Mittwoch, 30. Dezember 2015

Berliner Asche, Kapitel 6, Szene 5

Mardo stieg am Bahnhof Zoo aus der U 9. Auf dem Hardenbergplatz, wo Taxis und Busse auf Fahrgäste wartetten, kletterte gerade die goldene Wirtschaftswundergeneration aus einem Reisebus und blinzelte traumblöde in den Berliner Sonnenhimmel: er mit schwerem Bauch im karierten Hemd, sie hellbraun onduliert im cremefarbenen Blazer.
Der Privatdetektiv betrat den Zoologischen Garten durch das Löwentor. Zunächst war er nach links abgebogen, am Panzernashorn vorbei, um zu den Flusspferden zu gehen. Im vergangenen Herbst hatte die Herde Nachwuchs bekommen. Das Kleine lag oft auf der Felseninsel in der Mitte des Beckens, eifersüchtig von der Mutter und den anderen Familienmitgliedern bewacht. Mardo zwinkerte immer den Flusspferden zu, wenn sie ihn ansahen. Inzwischen zwinkerten manche von ihnen auch zurück, so ging es drei-, viermal hin und her. Dann führte ihn sein Rundgang an Eisbären, Pinguinen und Fischottern vorbei. Langsam, aber sicher näherte er sich seinen Lieblingen. Bei den Primaten waren es die Totenkopfaffen, die er aus alten Filmen kannte, in denen ein Piratenkind sich selbst erzog, und die Springtamarine, weil diese beiden Arten einfach nett anzuschauen waren. Außerdem interessierten ihn die Bonobos und Orang-Utans, weil ihr Verhalten ihn an die anderen Bewohner dieser Stadt erinnerte. Ihren Kindern sah er gerne beim Spielen zu, die Kommentare der Menschenkinder auf seiner Seite der Scheibe waren nicht weniger interessant.
Dann war es Zeit, den Kommissar anzurufen. Er hatte es nicht weit bis zum Zoo, höchstens zehn Minuten zu Fuß bis zum Elefantentor. Und Mungo Jerry wohnte nicht weit von diesem Eingang entfernt. Nachdem er das Stichwort durchgegeben hatte, ging er hinüber ins Raubtierhaus. Im Keller, der den Nachttieren vorbehalten war, ging er achtlos an Wüstenfüchsen und Erdferkeln vorbei zu den beiden Plumploris. Sie saßen gerade in der Nähe der Scheibe und untersuchten den Boden nach eventuell vorhandenen Würmern und Käfern. Mardo lächelte und legte die Fingerspitzen an die Scheibe. Das kleinere Weibchen legte seine Pfote, deren lange nackte Finger Nägel wie eine Menschenhand aufwiesen, ebenfalls an die Scheibe und sah ihn an. Vor einigen Monaten, als er eine Auftragsflaute hatte und er mit Julia noch kein Restaurant führte, war er jeden Tag gekommen. Irgendwann hatte sich das Männchen bei seinem Anblick mit geradezu atemlosem Tempo, für seine Verhältnisse natürlich, auf den Weg zur Futterschale gemacht, weil er Mardo wohl für einen der Tierpfleger gehalten hatte. Jetzt kletterten sie durch die Äste und beachteten ihn nicht mehr. Als eine russische Familie näher kam, verließ Mardo seinen Platz und ging die Treppe hinauf ins Licht.
Es roch furchtbar nach ungewaschenen Löwen, als er zur Heimstätte des Ringelschwanzmungos ging, der direkt neben den Erdmännchen wohnte, die wie immer von Scharen alleinerziehender Mütter belagert wurden. Dann kam Kommissar Leber. Es war ungewohnt, ihn ohne Jacke zu sehen, er hatte den Kragen seines hellblauen Hemds sogar zwei Knöpfe weit geöffnet.
„Tag, Mardo. Hoffentlich haben Sie gute Nachrichten.“
„Habe ich. Und eine Telefonnummer nebst Adresse.“
„Dann lassen Sie mal hören.“
Während sie dem Ausgang in Richtung Pandabär entgegen schlenderten, erzählte Mardo dem Kommissar von seinem Verdacht. Die Kontaktdaten von Elias Merck hatte er auf einen Zettel geschrieben. Sie hatten bei ihrem letzten Gespräch vereinbart, keine Daten über Handy oder Internet weiterzugeben.
Leber runzelte die Stirn und blickte den Privatdetektiv skeptisch an. „Das reicht nicht für eine Verhaftung. Und observieren kann ich den Kerl nicht ohne offizielle Unterstützung durch meine Dienststelle. Und wenn ich eine Observierung beantrage, nehmen mir die lieben Kollegen vom Staatsschutz die Sache aus der Hand.“
Mardo überlegte eine Weile. „Und wenn wir Merck eine Falle stellen?“
„Eine Falle?“ Leber grübelte.
Sie liefen schweigend in Richtung Landwehrkanal und überquerten ihn auf einer hölzernen Fußgängerbrücke. Auf der anderen Seite gab es noch ein kleineres Gelände mit diversen Huftieren, Mardo kannte es nur flüchtig. Irgendwo unter der Brücke war die Gedenktafel für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angebracht, deren Leichen hier 1919 gefunden wurden.
Plötzlich hellte sich die Miene des Kommissars auf. „Heute Abend findet draußen in Schmöckwitz die Geburtstagsfeier des Polizeipräsidenten statt. Wegen der aktuellen Sicherheitslage in Berlin hat das niemand an die große Glocke gehängt. Erstens feiert man nicht so ausgelassen, wenn die Lage beschissen ist, zweitens haben wir gar keine Leute, um die Gäste zu bewachen. Da gibt es höchstens den persönlichen Bodyguard von Wowereit, falls der überhaupt kommt, und ansonsten ein bisschen inoffizielle Security. Es ist sowieso höchstens die Lokalprominenz da, eigentlich aber nur Freunde und Kollegen. Ich bin natürlich nicht eingeladen“. Leber grinste gut gelaunt beim letzten Satz. Wer von den Kollegen eingeladen wurde, galt als Streber und Karrierist. „Das wäre doch ein gefundenes Fressen für einen größenwahnsinnigen Brandstifter, der auf seine Serie noch einen draufsetzen will.“
Mardo nickte zufrieden. „Das klingt gut. Ein fetter Köder. Haben Sie da eine genaue Adresse?“
Sie gingen an der Rückseite der spanischen Botschaft vorüber, die unmittelbar an das Erweiterungsgelände des Zoos angrenzte.
„Lassen Sie mich nachdenken.“ Leber grübelte ein wenig. Als Laschka ihm von der Party erzählt hatte, musste ihm sein Assistent gleich das Grundstück bei Google Maps und Street View zeigen. Endlich konnte man sich stressfrei die Häuser anderer Leute anschauen. Das Internet war gar nicht so übel.
„Daniel Burckhardt, Windwallstraße 15.“
Dann verabschiedeten sie sich voneinander. Leber ging zuerst und Mardo betrachtete noch eine Weile die japanischen Waldziegen.

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