    Wobei ich mir sicher bin, dass der "Wurm" das umgekehrt auch über mich sagt. ;-)

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