Mittwoch, 8. Juni 2016

Retrostuff: Berichte von der Front der Erkenntnis

„Ich höre Geräusche, die andere nicht hören und die mir die Musik der Sphären stören, die andere auch nicht hören.“ (Karl Kraus)
Ereignisprotokoll. Ort: DZ. Zeit: 230888.
Die letzte Zeile dieser rätselhaften Sendung habe ich mir noch behalten, sonst ist alles vergessen. Sie lautet: „Die Zeit ist eine Pflanze“. Ich vermute, dieser Satz bezieht sich auf einen zufälligen Treffpunkt im Raum-Zeit-Kontinuum, der noch näher zu bestimmen wäre. Also, denke ich mir, melde ich die Sache mal dem Commander oben im Turm. Ich nehme das Funkgerät und rufe Velvet Mercury:
„Commander M, bitte melden Sie sich! Melden Sie sich, Commander!“
Ich höre seine Stimme nur schwach und weit entfernt.
„Commander, ich bin Sergeant Oga Wambo. Ich habe da eine wichtige Sendung aus dem Äther, Sir. Es war, als hätte man mir den Kopf gesprengt. Ich habe leider nur den letzten Satz der Botschaft mitbekommen. Er lautet ... äh, Moment ... jetzt höre ich es wieder:
Ich war ein kleiner Junge noch
Und wusste noch recht wenig.
Die Eltern waren mir ein Joch,
So zog ich nach Venedig.
Oder war das letzte Woche?“
„Es ist betrüblich, in welchem Zustand Sie dort auf Ihrem Außenposten die Lieder des Feindes abhören. Von unserer Festung hängt vieles ab, die WAISEN DES WANDELNDEN WELTGEISTES verlassen sich auf die tadellose Verrichtung unseres Dienstes.“
Und nun rollte dem Commander tatsächlich eine Träne über die blasse Wange, tropfte auf einen der bunt schillernden Orden und blieb dort funkelnd hängen.
„Augenblick, Chef! Jetzt hab ich’s:
Ein Huhn ging übers Wasser,
Die Jünger staunten sehr.
Sie wetzten gleich die Messer
Und fielen drüber her.“
Daraufhin legte der Commander wütend auf und ich muss mich hier vor der Disziplinarkammer verantworten. Nehmt doch Rücksicht, Jungs! Die Arbeit auf den Außenposten ist hart und entbehrungsreich. Die Versorgung ist schlecht, den ganzen Tag muss ich den gegnerischen Zuflüsterungen lauschen, ich bin ihren Geschichten völlig ausgeliefert. Alle paar Wochen erreicht mich ein Brief, wenige Zeilen nur aus der fernen Heimat. Abends stehe ich meist nutzlos in meiner Amtsstube, das Empfangsgerät wispert immer noch hinter meinem Rücken, ein boshaften Zischen. Ich frage mich in solchen Momenten immer, was der Sinn meiner Mission sein mag, ob auch ich dereinst im Rumpf eines Sonnenlichtgleiters einer neuen Welt entgegen fliegen werde, wie es uns am Beginn unseres Dienstes unter den weißen Fahnen versprochen wurde. Zweifel beginnen mich zu packen, ich gehe unruhig auf und ab, stehe eine Weile grübelnd im Halbschatten eines Aktenschranks und luge verbittert durch die Schießscharten in die tiefschwarze Nacht. An diesem Punkt erreicht das Leiden ein Ausmaß, das eine korrekte Ausübung meiner Tätigkeit unmöglich macht. Ich bitte also vor Euch, meine lieben Kameraden von der Front der Erkenntnis, nicht etwa um Gnade – Gnade kann in einem solchen Fall unmöglich gewährt werden – , sondern um ein mildes Urteil, das der Tat und ihren Begleitumständen gerecht wird.
Hochachtungsvoll, Sergeant Oga Wambo
(7. Kavallerieregiment der „Verlorenen Reiter“, z.Z. stationiert in der Militärpension „Zum Feindesblick“, 2. Stock, erstes Zimmer rechts, 3x klopfen und den Ruf des Waldkäuzchens ausstoßen, nach „Wambo, dem Verständigen“ fragen)
Anlage: Antrag auf eine Bewußtseinsreinigung auf Tahiti, ein Paßbild, das mich als Huhn verkleidet zeigt und eine Kopie meiner unschuldigen Seele.


Ereignisprotokoll. Z, den 2.4.89
Hoher Rat!
Ich habe wieder hinüber gehorcht, hinein gefühlt gewissermaßen, und bin sehr traurig. Alle Werkzeuge bleiben stumpf, wieder und wieder verliere ich mich in bloßen Andeutungen, wenn ich Euch über dieses Erkennen berichten möchte.
Zunächst einmal zum Problem des Wegs. Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg, wie der Kollege K. bereits richtig notierte. Die Lösung dieses Paradoxons ist einfach: Das Ziel kommt zu uns. Wir können es aber nicht kommen sehen, es schleicht sich vielmehr an, immer von hinten, es trifft uns sozusagen im Schlaf. Wir können an unseren Geräten so lange wachen, wie wir wollen – wir wachen oft nächtelang und lauschen angestrengt in das Gefunkel und Gerausche jener Welt –, irgendwann nicken wir erschöpft ein. Wenn wir dann aufwachen, ist es da gewesen. Anfangs wollte es keiner zugeben, dass es hier war. In schwachen Stunden haben wir es uns gestanden. Niemand weiß Näheres, alle zerfressen sich in Zweifeln.
Und an dieser Stelle gewinnt nun meine Bitte an Euch Sinn und Gewicht: Besucht unsere Station, die in diesem wahrhaft finsteren Kontinent Sturm und Feuer standhalten muss! Stellt dieser heiligen Aufgabe Eure gesteigerte Empfindungsfähigkeit zur Verfügung, fasst in Worte, was wir nur ahnen, rahmt das Geheimnis in vermittelbare Erkenntnis! Dieser rätselhafte Wahn ... – genug für heute. Der nächste Bericht wird Ihnen hoffentlich ein aufschlussreicheres Bild über die Situation dieses Außenpostens vermitteln. Gnade und Verzeihung den schuldlos Schuldigen.
Der treue Diener Ihrer Majestät
Sergeant Oga Wambo

Ereignisprotokoll. Ort: Kommandoturm Nord. Zeit: schwer zu sagen.
O Herr der tausend Namen!
Vergib mir meine Schwermut, aber bald wird wieder ein frostiger Winter über unsere Beobachtungsstation hereinbrechen. Dann sitze ich wieder allein zwischen all den Maschinen und Metallorganen, die mit mir sprechen. Das ist alles, aus mehr besteht unser Leben nicht. Verzeiht, wenn ich mich beklage. Natürlich kann ich nicht erwarten, dass Ihr die Mühsal auf Euch nehmt und diese entlegene Station besucht. O Herr der tausend Stationen! O Herr der tausend mal tausend Planeten! Aber was würdet Ihr sagen, wenn Ihr ständig solche Botschaften empfangen würdet:
Des Abends, wenn ich trinken geh‘,
Erscheint ein kleiner Storch.
Ein einz’ges Äuglein hat er noch,
Die Beine sind schon morsch.
Das hält doch keiner aus, zum Mäusemelken ist das. Zum Mäusemelken! Verzeiht meine Erregung, werter Gebieter. Jedes Mal, wenn der heiße Wind durch die Gänge und Schluchten unserer Station weht, beginnt das Leiden. Ein grässlicher Anblick, die tapferen Männer ... sie rennen hinaus in das tote Grau.
In jüngeren Jahren bin ich selbst einmal dort draußen gewesen. Ich darf Ihnen versichern: Da ist nichts. Gar nichts, an der Oberfläche ist kein Leben zu erkennen. Verbrannter Boden, bis in einer Meile Tiefe ohne jegliche Andeutung von Sein, ansonsten stinkender grauer Nebel. Und doch empfangen wir ununterbrochen merkwürdige Signale. Pfeifen, Rauschen, dazwischen wieder ein stimmenähnliches Zwitschern, das wie eine ferne unbekannte Erzählung klingt, Jaulen, Fiepen und Trillern. Vor allem dieses Rauschen, majestätisch laut, eine unendlich lange Symphonie. Man muss ihr jahrelang lauschen, um den tiefen Sinn ihrer Tonfolgen zu entziffern. Klingen so die Sterne und Pulsare? Hören wir in diesem Märchenozean der Klänge die Stimmen der Planeten? Wie Delphine springen die hohen Pfeiftöne durch die Komposition. Sie waren anfangs ein recht beliebtes Studienfeld, doch ihr schriller Klang bedeutet nichts. Wenn man diesen Fontänen länger zuhört, erkennt man bald ihre Sinnlosigkeit.
In Kürze mehr. Stets Euer Diener
Sergeant Oga Wambo


Ereignisprotokoll. Ort: Z-City. Zeit: 3/2189-IV.
Sehr geehrter Herr Volkspräsident, wie Sie sich ja zur Zeit zu titulieren pflegen!
Ich kann nur schwerlich meinen Zorn unterdrücken, wenn ich an die letzten Wochen zurück denke. Die Post Ihrer Behörde kam, wenn überhaupt, nur spärlich, keine Hinweise, die unser Leben betreffen, geschweige denn uns anleiten können. Eine karge Kost für das feinfühlige Netz unserer Ängste und Sorgen. Ich muss gestehen, ich mache mir ernsthaft Gedanken über die Ruhe auf der Station. Seit geraumer Zeit warten wir auf neue Entdeckungen, aus denen wir weitere Erkenntnisse ziehen könnten. Unsere Männer in der Entschlüsselungsabteilung sind der Verzweiflung nahe. So lange ohne eine sinnvolle Äußerung in den Wellen, ganze Nächte zerbrechen sie sich den Kopf über neue Strategien. Alte Aufzeichnungen und Interpretationssysteme werden aus den Aktenschränken hervor geholt und neu diskutiert. Es bilden sich ganze Jüngerschaften für ein bestimmtes System der Erklärung, die eine Zeit lang düster durch die Flure schleichen, um sich Tage später plötzlich wieder aufzulösen. Aber was macht man mit solchem Unsinn wie den folgenden Zeilen?
Erst liegt es einfach da
Dann hebt es sich mit Klagen
Klagen über Plagen
Bald liegt es wie es war
Dann sitze ich abends am Schreibtisch und lese ihre Berichte. Mit schreckgeweiteten Augen lese ich die Verzweiflung aus diesen Zeilen. Sie machen sich kein Bild von unseren Qualen! Von „Wasser als möglichem Vergleichsmodus für die Omega-Amplitude“ sprechen diese verlorenen Helden, sie klagen über „Rauschen, vollkommenes Rauschen, immer nur Rauschen“. Niemand weiß, was mit ihnen geschehen ist, wenn „ein Teil meiner Selbst lautlos davon fliegt und einen warmen Duft hinterlässt“. Solche Zeugnisse reiner Erkenntnis erreichen mich täglich. Was soll ich diesen Menschen antworten? Wie groß wäre unser Glück, wenn Sie uns wenigstens einige persönliche Zeilen zukommen lassen würden. Eine treuere Dienerschaft werden Sie, Exzellenz, niemals finden.
Verzeihen Sie meine Entrüstung, aber auch ich bin in die ‚Letzte Lehre der leeren Sphäre‘ noch nicht so weit vorgedrungen, dass ich meine stille Wut gänzlich unterdrücken könnte. Vergeben Sie mir meine Ungeduld!
In der angenehmen Hoffnung, dass diese Zeilen Sie und Ihre geschätzte Familie gesund antreffen, sehe ich Ihrer Antwort mit großer Sehnsucht entgegen und zeichne mit ergebenster Hochachtung
Sergeant Oga Wambo

Nachwort: Wer kennt das intergalaktische Gezwitscher und Gezirpe noch, dem jener tapfere Sergeant auf seinem einsamen Horchposten lauscht? Es klingen die Pulsare, ungeölte Planeten ziehen quietschend auf ihrer Bahn durch einen Märchenozean aus Jaulen, Fiepen, Pfeifen, Rauschen und Trillern vorüber. Wer hat noch die Kraft, hinter dem Lärm des Industriezeitalters jenen fernen Sirenengesang, diese unbegreiflichen Sinfonien tanzender Elektronen wahrzunehmen?
Gary Numan - Down in The Park. https://www.youtube.com/watch?v=XaF9KTH0SEg

7 Kommentare:

  1. Frau Merkel hört das intergalaktische Gezwitscher und Gezirpe auch immer.

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    1. Was Du meinst, ist der Empfänger für die Anweisungen von BDI, INSN, Springer, Bertelsmann. Der funktioniert einwandfrei, wie jeder Bürger merken kann. Der Ohrstöpsel musste her, weil das alte Empfangsimplantat nicht mehr richtig arbeitet, es stammt noch aus der Zone....

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  2. Hier die Interpretationsabteilung Zero Zero:
    Also von Seiten der Sprachanalyse kann man dem Erkenntnisdurst insoweit abhelfen, als der fröhlich drauflosreimende Sender ein Rheinhesse sein muss(Stor(s)ch/ morsch), und überhaupt irgendwie versfüßig uns mit den Freuden des seichten Tiefsinnst beglückt.
    Und das ist erheblich mehr, als das, was das störende Rauschen des abgründigen Flachsinns der Schwarmintelligenz an Emissionen und sonstiger akustischer Umweltverschmutzung zustandebringt.

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    1. Ja, die Station stand damals ja noch in Ingelheim und der tapfere Sergeant hantierte noch mit diversen Substanzen, um einen besseren Empfang zu bekommen ;o)

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  3. Bonetti ist mir enteilt.
    Ich musste abreißen lassen, wie man im Radsport sagt.
    Ich konnte nichts mehr draufpacken.
    Ich kann Ihm nicht folgen.
    Er wird die Etappe gewinnen,
    doch kann er in den Bergen das Trikot behaupten ?

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    1. Das Trikot kostet 125 Euro. Der DFB und adidas sind wahnsinnig geworden. Hier muss ich selbst abreißen lassen.

      Und stell dir mal vor, du sitzt auf einem Zwölf-Stunden-Flug von Frankfurt nach L.A. neben Bonetti - DAS ist die Herausforderung, Sportkamerad ;o)))

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