Sachrang
im Chiemgau. Eine Urlaubsgegend wie aus dem Bilderbuch. Berge, Wälder, Seen.
Frische Luft, himmlische Ruhe. Und das beste: keine Bayern. Zumindest nicht im
„Naturdorf“, einer Ferienhaussiedlung außerhalb des eigentlichen Dorfes direkt
an der Grenze zu Österreich.
Hier
haben sich Kölner Zahnärzte, Berliner Rechtsanwälte und Hamburger
Porschehändler ein Stück Idylle in Form eines schnuckeligen Holzhauses gekauft.
Fünfzig Stück wurden auf die grüne Wiese gesetzt. Keine Restaurants, keine
Geschäfte, nichts. Einfach nur Wohnhäuser. Die pure Erholung. Aber wegen Corona
ist es ein Geisterdorf. Alle bleiben zuhause.
An
diesem Punkt komme ich ins Spiel. Ich wollte schon immer mal schöner wohnen.
Mein WG-Zimmer in der Liebigstraße 34 habe ich gerade verloren und der Winter
steht vor der Tür. Also habe ich meinen Rucksack gepackt und bin mit dem Zug
nach Bayern gefahren. In München bin ich aus dem ICE gestiegen und mit der
Bimmelbahn nach Bernau am Chiemsee gefahren. Von dort aus ging es mit dem Bus
nach Sachrang und zu Fuß weiter in die Feriensiedlung.
Was
soll ich sagen? Kein Schwein zuhause. Nirgends. Also habe ich mir in aller
Seelenruhe ein Haus ausgesucht und das Türschloss aufgebohrt. Die Einrichtung
ist eher rustikal, Holzmöbel und alte Spinnräder. Mein Stil ist es nicht, aber
die Küche ist perfekt eingerichtet und blitzblank. Kühlschrank und Herd
funktionieren, das Licht brennt in jedem Zimmer und den Heizraum habe ich auch
schnell gefunden. Selbst das große Doppelbett im ersten Stock ist frisch
bezogen.
Aber
bis auf ein paar Konserven sind keine Vorräte im Haus. Das Problem habe ich
jedoch schneller gelöst, als ich es erwartet hätte. Im ersten Stock gibt es
neben dem Schlaf- und dem Badezimmer noch ein Arbeitszimmer. Da steht ein
Notebook. Ich schalte es an und bin online, ohne Passwort. Ich klicke auf das
Amazon-Logo in der unteren Menüleiste. Auch hier kein Passwort, keine
Sicherung. Also habe ich erst mal ein paar gute Flaschen Wein bestellt. Nicht
zu gut, damit es den feinen Besitzern, die gerade irgendwo in einer Großstadt
sind, auf den Kontoauszügen nicht auffällt. Ich teile meine Bestellungen auf.
Käse- und Wurstspezialitäten, Wodka, Whisky und andere lebenswichtige Dinge
erreichen mich in den nächsten Tagen per Lieferdienst.
Nach
einer Woche Erholung ist es mir schließlich langweilig geworden. Also habe ich
meine Freunde in Berlin angerufen. Schließlich stehen noch 49 Häuser leer. Und
was leer steht, soll man besetzen. Inzwischen ist Leben im Dorf. Wir feiern die
Tage und die Nächte durch. Endlich können wir die Sonnenseite des Kapitalismus
genießen. Es ist gar nicht so übel. Gelebte Solidarität zwischen Arm und Reich.
Echter Kommunismus, wahre Anarchie. Wenn Marx und Bakunin das noch erlebt
hätten!
P.S.:
Sollte eines Tages tatsächlich die Polizei anrücken wie in Berlin, können wir
schnell nach Österreich verschwinden. Vom letzten Haus des „Naturdorfs“ bis zur
Grenze sind es nur knapp dreißig Meter.
Prince & The Revolution - Purple Rain
(Live 1985). https://www.youtube.com/watch?v=bm03wqLY3Nc
Rechts steht im Intro zu diesem Blog:
AntwortenLöschen" Von 1991 bis 2013 lebte er in Berlin, drei Jahre arbeitete er als Kiezschreiber im Wedding. Inzwischen lebt er in Schweppenhausen und genießt einfach das Leben. "
Wie passt das zu diesem (und den vorherigen Berlin-lastigen) Texten?
Was ist nun wahr? Ist das hier "Fiction" oder echt erlebt?
Ich habe eine Zweitwohnung in Berlin. Wenn Sie regelmäßig dieses Blog lesen, können Sie sogar die genauen Reisetermine erfahren. Am 17.9. kündigte ich unter der Überschrift "Bonetti fährt in die Stadt" meine Reise nach Berlin an und vor einigen Tagen schrieb ich ausführlich über meine Rückreise ("Die Reise nach Petuschki").
Löschen"Keine Restaurants, keine Geschäfte, nichts. Einfach nur Wohnhäuser."
AntwortenLöschenUnd was ist mit dem "Café SusAl"? Und mit dem "Naturdorf-Laden"? In diesem Naturdorf ist die Hölle los!
Sehr gut. Ein Leser, der eigenständig recherchiert. Da bekommt man als Autor auf seine alten Tage noch feuchte Augen ;o)
LöschenSie haben recht. Das Dorf wurde in der BR-Sendung "Quer" am 1. Oktober vorgestellt, da gibt es auch ein Interview mit dem Café-Besitzer, dessen Betrieb vermutlich gerade den Bach runtergeht, weil keiner kommt. Aus dramaturgischen Gründen habe ich das Dorf aber unbewohnt geschildert, damit ich meine Geschichte inszenieren kann.