Montag, 17. Januar 2011

Publikumsbeschimpfung

„Ihr jungen Leute, Ihr wisst doch gar nichts vom Leben. Ihr wisst gar nicht wie das ist. Ich hab auf‘m Alex Halsketten aus Klosteinen verkauft. An japanische Touristen. So weit unten war ich! Ich kann Panflöte spielen - wenn Ihr wisst, was ich meine. Macht Ihr euch eigentlich eine Vorstellung, wie Menschen wie ich in den siebziger Jahren aufgewachsen sind? Als ich ein Kind war, gab es nur drei Fernsehprogramme. Am Nachmittag begannen die Übertragungen, um Mitternacht war meistens Schluss. Wir hatten zu Hause ein Schwarz-Weiß-Gerät ohne Fernbedienung. Die Familienkutsche war ein Peugeot 404, ohne Airbag, Sicherheitsgurte und Nackenstützen, ohne Elektronik und Navi, eine Nuckelpinne, die im Vergleich zu heutigen Autos eine echte Todesfalle war. Das Urlaubs-Highlight meiner Kindheit war eine Flugreise nach Mallorca und zwei Wochen im Club Neckermann. Es sollte mein einziger Flug bis zum 18. Geburtstag bleiben. Ich habe am Fernseher "Pong" gezockt, das erste Videospiel der Welt. Links und rechts ein weißer Balken, zwischen denen ein weißes Viereck hin und her hüpfte. Das iPhone, Die Grünen und Hartz IV waren noch nicht erfunden. Und dabei bin ich noch nicht mal im Osten aufgewachsen, das ist ja der Witz! Da kommt man sich vor, als wäre man aus Albanien oder Nepal. Für die Kids von heute sind die Alten aus einem anderen Universum. Aber Ihr werdet euch noch wundern. Wenn das letzte Spongbob-Eis in irgendeinem ultracoolen Projektmeeting gelutscht ist, wenn die letzte Dschungelprüfung von Guido Westerwelle absolviert ist, wenn die letzte Rate deines Klopapierhalters von Manufaktum bezahlt ist, werdet Ihr merken, … werdet Ihr merken … Ja, was eigentlich? Werdet Ihr merken, dass meine Generation längst verschwunden ist.“

Dreizehn sein

Wenn du dich vom Fußballverein abgemeldet hast
Und jetzt nur noch am PC oder vor der PS hängst
Das ist 13

Wenn du Zahnklammern trägst
Aber sowieso nicht sprechen willst
Das ist 13

Wenn du nachts aus dem Haus schleichst
Um mit Kumpels auf einer Baustelle Zigaretten zu rauchen
Das ist 13

Wenn du die Hintern der Mädels mit deinen Freunden diskutierst
Und nachmittags immer noch Schiffsmodelle zusammen baust
Das ist 13

Wenn du mit deinem Klapprad unterwegs bist
Und beim Anblick der sonnengebräunten Alphatiere am Baggerseestrand den bohrenden Schmerz mangelnder Coolness für alle Zukunft zu ertragen lernst
Das ist 13

Joseph Roth

Joseph Roth hat seinen „Radetzkymarsch“ in „Mampes Gute Stube“ auf dem Ku‘Damm zwischen Joachimsthaler Straße und Gedächtniskirche geschrieben, gelebt hat er oft in einem Hotel am Bahnhof Zoo. In der Kneipe leben, in der Kneipe schreiben …
Derzeit lese ich seine Biographie und stelle natürlich auch Vergleiche an, selbst wenn es albern erscheint. Aber ich habe genug Jahre auf dem Buckel, um nach Parallelen zu suchen (und mich dabei freilich in viele Parallelen hineinträume). Da ist zunächst mal das Alter, das Roth interessant macht. Er hat seinen 45. Geburtstag nicht mehr erlebt, ich kann im Sommer 45 Jahre alt werden. Er trinkt und schreibt, das tue ich auch. Allerdings trinkt er mehr und schreibt besser. Er ist aus einer weit entfernten Provinzkleinstadt in die große Stadt gegangen, arbeitet zugleich als Journalist und Schriftsteller. Gescheiterte Liebe, keine Kinder. Da kommt einiges zusammen.

Ein Einzelgänger, der einen großen Freundeskreis hat und im Wirtshaus erst richtig auflebt. Der Alkohol wiederum als Droge der Einzelgänger. Der Wechsel aus Aufnehmen (das Material der Stadt: die Geschichten, die Orte, die Sinneseindrücke) und Äußern (Text). Grundsätzliche und innere Einsamkeit - auch im größten Trubel - als Voraussetzung der Entäußerung. Das Schreiben als einzig mögliche Form der Mitteilung ...

Schon klar, mein Freund! Aber ich bin an einem Punkt, an dem ich mich frage, warum ich anderen Menschen überhaupt Geschichten schreiben soll. Wem hätte ich etwas mitzuteilen? Einsamkeit wird mir immer mehr zum Genuss, zum vollendeten Zustand. Allein, frei, geborgen - ein Tag zu Hause ohne Termine und Gespräche. Das Leben eine Kette schöner Tage, ohne die Arbeit an irgendwelchen nutzlosen Texten, ganz nebenbei Roth altersmäßig passierend, auf dem Weg zu neuen Helden. Wie alt wurden eigentlich Schiller und Pessoa?

Freitag, 7. Januar 2011

Mach das Radio lauter!

Liebe Freunde der gepflegten Hörfunkunterhaltung,

es ist mir eine große Freude, Euch eine Radiosendung direkt aus dem Herzen des Brunnenviertels anzukündigen. Der Sender "Alex" (Voltastraße 5) überträgt live, in Farbe und in alle Welt eine Stunde mit flotter Musik und tiefsinnigen Gesprächen. Moderator Rolf Gänsrich, in Berlin bekannt als Journalist, Kleinbühnenagitator und "Nächste Ausfahrt Wedding"-Führer, hat den Kiezschreiber in seine Sendung eingeladen.

Donnerstag, den 13. Januar 2011, 13 - 14 Uhr: "O.K. beat"
Sender: "Alex auf 88vier"

Antenne: 88,4 MHz und 90,7 MHz

Livestream auf www.alex-berlin.de/radio

Völker, hört die Signale!