Sonntag, 16. April 2017

Lob der Machtlosigkeit

„Unser Meer ist grau und grausam, und es hat die Menschen, die daran wohnen, traurig und still gemacht. (…) denn viele, viele bringt das Meer und legt sie in der Nacht an den Strand, und wer sie findet, erschrickt nicht, sondern nickt nur, nickt wie einer, der es längst weiß. Es gibt bei uns einen alten Mann, der hat von einer kleinen Insel zu erzählen gewusst, zu der das graue Meer so viel Tote brachte, dass den Lebenden kein Raum mehr blieb. Sie waren wie belagert von Leichen.“ (Rainer Maria Rilke: Der Totengräber)
Wir verdanken der Machtlosigkeit die schönsten Perlen unserer Kulturgeschichte. Als Portugiesen und Spanier, später Franzosen, Engländer und Holländer große Entdecker und Eroberer, Feldherren und Kaufleute hervorbrachten, hatten die Deutschen, die weder über eine Flotte noch über geopolitischen Einfluss verfügten, die Zeit ihrer großen Komponisten, Literaten und Philosophen. Während andere europäische Nationen die Welt in ein Schlachthaus verwandelten – als Stichworte seien hier nur Völkermord, Sklaverei, Kolonialismus, Plünderung der Bodenschätze, Imperialismus sowie die Auslöschung ganzer Kulturen genannt -, wanderte Alexander von Humboldt durch Brasilien, um Schmetterlinge zu sammeln und Blumen zu pressen.
Als die „verspätete Nation“ Deutschland 1871 die Bühne der Weltpolitik betritt, Kolonien erwirbt und sich für den Flottenbau begeistert (überall im Land trugen die kleinen Jungs Matrosenanzüge!), beginnt sein kultureller Stern zu sinken. Nach 1933 gibt es praktisch keinen Beitrag der Deutschen zur Weltkultur mehr: Grass und Böll halte ich – trotz ihrer Nobelpreise – für nachrangige Schriftsteller, durch die Philosophie geistern Vollidioten wie Precht oder Sloterdijk, in der Musik dominiert provinzielle Peinlichkeit mit Grönemeyer, Lindenberg und den Scorpions.
Dafür sind wir jetzt Exportweltmeister und bedeutender Waffenlieferant, wir haben Weltmarken wie VW, Mercedes oder SAP, die auf den Weltmärkten erfolgreich sind. Die kreativen Köpfe zieht es ins Management oder in die Forschungslabore der Konzerne, Kultur ist nur noch eine Fußnote des ökonomischen und militärischen Neokolonialismus.
Tina Charles – I Love To Love. https://www.youtube.com/watch?v=dSuulW6XqSA

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