Donnerstag, 8. Oktober 2015

Der Club

„Um einen Feuerball rast eine Kotkugel, auf der Damenseidenstrümpfe verkauft und Gauguins geschätzt werden. (…)Über dieses Chaos von Dreck und Rätsel einen erlösenden Himmel stülpen!!“ (Walter Serner: Letzte Lockerung)
Von außen wirkt das Gebäude ganz unscheinbar. Ein schmales Haus aus dunkelroten Backsteinen in einer endlosen Reihe gleichförmiger Häuser. Aber vor Nummer Fünf parkt immer ein schwarzer Humber Pullman Mark II, Baujahr 1950. Wenn man die Türglocke betätigt, erklingt ein altehrwürdiges Glockenspiel und alsbald wird ein winziges Schiebefenster geöffnet. Zutritt nur für Clubmitglieder.
Im Erdgeschoss befinden sich die Garderobe, die Toiletten und die Küche. Über eine Holztreppe erreicht man den großzügigen Clubraum im ersten Stock, der mit einer gutsortierten Bar und schweren Ledersesseln ausgestattet ist. An der Wand gegenüber der Bar hängt das Wappen des Clubs, zwei gekreuzte Queues unter einem Totenkopf auf dunkelgrünem Grund. Um das Wappen sind dreißig winzige Särge, etwa handgroß, an der Wand befestigt. Manche sind offen, manche verschlossen. In den offenen Särgen sieht man Whiskygläser stehen, die nur von ihrem jeweiligen Besitzer benutzt werden dürfen. Die geschlossenen Särge gehören den verstorbenen Mitgliedern. Auf dem Holz befinden sich Messingplatten, in denen ihre Namen eingraviert sind. Niemand darf sie jemals wieder öffnen und die persönlichen Tumbler berühren.
Der Club heißt „Indoor Empire” und hat schon seit zwanzig Jahren keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. Ich bin der einzige Deutsche in diesem Club und darum nennen mich alle anderen Mitglieder Jerry, nach dem Spitznamen der Deutschen in den Weltkriegen. Eigentlich heiße ich Peter Frost. Gäste und Frauen sind in diesem Club unerwünscht, die Türpolitik ist noch unerbittlicher als im Kreml. Wir sind gerne unter uns und machen es uns im Club gemütlich. Das britische Wetter hat auch seine Vorteile. Es bietet uns eine gute Begründung für lange Nachmittage und nette Abende im Club.
Ich entspanne mich gerade bei einem Glas Bushmills, als Milford mich anspricht.
„Wir haben einen neuen Kunden.“
„Welche Art Kunde?“
„Waffenhändler. Er hat seine Quelle in Mexiko. Polizei und Militär. Ist gut vernetzt. Da es sich um deutsche Waffen handelt, die exportiert werden, haben wir gleich an dich gedacht, Jerry.“
Ich muss lachen. „Deutsche Wertarbeit in falschen Händen?“
Milford lacht auch. „Du wirst doch diesen Schrott von Heckler&Koch nicht als Wertarbeit bezeichnen? Selbst kleine Länder bauen inzwischen bessere Waffen als die Deutschen. Denk mal an die Glock aus Österreich, das SCAR aus Belgien oder das TAR-21 aus Israel.“
„Du weißt, wie ich über mein Land denke. Deswegen lebe ich in London.“
„Dein Kunde ist in New York. Er verkauft die mexikanischen Waffen in Kriegsgebiete wie Sudan oder Syrien. Hier ist dein Ticket. Ich habe dir schon einen Termin machen lassen.“
Lexington, Ecke Zweiundvierzigste. Sein Büro ist im 33. Stock. Ein schönes Gebäude. Ich habe es noch nie betreten.
„Eugene Tackleberry. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.“
Er hat einen kräftigen Händedruck und seine Zähne sind so blütenweiß wie die Porzellanpissoirs in unserem Londoner Club.
„Es ist mir eine Ehre. Sie sind mir von guten Freunden empfohlen worden, die für Academi arbeiten. Geh zu Chad Copeland, haben sie mir gesagt.“ Vom ungewohnten Dauerlächeln schmerzt mir die Kiefermuskulatur.
Wir setzen uns und ich erläutere ihm meine Wünsche. Nichts Besonderes, aber der Anfang einer hoffentlich langen und erfolgreichen Geschäftsbeziehung.
„Fünfzig Scharfschützengewehre vom Typ M 110 von Knight’s aus dem schönen Florida. Kein Problem. Dafür benötigen wir höchstens zwei Wochen. Die Hälfte der Zahlung sofort, die andere Hälfte bei Lieferung. Der Transport nach Großbritannien können wir per Frachtschiff abwickeln, das kostet Sie aber extra.“
Wir verabreden uns für den Abend in meinem Hotelzimmer. Das gute alte Chelsea-Hotel, in dem Sid Vicious im Rausch seine Freundin getötet hat und ein paar Monate später im selben Zimmer an einer Überdosis starb. Inzwischen kostet die Übernachtung über zweihundert Dollar.
Copeland scheint mir nicht zu trauen, denn er bringt einen Assistenten mit. Ich habe sogar mit zwei Begleitern gerechnet. Ich gebe dem Waffenhändler den Schlüssel zu einem Schließfach in der Grand Central Station und wir stoßen miteinander an.
Die Gläser habe ich präpariert. Der Whisky löst das Gift auf dem Boden. Ein letztes Mal schmerzt mir das grelle Weiß seiner Zähne in den Augen.
Es wirkt schnell. Die beiden Leichen packe ich unters Bett. Vor morgen früh wird niemand ins Zimmer kommen. Und ob die Zimmermädchen die Leichen sofort entdecken, ist fraglich.
Eugene Tackleberry verlässt das Hotel, läuft zum Bahnhof und holt mit dem Schlüssel, den er Mister Copeland wieder abgenommen hat, sein Gepäck aus dem Schließfach. Peter Frost fährt wenig später mit dem Zug nach Chicago. Der gefälschte Pass liegt in einem Mülleimer.
Am nächsten Abend sitze ich bei meinen Freunden im Club und wir lachen über mein Abenteuer.
Kraftwerk - Computerwelt (Full 12-Inch EP). https://www.youtube.com/watch?v=SLmlNh_TPBY

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen