Mittwoch, 9. Dezember 2015

Nelson Algren: A Walk on the Wild Side

„Überall nur zwei Sorten Menschen: die einen, die lieber auf der Verliererseite der Straße leben, zusammen mit den anderen Verlierern, als bloß für sich allein zu gewinnen; und dann die anderen, die auf Teufel komm raus gewinnen wollen, selbst wenn sie das bloß auf dem Rücken von den ohnehin schon Geprügelten schaffen können.“ (Nelson Algren: A Walk on the Wild Side)
Gerade habe ich, zum zweiten Mal nach den späten achtziger Jahren, Nelson Algrens großartiges Gemälde der Weltwirtschaftskrise von 1930 bis 1932 gelesen. Ein junger Mann geht hinaus in die Welt, er ist arm und ungebildet. Das Leben schlägt ihm buchstäblich und im übertragenen Sinne die Fresse ein (als Obdachloser und als Tagelöhner, im Puff, in der Gosse und im Knast), er stolpert und fällt immer wieder, bleibt schließlich liegen und kommt als gescheiterter Krüppel zurück in sein trostloses Nest in Texas. Ein Anti-Held in einem Anti-Märchen, allegorisch taucht immer wieder das Märchen vom tapferen Zinnsoldat auf, mein Lieblingsmärchen übrigens. Trotz deiner Aufrichtigkeit und deines Willens zerstört dich ein Zufall, der keinen Sinn ergibt.
Nelson Algren, der 1981 der Legende nach mit einem Whiskyglas in der Hand verstarb, ist ein Zeitgenosse von uns. Er beschreibt eine Welt, deren Ordnung zerfällt, die uns unaufhörlich in ihre Strömung zieht und von den Ufern unserer Ideale und Träume entfernt. Die Gegenwart erscheint uns unwirklich, ein apokalyptisches Karussell ohne tiefere Bedeutung. Wir begreifen die Auflösung alter Gewissheiten nicht, so wie wir das Heraufziehen neuer Gewissheiten nicht begreifen.
„Und nach einiger Zeit fing sie wieder an zu weinen, wusste jetzt aber selber nicht mehr, warum. So wie ein Kind, das schlecht geträumt hat, immer noch weiterweint, obwohl es den Traum selbst schon vergessen hat.“ (Nelson Algren: A Walk on the Wild Side)
Rainald Grebe – Krümel. https://www.youtube.com/watch?v=Y82AWjDwzjk

3 Kommentare:

  1. Deprimierend. Mann, Kiezschreiber! Gönnen Sie sich doch wieder mal was Schönes!

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    1. Ich erwarte an diesem Punkt konkrete Vorschläge: Himbeereis, Bockbier, Laurel & Hardy?

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  2. Ich bin ein großer Fan von Hans Christian Andersen. Habe seine Märchen als Kind gelesen, wobei ich finde, dass der Begriff "Märchen" da oft nicht passt. Es sind eher Kurzgeschichten mit oft einem traurigen Ende, wie bei dem Zinnsoldaten. Auf jeden Fall war er ein toller Erzähler. Und ich glaube, irgendwo auch Realist ;-)

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