Dienstag, 20. Juni 2017

Die Corelli-Brüder

Damals hatte ich diesen Job an einer Tankstelle in der Schweiz. Ich durfte ganz unten anfangen, im Service, und dort bin ich auch geblieben. Den Tank vollmachen, Scheiben putzen, die Leute fragen, ob ich mal nach dem Öl schauen soll. Old School – das war das Konzept. Es war weniger die miese Bezahlung, die mich störte, als der Overall, den ich trug. Aus der Ferne sah er aus wie eine Biker-Kluft, auf meinem Rücken stand „Tells Angels“. Ziemlich müde Nummer, wenn Sie mich fragen.
Dann fuhr dieser metallicbraune Wagen vor und zwei Männer stiegen aus. Schwarze Haare, leicht unrasiert, vielleicht so um die vierzig.
„Ein Ford Granada. Wow. Sieht man heute aber selten.“
Der Fahrer grinste und nahm die Sonnenbrille ab. „Ja, ein echtes Schmuckstück. Du kennst dich echt gut aus.“
Wir plauderten ein bisschen über alte Autos. Ich hatte ein Faible für Fahrzeuge, die sich von der gesichtslosen Masse der heutigen Wagen abhoben, die alle aus demselben Windkanal zu kommen schienen.
„Hast du Lust, für uns zu arbeiten? Wir suchen noch einen Mann, der sich mit Autos auskennt. Ist kein schwerer Job. Wirst schon sehen.“
Ich tankte ihren Wagen voll, sie bezahlten im Tankstellenshop und dann tat ich das, wovon mir meine Eltern immer abgeraten haben: Ich stieg zu fremden Männern ins Auto.
Nach einer halben Stunde kamen wir an ein würfelförmiges Gebäude, das im Gewerbegebiet eines Dorfs am Waldrand stand. Die Corelli-Brüder stellten mich dem Abteilungsleiter Filmanalyse vor. Ein älterer Herr mit einem freundlichen Lächeln. Er führte mich in der Abteilung herum und zeigte mir die einzelnen Boxen im Großraumbüro, in denen jeweils ein Mensch vor einem großen Fernseher saß und sich Notizen machte.
Mein Job war es von nun an, mir Verfolgungsjagden in Spielfilmen und Fernsehserien anzuschauen. Ich sollte mir die Marken und Modelle der Autos notieren. Es ging darum, wie ein Fahrzeug im Film abschnitt. War es ein Gewinner oder ein Verlierer? Fährt der Held den Wagen oder der Bösewicht? Wirkt es schnell oder langsam, elegant oder lächerlich? Möchte man dieses Auto gerne selbst haben oder ist es eine Gurke, mit der man nirgendwo gesehen werden möchte? Diese Analysen wurden an große Autokonzerne verkauft.
Und so saß ich jeden Tag in meiner Box, hatte den Kopfhörer auf und sah mir Filme an. Ich schrieb alles auf, was mir auffiel. Manchmal hatte ich auch eine gute Idee für eine kleine Geschichte, während ich einen Krimi sah. Ich schrieb nebenbei Kurzkrimis, ein Hobby von mir. Leider war ich nicht gut genug, deswegen hatte ich den Job an der Tanke angenommen.
Als ich gerade mal wieder ein paar Notizen in mein Buch machte und es wieder in meine Jackentasche zurückgesteckt hatte, tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehte mich um und nahm den Kopfhörer ab.
Es war einer der Corelli-Brüder. „Du klaust doch nicht etwa Büromaterial?“ Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus amüsiertem Grinsen und spöttischen Blick.
„Nein“, antwortete ich. „Das ist mein eigenes Notizbuch. Ich schreibe gelegentlich. Wollen Sie es sehen?“
„Gerne.“
Dann blätterte er eine Weile in den Seiten. Stichwortartige Plots, kleine Dialoge und Zeichnungen wechselten einander ab.
„Willst du für uns Geschichten schreiben?“
„Na klar.“
Noch am gleichen Tag kam ich in eine neue Abteilung. Ich hatte mein eigenes Büro mit Blick auf das Dorf und das Tal. Dort entwickelte ich Figuren und Erzählungen, hauptsächlich Kriminal- und Abenteuergeschichten.
Die Corelli-Brüder hatten eine Maschine erfunden, die diesen Figuren und Erzählungen für einen Tag eine Seele einhauchen konnte. Dann vergingen sie wieder. Die Kunden kamen in unsere Firma, setzten sich einen Datenhelm auf und gingen als eine von uns geschaffene Person durch eine von uns geschaffene Geschichte.
Ich arbeite heute noch für die Corellis und bin sehr zufrieden.
This Mortal Coil - Song To The Siren. https://www.youtube.com/watch?v=HFWKJ2FUiAQ

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