Dienstag, 11. April 2017

Der junge Künstler

„Was werden wir in diesen Frühlingstagen tun, die jetzt rasch kommen? Heute früh war der Himmel grau, geht man aber jetzt zum Fenster, so ist man überrascht und lehnt die Wange an die Klinke des Fensters.“ (Franz Kafka: Zerstreutes Hinausschaun)
Meine ersten Schritte als Zeichner liegen im Verborgenen, aber ich nehme an, dass ich, wie die meisten Menschen, mit abstrakten Werken begonnen und mich anschließend der gegenständlichen Darstellung angenähert habe.
1972 sehen wir zwei lächelnde Westernhelden mit Sheriff-Stern und gezogenen Pistolen. In ihren Hüten stecken diverse Indianerpfeile. Ein weiteres buntes Bild zeigt einen Western-Mexikaner mit Blumen am Sombrero und Blumen in der Hand. Hinter einem Felsen lauert ein Indianer mit einem Speer.
Das erste Bild, das ich in einer vergilbten Mappe finde, zeigt allerdings abstrakte Formen: mit dem Lineal gezogene Felder, die im Wechsel gelb und hellblau ausgemalt oder frei geblieben sind. Auf dem DIN A4-Blatt sind folgende Angaben vermerkt: „Matthias Eberling, 13.10.1973. Telefon 2925. Ingelheim.“ Damals war ich sieben Jahre alt.
Ein weiteres Bild von 1973 zeigt ein Porträt meines Lieblingsteddys Heinrich in einem Stillleben aus Fernseher, Blumenvase, Waschmaschine, Kühlschrank und Stehlampe, die einzeln um ihn herum dargestellt sind.
Auf einem Bild von 1974 ist ein heruntergekommenes Wohnhaus mit eingeworfenen Fensterscheiben dargestellt, das mit Graffiti bemalt ist: „Ja“, „Erwachsene haben hier nichts zu suchen“, „Hier wohnt niemand“ und „Für Kinder“. Ein Zeichen früh einsetzender Autonomie?
Im gleichen Jahr entsteht eine Zeichnung, die einen schreienden Tarzan auf einem Felsen zeigt. Unter ihm im Urwald seine Frau und sein Sohn, der gerade mit einer Liane von Baum zu Baum schwingt. Sicherheitshalber sind alle Figuren mit einer Bezeichnung versehen. Dann gibt es die Zeichnung eines leeren Segelschiffs mit zerfetzten Segeln. Ein Geisterschiff?
Rätselhaft auch das bunte Bild eines Hauses, in das gerade ein Blitz einschlägt. In den Fenstern erkennt man Menschen, die – vor Schreck oder jubelnd? – ihre Arme erhoben haben. Gleichzeitig schlägt ein Blitz im Baum rechts neben dem Haus ein.
Ebenfalls 1974: eine junge Frau mit Minirock und Plateauschuhen. In einer Sprechblase steht: „Hallo, ich bin Fräulein Sirebix. Ich war gerade beim Bäcker und gehe jetzt nach Hause. (16.11.1974)“. In der Hand hält sie eine kleine Tüte, auf der steht: „Brötchen (5,25 DM) Bäckerei“.
1975, Kugelschreiber auf Papier. „Alte Frau“. Mit Hut, Regenschirm und einem „neuen Faltenrock“, wie auf der Rückseite vermerkt ist. Der Rock ist mit strahlenförmigen Strichen und Sternchen als neu und glänzend hervorgehoben. Außerdem eine Zeichnung von Pippi Langstrumpf vor ihrer Villa Kunterbunt. Sie winkt uns aus ihrem Swimming Pool zu. Das nächste Blatt zeigt ein Raumschiff, das gerade auf dem Mars landet.
1976 wurden Bleistiftzeichnungen von einem Handball-Siebenmeter und einem Fußball-Elfmeter angefertigt. Ich denke an Uli Hoeneß und das Finale in Belgrad. Weitere Skizzen, die ein Fußballspiel aus der Perspektive einer Fernsehkamera zum Inhalt haben.
Im selben Jahr folgt die Zeichnung „Christine beim Fernsehen“. Ein Porträt meiner Schwester in der Pose einer Betenden. Ironie? Und „Die Leseratte“, die einen Mann zeigt, der mit aufgeschlagenem Buch auf der Straße geht. Selbstironie?
Eine ganze Serie von 1976 zeigt Indianer und Soldaten in typischen Western-Szenen. In diesem Jahr entsteht jedoch auch die erste politische Zeichnung. Sie zeigt das Innere einer Kirche, im Mittelpunkt ein Kreuz, das mit kryptischen Zeichen bemalt und mit Kerzen geschmückt ist. Auf der linken Seite des Kreuzes steht ein dicker Pfaffe, der ein kleines Kreuz hochhält. Neben ihm ist ein Plakat, das unter der Überschrift „Reich“ einen fies grinsenden Mann zeigt, der Geldbündel in beiden Händen hält und dem Geld aus allen Taschen quillt. Auf der rechten Seite sieht man einen jungen Soldaten, der beide Arme hochgerissen hat. Neben ihm ein Plakat, das unter der Überschrift „Arm“ einen gebückten bärtigen Bettler zeigt, der die Hände nach einem Almosen ausstreckt. Die Bänke vor diesem Altar sind leer.
Auffällig viele Zeichnungen meiner Grundschulzeit befassen sich mit Militär und Gewaltszenen aus Western-Filmen, mit Robotern und Technik. Es sind aber auch etliche abstrakte Zeichnungen in allen Farben zu finden, die mit Kreisschablonen und Lineal angefertigt wurden.
Dean Martin – Dreamer With A Penny. https://www.youtube.com/watch?v=IOl7Ft7VchU

3 Kommentare:

  1. Du magst doch Herrndorf, der hat auch als Maler angefangen. Hundertwasser war auch ein Tausendsassa, selbst Kafka und Hesse haben gemalt oder gezeichnet. Wer weiß was aus deiner Mappe noch wird...

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    1. Diese Werke sind ja nach meinem Tod gar nicht mehr zu bezahlen ;o)

      Aber du magst Herrndorf ja offenbar nicht, wie ich gelesen habe. Außer "Tschick" fand ich auch nichts toll. "Tschick" spricht halt das Kind im Manne an.

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    2. Was heißt ich mag ihn nicht? Das kann ich so nicht sagen, ich komme einfach nicht rein. Ich kriege da keinen Bezug zu außer, dass die Charaktere, die er erschaffen hat mir auf den Nerv gehen.

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