Oliver Driesen interviewt Andreas Glumm.
http://www.zeilensturm.de/?p=6923
Die Literatur ist, wie alle Künste, eine Hure – und der Verleger ist ihr Zuhälter. Du kannst gut sein, du kannst sogar wissen, dass du gut bist, es hilft dir nichts, wenn es darum geht, Geld mit Literatur zu verdienen. Man muss sich nur die Bestsellerlisten zu Kafkas Lebzeiten ansehen: Schund läuft, Kunst läuft nicht. Jede Generation bringt nur eine Handvoll Autoren hervor, die vom Schreiben – und damit meine ich nicht Liebes- oder Kriminalromane – leben kann. Wer nicht als schnöder Worthandwerker in den Medien enden will, sondern große Werke schaffen will, sollte sich also davor hüten, sein Haus auf dem Sand zukünftigen Ruhms als Literat zu bauen.
Kafka wollte nie etwas anderes als schreiben – er studierte Jura, wohnte ewig in seinem Kinderzimmer und wurde Versicherungsangestellter. Wie uncool. Bukowski war genauso – er hat endlose Jahre als kleiner Angestellter bei der Post verbracht, Briefe sortiert und ausgetragen. Das ist die Message der Literaturgeschichte, in der die Ausnahmen die Regel bestätigen: Mach dich nicht zur Nutte, vertrau nicht auf die Zuhälter in den Verlagen. Mach dich nicht abhängig, lass dich nicht auf Kompromisse ein, wenn es um deinen Text geht.
Kommen wir zum geschätzten Kollegen Glumm. Ich möchte eine steile These vertreten, für die mich der Kollege und seine Fans gerne steinigen können. Aber ich halte sie für plausibel und werde die kommenden Härten aushalten können. Der frühe Literaturpreis in den achtziger Jahren hat ihm geschadet, denn er hat auf diesem Weg die falsche Botschaft bekommen: Werde Schriftsteller, verdiene in Zukunft dein Geld mit der Kunst. Was ist passiert? Wenn ich das Blog und die Biographie richtig verstanden habe, sind in den folgenden Jahren – um nicht zu sagen: Jahrzehnten – keine Erzählungen mehr entstanden, geschweige denn ein Roman. Der Gedanke, Künstler zu sein, ohne ihm mit ernsthaften Arbeitsergebnissen gerecht zu werden, hat jeden Impuls, sich einen Brotberuf wie Kafka oder Bukowski zu suchen, im Keim erstickt.
Wenn man mit Anfang vierzig dann noch einmal versucht, einen späten Einstieg ins erbarmungslose System der Lohnarbeit zu schaffen, fühlt man sich zu Recht, wie Glumm sagt, als Zuschauer und als Besucher einer Welt, die so fremd ist wie ein Kuriositätenkabinett auf dem Jahrmarkt. Ein weiterer Aspekt: Der Kollege Glumm hat sich der autobiographischen Literatur verschrieben, wofür ich ihm auch dankbar bin, denn es sind wunderbare Geschichten, die er zu erzählen hat – aber mit zwanzig oder dreißig hat man noch nicht genug zu erzählen, um ganze Bücher zu füllen, wenn man nicht gerade einen neuen Kontinent entdeckt oder eine Revolution angeführt hat.
Der Literaturpreis, ausgezeichnet mit dreitausend Mark – damals eine Menge Geld für einen jungen Mann –, war in meinen Augen der falsche Anreiz. Das ist meine These. Wie viele Bands hatten in den achtziger Jahren einen einzigen Hit und tingeln jetzt noch über Bierfeste und treten bei Autohauseröffnungen oder Hochzeiten auf, weil sie dem trügerischen Lockruf des Ruhms erlegen sind? Die Drogenkarriere – geschenkt. Gehört in Künstlerkreisen und in den Medien generell zum guten Ton und schmückt jede Vita. Armut – macht in Künstlerkreisen sympathisch.
Meine nächste steile These: Demnächst muss der späte Erfolg her. Glumm muss groß raus kommen. Weil er der beste unentdeckte Schriftsteller ist (ich kenne sie alle). Aber bitte noch nicht mit 56. Das würde ihn völlig aus der Bahn werfen. Dann flippt er ja die nächsten zwanzig Jahre lang komplett aus und schreibt nur noch Scheiße. Aber mit sechzig, siebzig oder so. Das wäre gut. Bis dahin wird er mit der sturen Beharrlichkeit, die wir von ihm kennen und schätzen, das Material produzieren, über das man noch in fünfzig Jahren Doktorarbeiten schreiben wird.
P.S.: Im Interview wird immer wieder das Thema Geld angesprochen. Ich halte das für irrelevant, wenn es um Literatur geht. Da werden Rechnungen angestellt, wie viel Geld der Kollege für Alkohol und Drogen ausgegeben hat. Ist das wichtig? Ich kenne diese absurde Mathematik: Hättest du nie geraucht, würdest du heute einen Ferrari von dem gesparten Geld fahren. Ich kenne viele Menschen, die das Rauchen aufgegeben haben. Keiner fährt Ferrari. Zeit ist der entscheidende Faktor. Man braucht Zeit, um Erzählungen und Romane zu schreiben. Kein Geld. Talent, Lebenserfahrung, Geduld und Menschen, die dich unterstützen. Aber Geld schießt keine Tore und Geld gibt uns auch nicht die Texte, die Menschen wie Kafka oder Bukowski hinterlassen haben. Glumm funktioniert auch ohne Geld. Und für mich auch ohne Ruhm.
P.P.S.: Ich hätte einem Autoren ja ganz andere Fragen gestellt.
Wann schreibst du? Morgens, mittags, abends, nachts?
Wie lange schreibst du am Stück? Wie viele Seiten?
Inspirieren dich die Lektüre anderer Autoren, die eigene Erinnerungen, alltägliche Erlebnisse oder andere Dinge?
Schreibst du nüchtern, angetrunken oder im Rausch? Kaffee und Zigaretten? Benutzt du Drogen als Hilfsmittel? Wie war das in deiner Vergangenheit?
Wieviel von dir ist über der Wasseroberfläche, wieviel darunter? Konkret: Wieviel deiner Arbeit am Text veröffentlichst du, wieviel bleibt im Notizbuch?
Wie schreibst du? Erst mit der Hand, dann am PC?
Wie oft überarbeitest du einen Text, bevor du ihn freigibst?
Von welchen anderen Autoren hast du etwas lernen können – und was?
Gibt es eine Person, die deine Texte gegenliest, bevor du sie veröffentlichst? Wie groß ist der Einfluss dieser Person - oder dieser Personen?
Welchen Einfluss hat das Feedback der Blog-Leser im Kommentarbereich, der Leserzahlen im Blog oder der Absagen durch Verlage?
Warum arbeitest du nicht an fiktionalen Texten?
Du konzentrierst dich auf nicht-fiktionale, autobiographische Texte. Inwiefern hindert es dich an der Arbeit, dass Personen, die in deinen Texten vorkommen, deine Texte lesen? Bekommst du Feedback von diesen Personen – deine Freundin ausgenommen? Fällt es dir leichter, über Menschen zu schreiben, von denen du weißt, dass sie deine Texte nicht lesen oder nicht mehr lesen können?
Hast du Angst davor, dass deine Erinnerungen einmal auserzählt sein können?
Fürchtest du dich vor dem Tag, an dem du das Gefühl hast, deine Rolle als Erzähler nicht mehr spielen zu können?
Was vermisst du an deinem Leben? Gibt es etwas, dass du gerne gemacht oder erlebt hättest?
Welchen Tag möchtest du gerne noch einmal erleben?
John Watts – One Voice.
https://www.youtube.com/watch?v=QAlnZK8zGMk