Sonntag, 25. Dezember 2016

Dialog

„Schreiben war für ihn etwas Natürliches: du produzierst Text so wie du Leergut produzierst.” (Johnny Malta: Da geht Bonetti)
Ich klopfe an die schwere, mit grünem Leder bespannte Tür.
Ich höre, dass auf der anderen Seite gesprochen wird. Aber ich höre nicht „Herein“.
Also klopfe ich noch einmal. Wieder nichts.
Vorsichtig öffne ich die Tür und stecke den Kopf ins Zimmer.
Am anderen Ende des gewaltigen Raums sehe ich Generaldirektor Konrad Fackler.
Er hält ein winziges Smartphone in der Hand, während er hinter seinem Schreibtisch auf und ab geht. Er redet, er gestikuliert.
Langsam nähere ich mich dem anderen Ende des Büros.
„Das müssen wir verschieben. Das können wir unmöglich in dieser Woche schaffen“, höre ich ihn rufen.
Als er mich sieht, entgleisen ihm die Züge. Fassungslos sieht er mich an, während er abwechselnd „Ja“ und „Verstehe“ sagt.
Ich wedele freundlich mit einem hellbraunen Schnellhefter in Kopfhöhe.
Der Herr Generaldirektor nickt und winkt mich zu sich heran. Dann dreht er sich um und geht wieder auf und ab. „Wir können Ihnen die Musterkollektion morgen vorlegen. Ich schicke Ihnen jemand vom Außendienst vorbei.“
Ich bleibe vor dem Schreibtisch stehen.
Fackler rollt verschwörerisch mit den Augen. Blöder Anrufer, soll das offenbar heißen. Dann deutet er mit dem Zeigefinger auf den Besucherstuhl. „Wir haben seit letztem Monat eine neue Kollektion. Mit den aktuellen Farben.“
Ich setze mich und warte geduldig. Auf dem Schreibtisch sehe ich eine kleine Glaskugel, in deren Innerem eine Miniatur des Eiffelturms steht.
„Mahagoni? Das führen wir nicht mehr. Aber Sepia wird sehr gerne genommen. Sepia kann ich Ihnen empfehlen, Herr Bratzel.“
Ich nehme die Glaskugel und schüttele sie. Die Sonne bricht sich gleißend im Glas, ich werde geblendet und lasse die Kugel fallen. Sie zerplatzt mit ungeheurem Lärm auf dem weißen Marmor. Oder, onomatopoetisch formuliert: „Klirr.“
Fackler reißt entsetzt Augen und Mund auf, während er ins Telefon flötet: „Bei prompter Begleichung der Rechnung erhalten Sie drei Prozent Skonto.“
Ich zucke mit den Schultern und lächle ihn an.
Sein Kopf läuft feuerrot an, sein Gesicht ist eine Fratze des Zorns. Er deutet mit dem Zeigefinger zur Tür und macht anschließend eine Handbewegung, als würde er ein Insekt vertreiben.
Ich gehe zur Tür und verlasse den Raum. Mit meiner neuen Idee zum Thema „Zitronengelb“ würde es heute nichts mehr werden.
The Black Eyed Peas - Where Is The Love? https://www.youtube.com/watch?v=WpYeekQkAdc
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Bonetti Media

5 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Nur ein Gedankenspiel. Normalerweise unterstützen Mimik und Gestik den sprachlichen Ausdruck, hier zerfällt der Dialog in zwei Hälften.

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  2. Ist kein Gedankenspiel.
    Ich halte dieses perfide Kleinod für einen Deiner kleinen aufklärerischen, hinterlistigen Geniestreiche. Sagt doch das Erählsel: Dialog und so muss man nur führen, wenn man nicht schon durch das Gestikulieren und die Fingerzeige eines Oberaffen seinem Willen zur Realisierung verhelfen kann.
    Und zwar wird der Beweis, dass es genau so ist, gleich vom Oberaffen in actu auch in der anderen Richtung vorgeführt.

    Willkommen auf dem Affenfelsen.

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    1. Sehr schöne Interpretation. Die Verlogenheit des Kaufmanns haben wir alle schon beobachtet: er speichelt den Kunden mit seinen verlogenen Worten ein und behandelt seine Angestellten wie Dreck. Aber mein kleiner Angestellter hat etwas Subversives in sich, er betritt den Raum, ohne auf das Wort "Herein" zu warten und zerstört das Urlaubsmitbringsel auf dem Schreibtisch des Chefs.

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  3. Fahren drei im Zug durch Schottland und sehen ein schwarzes Schaf.

    Einer von den dreien ist Ingenieur, er meint: -"Alle Schafe in Schottland sind schwarz.
    "Der zweite ist Physiker. Sein Kommentar: -"Es gibt in Schottland schwarze Schafe.
    "Der dritte ist Mathematiker: -"Es gibt in Schottland mindestens ein Schaf, das für mindestens drei von uns auf mindestens einer Seite schwarz erscheint."

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