Sonntag, 10. Januar 2016

1966

„Die kapitalistische Epoche ist eine Etappe auf dem Weg zur Entzauberung.“ (Siegfried Kracauer)
In diesem Jahr werde ich fünfzig Jahre alt. In meinem Geburtsjahr starben einige bedeutende Menschen:
Hermann Kasack, der „Die Stadt hinter dem Strom“ geschrieben hat. Ein düsterer Nachkriegsroman, der auf bedrückende und zugleich faszinierende Weise die Stimmung im Totenhaus Deutschland 1945 einfängt. Der Protagonist kommt mit dem Zug in eine Stadt, in der er als Chronist arbeiten soll. Seine Aufgabe ist es, das Leben und die Kultur der Menschen zu dokumentieren. Aber er begreift die Menschen und ihre Handlungen nicht – bis er erkennt, dass er in der Stadt der Toten ist.
Alberto Giacometti, dessen zerbrechlich wirkende Plastiken den modernen Menschen besser darstellen, als es die Billionen Selfies albern grinsender Egomanen je vermögen werden.
Buster Keaton, der Komiker, der nie lachte. Ein Stoiker, der die Brutalität des Lebens klaglos erträgt. Der keine Frage stellt, sondern immer wieder aufsteht. Der schon als Kind von seinem Vater zur Erheiterung des Publikums in zahllosen amerikanischen Vaudeville-Theatern geschlagen und in die Kulissen geschleudert wurde, bis eine Kinderschutzorganisation die Eltern anzeigte.
Flann O’Brien, eigentlich Brian O’Nolan, dessen Romane von Harry Rowohlt ins Deutsche übertragen wurden. In meinen Augen der größte irische Schriftsteller, nachdem ich „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“ und „Ulysses“ von Joyce gelesen hatte. Von „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“, seinem ersten Roman, wurden im Erscheinungsjahr 1939 nur 244 Exemplare verkauft, was jeden Schriftsteller oder Blogger ermutigen sollte, einfach immer weiterzumachen. Wie alle irischen Poeten war er ein großer Säufer vor dem Herrn, der am Ende seine Texte diktieren musste, weil er die Tasten seiner Schreibmaschine nicht mehr traf.
Evelyn Waugh, eigentlich Arthur Evelyn St. John Waugh, Autor von „Tod in Hollywood” und „Scoop”, den beiden wesentlichen Werken zu den Themen „Bestattungsinsitute“ und „Journalismus“. Britischer Humor vom Allerfeinsten, Old School.
Cordwainer Smith, eigentlich Paul Linebarger, der es als Politikwissenschaftler zum Berater von John F. Kennedy gebracht hat und als Science Fiction-Autor nebenbei ein Universum erschuf, das mich schon als Jugendlicher fasziniert hat. Furchtbare Kriege, zerstörte Welten und grauenhafte Mutationen oder gentechnisch erzeugte Monster bevölkern für ihn die Welt unserer Zukunft.
Siegfried Kracauer, der Journalist und Philosoph, der Schriftsteller und Soziologe. Als scharfsinniger Kritiker der ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse wurde der Freund Adornos von den Nazis ins Exil getrieben, wo er auch nach Kriegsende blieb und nur noch auf Englisch publizierte, weil er als Jude den Deutschen nicht mehr traute.
Außer mir ist praktisch kein nennenswerter Mensch 1966 geboren. Christoph Maria Herbst, Frank Goosen, Salma Hayek und Oliver Welke vielleicht, ansonsten solche Arschkrampen wie David Cameron, Anne Will oder Stefan Raab. Keiner des Geburtsjahrgangs 1966 reicht an den Todesjahrgang 1966 heran.
Jovanotti - Serenata Rap. https://www.youtube.com/watch?v=4MgKG87M0sc

9 Kommentare:

  1. Ist 1980 irgendwer nennenswerter geboren? Ich meine ja nur. Gestorben sind da Ian Curtis und John Lennon, also wahrscheinlivh auch eher so ein "Todesjahr".

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    1. Außerdem starben Steve McQueen, Sartre und Hitchcock.

      Geboren? Jeanette Biedermann, Sarah Connor, Gisele Bündchen, Christina Aguilera, Sido und Ronaldinho ;o)))

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    2. Sartre und Hitchcock okay, MCQueen sagt mir nix. Und was die Geborenen angeht: Ich meinte nennenswert nicht im Sinne von mediengehypten Seltsamkeiten ;) Was haben denn so eine Biedermann, Connor oder Aguilera wichtiges an Beitrag für die Welt geleistet? Außer berühmt zu sein. Aber so ist das wahrescheinlich wenn man nach 1975 geboren ist. :(

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    3. Die genannten Figuren, die 1980 geboren wurden, muss man nicht ernst nehmen. Ich habe diese Aufzählung auch nicht ernst gemeint. Was kann ein Mensch, der 35 Jahre alt ist, auch schon geleistet haben, um berühmt zu werden? Wenn man sich bei Wikipedia das Jahr 1980 anschaut und die Liste der Geborenen durchgeht, findet man fast ausschließlich Sportler, Schauspieler und Musiker. Politiker und Philosophen, Schriftseller und Künstler sucht man vergeblich. Bei meinem 66er Jahrgang ist das was anderes. Mit 50 kann man auch auf anderen Gebieten Spuren hinterlassen haben. Hat aber keiner. Außer Andy Bonetti natürlich ;o)))

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    4. Die Liste der Künstler und Musiker, die vor ihrem 36. Geburtstag gestorben sind, ist lang. Büchner, Mozart, Schubert, Hendrix, Borchert, Charlie Parker, Robert Johnson....

      Und zu deiner 66er Liste: Was hast du eigentlich gegen Rick Astley?

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    5. Ja, früher gab es noch großartige Leute, die jung gestorben sind. Jim Morrison, Janis Joplin, James Dean fallen mir da spontan noch ein.

      Menschenskind, Pankow-Bauer - wir müssen es für unsere Generation ganz alleine rausreißen, oder?

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    6. Seufz... Dazu müsste ich noch irgendeine Altersbegabung entwickeln. Dieses Joch trägst du allein (mit Rick Astley).

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    7. Du wirst du Kartoffel züchten, die den Hunger in der Welt besiegt ;o)))

      "Never gonna give you up".

      Den Rest machen Rick und ich. Versprochen!

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  2. Das war mir schon klar, dass du die Aufzählung nicht ernst gemeint hast, Matthias. Außerdem habe ich den Smiley gesehen. Es ist nur so schade, wenn man sieht, dass der eigene Jahrgang... (Immerhin: mein Bruder muss sich seinen mit der Katzenberger oder wie die heißt - ich weiß es echt nicht genau - teilen und die Schlager-Fischer ist näher an seinem Geburtsjahr als meinem)

    Und Herr Ackerbau hat selbstredend Recht: Keith Haring (31), August Macke (27), Franz Marc (36), es soll Leute geben, die Amy Winehouse mochten (ich nicht) und die war doch auch erst Mitte zwanzig, Klaus Nomi (zwar "schon" 39, aber nicht wesentlich älter als 36), Egon Schiele, Paula Modersohn-Becker, wenn man ihn noch kennt Bernward Vesper (33), Joplin, Hendrix, Borchert habt ihr schon genannt, van Gogh (39?Nicht so viel drüber), Herbert Langemann und Wilhelm Helmrich (Puppenspieler in den 80er Jahren unter anderem "Sesamstraße", also untrennbar mit Charakteren meiner Kindheit verbunden, müssten auch um den Dreh gewesen sein). Herbert Tobias wurde, glaube ich, um die 40. Um die 50 wurde doch Klaus Mann, Fassbender (ich weiß es in dem Fall nicht, aber alt war der nicht) und Nico (okay, mag nicht jeder.)

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