Dienstag, 26. April 2016

Blogstuff 38

„Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgibt, nichts wusste, war ich da nicht mehr, als jetzt, nach all den Mühen des Herzens und all dem Sinnen und Ringen? Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht; im Kind ist Freiheit allein. In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.“ (Hölderlin: Hyperion)
Unser Wissen beschränkt sich auf die Menschenwelt, auf unsere Maschinen und Rituale. Über das Leben außerhalb der Menschenwelt haben wir bislang nur eine Ansammlung vager und egozentrischer Hypothesen entwickelt.
Mit der 1995 gegründeten Zeitschrift „Das geflügelte Wort“, dem anerkannten Organ des literarischen Ästhetizismus, tritt Andy Bonetti endgültig aus dem Dunkel der hessischen Kulturferne und begründet seinen Ruhm als Großschriftsteller, der die Zeichen seiner Zeit nicht nur erkennt, sondern auch souverän zu setzen weiß.
Große Koalitionen bieten den Vorteil politischer Stabilität. Leider ist mit dieser Stabilität im Regelfall politischer Stillstand verbunden. Sämtliche Themen drehen sich im Kreis, sie wandern vom Eingangskorb zur Wiedervorlage und zurück. Die Apotheose der großen Koalition ist die EU-Administration, in der sich 28 Regierungen gegenseitig neutralisieren und blockieren.
Werbung: Lesen Sie jetzt den brandneuen Andy Bonetti! „Der permanente Kampf gegen das prämortale Sinndefizit“. Ab Montag an Ihrem Kiosk!
„Ist das jetzt ironisch gemeint, im Sinne postmoderner Kulturkritik, oder protokollieren Sie damit lediglich Ihren Lebensstil?“ (Johnny Malta beim Besuch eines Kollegen, als er dessen Eiche-rustikal-Wohnzimmerschrankwand und die karamellfarbene Polstersitzgruppe betrachtet)
Kokser darf man nie mitten im Satz unterbrechen. Das haben mir meine Eltern beigebracht.
„Wie mühselig und erschöpfend ist doch die Arbeit des Dichters“, schreibt Bonetti in seinem Tagebuch. „Es ist eine vorwiegend landwirtschaftlich und handwerklich geprägte Tätigkeit. Ich sähe Buchstaben und ernte Wörter, die hernach in der Werkstatt zu ganzen Sätzen verbunden werden müssen. Seite für Seite entsteht, bis am Ende der Woche wieder ein Risco-Tanner-Heft mit sechzig Seiten fertig ist. Und so ringe ich in aller gebotenen Demut und Beharrlichkeit dem kargen hessischen Boden das Lebensnotwendige ab.“
Tiere sterben nicht, sie „verenden“. Was soll das? Sie haben keinen Mund, mit dem sie essen, sondern ein Maul, mit dem sie fressen. Vielleicht sollten wir diese sprachlichen Hierarchien einfach aus unserem Vokabular streichen?
„Der Erfolg ist nicht wichtig, das Verständnis der Leser ist nicht wichtig - es geht darum, aus der Quelle in uns möglichst unverfälscht den puren Stoff der Erzählung zu schöpfen (schon unsere Worte sind natürlich eine Fälschung, eine Konvention, um sich verständlich zu machen – aber das ist der letzte Kompromiss, den wir ertragen müssen). Wenn es zu fließen beginnt, heißt es nur: Herbei mit Schüsseln und Eimern!“ (Heinz Pralinski: Literatur leicht gemacht)
Gourmet-Tipp: Involtini primavera alla cinese.
Florenz, Uffizien. Millionen Menschen trotten jedes Jahr durch das Museum. Wie eine Viehherde werden sie an Michelangelos und Botticellis vorbeigetrieben, ich höre lautes Rufen und Peitschenknallen. Während ich fasziniert die Meute betrachte, dieses Sinnbild menschlicher Albernheit, betrachtest du die Statuen, die Sinnbilder menschlicher Größe.
Unser Lieblingssport: Wir rufen fünf Lieferdienste gleichzeitig an und lassen sie ein Rennen gegeneinander fahren. Das ist internationaler Wettbewerb: ein Italiener, ein Chinese, ein Inder, ein Türke und ein Albaner, der so tut, als sei er Italiener (bei der Bestellung sagt er am Ende immer „Gracias“ – damit verrät er sich). Wer das Essen als Erster bringt, hat für seinen Kunden den Jackpot gewonnen.
Meine Nachbarin ist gestorben. Leukämie. Am ersten Mai wäre sie sechzig Jahre alt geworden. Morgen ist der Gedenkgottesdienst in der katholischen Kirche neben dem Gasthaus. Beide Gebäude in der Mitte des Dorfes stehen leer. Es gibt keine Gottesdienste und keine Tresenrunde mehr in Schweppenhausen. Den Gottesdienst hält ein Pfarrer aus Nigeria, der für unser ganzes Tal zuständig ist. Natürlich gibt es zu diesem Todesfall keinen ARD-Brennpunkt, obwohl ich die Frau besser gekannt habe als Genscher oder Westerwelle.
Erasure - Sometimes (12" Mix). https://www.youtube.com/watch?v=I7I_VOwB26Y

5 Kommentare:

  1. Du solltest noch einen Japaner einbeziehen - die kommen fast immer aus Burma.

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  2. Richtig. Es gibt wenige japanische Lieferdienste in Berlin (und in Schweppenhausen schon mal gar nicht) und es sind nie Japaner. Kann ich aber auch verstehen, weil die meisten Deutschen so doof sind und Sushi mit japanischer Küche gleichsetzen. Als ob die Leute in Tokio keine Pfannen und Kochtöpfe hätten.

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    1. Japaner sind echte Connaisseure wie wir hier anhand eines Ausschnittes des besten Food-Films aller Zeiten sehen können: https://www.youtube.com/watch?v=38m-wnbHPLA

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    2. Yepp! Sehr geiler Film. Über ihn bin ich erst auf Nudelsuppen und Nudelsorten wie Udon, Ramen, Soba usw. gekommen. In Japan bekommt man sie für vier, fünf Euro in kleinen Restaurants, davon habe ich mich dort aus Geldmangel täglich ernährt. Eine solche winzige Garküche (allerdings von einem Chinesen betrieben) gibt's in Berlin in der Pariser Straße: House of Noodles.

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    3. Danke für Deinen erhellenden Beitrag zur Funktion des Redens und Schreibens: Die tägliche Scheiße ist schon gleich nicht mehr so schietig, wenn man ihr ein prämortales Sinndefizit attestiert.

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