Die
Idee kam mir, als ich in Berlin-Mitte einen Mann gesehen hatte, der total
ausgeflippt ist. Er war nicht einer von den üblichen Leuten, die schreiend
durch die Stadt laufen und mit den Armen um sich schlagen wie ein Grizzly auf
Speed. Es war einer dieser Schlipstypen in grauen Anzügen. Mit Aktentasche und
glänzenden Lederschuhen. Keiner Ahnung, was er wollte, aber er schmiss eine
Menge Sachen durch die Gegend. Einen Kaffeebecher, der seinen Inhalt in einen
Gully ergoss. Ein Handy, das an einer Hauswand zerschellte. Irgendwelche
Blätter voller Grafiken und Text. Und einen Ausweis.
Als
der Mann um die Ecke verschwunden war, neuen Eskalationen entgegen, hob ich den
Ausweis auf und nahm ihn mit. Als ich wieder zuhause war, sah ich mir das Ding
genau an. Es war ein Firmenausweis mit einem Magnetstreifen. Tobias Zähringer,
ungefähr mein Alter und meine Größe. Von der Berliner Versicherungsgesellschaft
AG (BVG). Was sollte ich mit dem Ding? Andererseits war mir langweilig. Ich
hatte nichts zu tun. Offiziell nannte ich mich Schriftsteller, aber eigentlich
machte ich den ganzen Tag überhaupt nichts. Nach einer Flasche Wein hatte ich
die Idee.
Am
nächsten Morgen marschierte ich in meinem alten Anzug in die Zentrale der
Versicherung an der Leipziger Straße. Ich zog meinen Firmenausweis durch einen
Schlitz und passierte problemlos das Drehkreuz. Aber dann sprach mich eine Frau
am Eingangsportal an. War ich aufgeflogen? Reflexartig zeigte ich ihr den
Ausweis und sagte „Multipass“. Aber sie erklärte mir nur, ich solle zu Direktor
Kramer in Zimmer 648 kommen. Also stieg ich in den Fahrstuhl und fuhr in den
sechsten Stock. Was sollte schon passieren?
Kramer
hat schlohweiße dünne Haare und das unbestimmte Alter von Reptilien. Er sah
mich durch die daumendicken Gläser seine Hornbrille an und verzog angewidert
den Mund. Meine Zahlen seien grauenhaft, sagte er. Was denn in meinem Bezirk
los sei. Ich erzählte ihm etwas von schwierigen Kunden und der außergewöhnlichen
Geschäftslage. Da ich keine Ahnung vom Versicherungsgeschäft hatte, hielt ich
die Sache eher allgemein und fütterte ihn mit harmlosen Belanglosigkeiten. Um
14 Uhr sei ein Meeting im vierten Stock, schärfte er mir ein. Dann solle ich
meine Zahlen präsentieren.
Auf
meinem Ausweis stand meine Zimmernummer: 213. Also ging ich in mein Büro.
Vorher nahm ich in der Teeküche der Abteilung einen Kaffee, einen Joghurt und ein
Sandwich mit Eiersalat mit. Der Computer war nicht passwortgeschützt. Ich
surfte den ganzen Vormittag im Netz. Punkt zwölf ging ich in die Kantine und
bezahlte mit meinem Ausweis ein Cordon Bleu mit Pommes, eine große Cola, ein
Stück Käsekuchen und einen Schokoriegel für später. Das Meeting habe ich
natürlich geschwänzt. Irgendwann dachte ich, dass ich für heute genug
gearbeitet hätte, und ging nach Hause.
Am
Abend dachte ich über den Tag nach. Warum machte ich das Ganze nicht mit meinem
eigenen Job als Schriftsteller? Ich musste nur den echten Kollegen ablenken und
mit meinen eigenen Texten zur Lesung gehen. Niemand weiß, wie ein
Schriftsteller aussieht.
Mit Waldo
Hübner fing ich an. Ich suchte mir seine Mailadresse auf seiner Webseite und
sagte im Namen einer Buchhandlung die Lesung ab. Bombendrohung. Wegen seiner
Kritik an Neonazis. Er nahm die Terminverschiebung an. Wahrscheinlich ging ihm
gerade der Arsch auf Grundeis.
Ich
ging an seiner Stelle hin. Endlich hatte ich meine erste Lesung. Ich zog ein weißes Hemd an, darüber einen
dunkelblauen Pullunder. Und Cordhosen. Sicher würden Deutschlehrer anwesend
sein. Tragen die nicht alle Cordhosen? Egal.
Die Buchhändlerin begrüßte mich
in ihrem Laden und sprach ein paar einführende Worte zu den etwa zwanzig
Gästen. Ich setzte mich derweil an den Tisch, trank einen Schluck Wasser und
ordnete meine Manuskriptseiten. Zur Sicherheit las ich zunächst eine bekannte
Kurzgeschichte von Waldo Hübner. Dann erklärte ich, aus noch unveröffentlichten
Werken lesen zu wollen.
Ich begann mit „Die Dunkelheit
am Ende des Tunnels“. Das Publikum nahm es klaglos hin, niemand verließ den
Raum. Dann wurde ich mutiger und las ein Kapitel aus „Du bist an allem schuld, Ulla“,
einer Abrechnung mit meiner Ex-Frau. Zum Abschluss las ich noch ein paar
Gedichte aus meinem Zyklus „Rummenigge in Halberstadt“.
Durch diesen Erfolg mutig
geworden, schrieb ich eine Woche später Eberhard Schwengel an. Der bekannte
Autor war Rollstuhlfahrer. Ich schrieb ihm, der Veranstaltungsort sei nicht
barrierefrei, und schickte ihn in die Markthalle am anderen Ende der Stadt.
Auch er akzeptierte es, ohne misstrauisch zu werden.
In der Kreissparkasse sprach ich
vor vierzig Leuten. Den Rollstuhl hatte ich mir für fünfzig Euro bei Ebay
besorgt. Es war erneut ein großartiger Abend. Vor allem mein humoristisches
Requiem „Endlich ist Günter Grass tot“ kam fantastisch an. Am Ende gab es
stürmischen Applaus. Das Publikum erhob sich und konnte sich gar nicht
einkriegen vor Begeisterung. Also erhob ich mich auch und verbeugte mich. Der
Skandal war perfekt. Ich rannte um mein Leben.
Jetzt gehe ich zu Beerdigungen.
Mein neues Hobby. Ich treffe Menschen, die Trost suchen. Oder einfach nur ein
Gespräch mit einem mitfühlenden Menschen. Es gibt Kaffee und Kuchen und abends
hat man immer frei.
Chicago
- I'm a Man - 7/21/1970 - Tanglewood (Official) - YouTube
Ehre, wem Ehre gebührt (Steve Winwood)
AntwortenLöschenSpencer Davis Group - I'm a Man
https://www.youtube.com/watch?v=4_gFF-z9OS8
LEBEN in/als ein ANDERER ... ich höre HOLLYWOOD rufen... ;)))
AntwortenLöschen"Das Leben der Anderen"
Hollywood plant Remake
Noch ist es Ulrich Mühe, der als Stasi-Spitzel in "Das Leben der Anderen" sein Unwesen treibt.
Könnte bald aber auch Anthony Hopkins sein.
Oder vielleicht Ed Harris?
Aber bestimmt Matthias Bonetti sein !!!
In Hollywood denkt man über eine Neuverfilmung des deutschen Oscar-Films nach.
*zwinker*
Du wirst mir doch hoffentlich nach Hollywood folgen? In meiner riesigen Filmstar-Villa in Beverly Hills ist immer ein Platz für dich, Engelchen ;o)
Löschen... ❤️ *DICH LIEB ANSTRAHL*
LöschenSchreib doch mal was, wo richtig viel kaputt geht.
AntwortenLöschenWo die Regierung enthauptet wird und anschließend
die Herrschaftlosigkeit herrscht. Irgendwas mit
viel Bums und mit Held.
Wäre ich von der Filmbranche, würde ich mir die Rechte für diese Story sichern.
AntwortenLöschenChapeau.