Sonntag, 5. Juni 2016

Am See

„Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will.“ (Marlen Haushofer: Die Wand)
Sie schmiegte sich an ihn, er legte den Arm um ihre Schultern. Eine Weile saßen sie schweigend auf der Parkbank und blickten aufs Wasser.
„Von was lebst du eigentlich?“
„Ich habe kein Einkommen“, sagte er leise. Fünf Sekunden Schweigen. „Ich habe Vermögen.“
„Du musst nicht arbeiten?“ Sie sah ihm in die Augen.
„Nein. Wenn ich etwas brauche, kaufe ich es mir einfach.“
Eine Ente glitt schweigend vorüber.
„Du könntest mir alles kaufen, oder?“
„Natürlich. Was möchtest du haben?“
„Ein Auto.“ Sie lächelte.
„Was für ein Auto?“
„Einen Ferrari.“
„Gut. Dann gehen wir morgen zu einem Ferrari-Händler und kaufen dir einen Ferrari.“ Seine Stimme war ganz ruhig.
Nach einer Weile fragte er: „Wie viele Pfandflaschen braucht man für einen Ferrari?“
„Ich dachte, du hättest Vermögen.“ Ihre Stimme bekam einen vorwurfsvollen Klang.
„Ja, aber mein Vermögen ist da draußen.“ Mit dem rechten Arm machte er eine ausholende Bewegung. „In den Mülleimern der Stadt.“
„Ach so“, sagte sie und seufzte.
Die Ente kam zurück. Oder war es eine andere?
„Kannst du mir Schuhe kaufen?“
„Natürlich.“ Fünf Sekunden Schweigen. Dann fragte er: „Müssen es neue sein?“
„Nicht so wichtig.“
„Aber ich kann dir Pommes kaufen, so viel du willst. Mit Mayo.“
Sie schmiegte sich fester an ihn.
Ein Schmetterling taumelte vorüber, ohne das Liebespaar zu beachten.
So begann es damals am See.
Roger Daltrey - Say It Ain't So Joe. https://www.youtube.com/watch?v=1PH5HNiZduY

4 Kommentare:

  1. Ob diese Verbindung ein Leben lang gehalten hat?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Bissl irreführend, das Erzählsel. Vermögen wird vorstellig gemacht als pure Potentialität.
      Isses nicht. Vermögen vermag was. Und damit schlägt es auch zu.

      Hab mir diese weitere Zigarette unter Deinen Rauchwaren gerettet mit dem doch auch leise angetippten Thema "Liebe und Geld" unter den Bedingungen des trotzigen Bestehens auf ihrem Gelingen unterm Ausschluss zu dessen Zugang.
      Übrigens auch so ein Thema aus der "Welt von Gestern" (St. Zweig)

      Löschen
    2. Ja, ich spiele mit dem Begriff des Vermögens und mit dem allgegenwärtigen Materialismus. Aber eigentlich ist die Szene nur ein Tagtraum, den ich aufgeschrieben habe. Ich habe nicht lange nachgedacht, sondern bin vom Sofa aufgestanden und habe den Dialog notiert. So entstehen hier die meisten Blogtexte. Ich hau das Zeug einfach jeden Tag raus :o)

      Löschen
  2. @ Satire

    Natürlich. Sogar über den Tod hinaus. Bonetti liefert nur die allergrößte Literatur ...

    AntwortenLöschen