Montag, 21. September 2015

Können wir Millionen Rassisten integrieren?

„I don’t think you stop growing until they start shovelling the dirt in.” (Keith Richards)
Warum sehen wir derzeit so unterschiedliche Reaktionen auf die neuen Migranten in Europa? Die einen stehen mit Blumen und Teddybären am Bahnhof, die anderen ziehen Grenzzäune und zünden Unterkünfte an. Die einen heißen die Ankommenden willkommen, die anderen reagieren mit Panik – Bürger ebenso wie Politiker der Firma Sitz & Sprech. Warum ist das eigentlich so?
Wenn wir die unterschiedlichen Reaktionsmuster einmal anhand von geographischen und soziologischen Mustern sortieren, fällt schnell auf, dass die „Willkommenskultur“ häufiger in der alten Bundesrepublik zu finden ist, die „Abschreckungspolitik“ häufiger in den ehemaligen Ostblockstaaten DDR, Polen, Ungarn, Tschechische Republik und Slowakei sowie in Staaten, die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen sind. Häufiger positiv stehen die junge und mittlere Generation der Mittelschicht der Entwicklung gegenüber, häufiger negativ Teile der älteren Generation und die Unterschicht. Radikal reagiert in der Kombination der Merkmale die ostdeutsche Unterschicht. Selbstverständlich passen nicht alle Einzelfälle in dieses Raster, aber die Tendenz ist deutlich zu erkennen.
Wer hat gute Erfahrungen mit Migration? Das Gebiet der alten Bundesrepublik (inklusive Berlin) mit der Einwanderung von über einer Million Polen ins Ruhrgebiet und in die Hauptstadt in den Jahrzehnten nach der Reichsgründung 1871. Die westdeutschen Besatzungszonen mit der Einwanderung von zwölf Millionen Vertriebenen nach 1945. Die Bundesrepublik mit der Einwanderung von Millionen Gastarbeitern, die den versiegenden Zustrom an Arbeitskräften aus dem Osten nach dem Mauerbau 1961 kompensierten. Und wieder die Bundesrepublik mit der Einwanderung von einer Million Ossis nach dem Mauerfall 1989 und von Millionen Aussiedlern aus dem ehemaligen Ostblock ab 1990 (bzw. den „Übersiedlern“ wie Miroslav Klose vor dem Fall des Eisernen Vorhangs). Und weitere Millionen kamen seitdem in die alte Bundesrepublik, die heute das ökonomische Herz des Kontinents bildet.
Es läuft im Westen dieser Republik, weil immer wieder neue Leute kommen, die den alten Laden aufmischen und bereichern. Was heißt das für unsere Ausgangsfrage: Warum sehen wir so unterschiedliche Reaktionen auf die Migranten, die derzeit in Europa ankommen? Wer Erfahrung mit Migration hat, sieht Migration positiv. Wer keine Erfahrung mit Migration hat, sieht Migration negativ. Regionen mit Integrationserfahrung sehen die aktuelle Entwicklung positiv, Regionen ohne Integrationserfahrung reagieren mit Angst und Aggression. Die erfahrenen Regionen werden langfristig profitieren, die unerfahrenen Regionen werden weiter zurückfallen. Im Idealfall lernen die erfolglosen Regionen von den erfolgreichen, der Worst Case wäre, wenn sich die erfolgreichen Regionen von der Angst der erfolglosen anstecken lassen würden. Und was für die Regionen gilt, das gilt auch für die Menschen.
P.S.: Kollateralnutzen: Die Migranten motivieren die Politiker, Lösungen für die schwerwiegenden Probleme in ihren Heimatländern zu finden. Schon deswegen sollte man froh über jeden Syrer oder Iraker sein, der hier ankommt.
Genesis - Second Home By The Sea. https://www.youtube.com/watch?v=zxr-TwXJrnA

7 Kommentare:

  1. Der Text ist viel zu eindimensional. Liest sich wie ein Editorial aus dem "Stern" der 90er Jahre. Ich finde, Migration muss man immer aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Im Westen gibt es keine "Willkommenskultur" und keiner ist wirklich scharf auf die vielen Flüchtlinge. Die Peripherieländer müssen auf den Ansturm irgendwie reagieren. Als allerletzte Möglichkeit bleibt dann wohl der Zaun. Die Deutschen sind aber nicht besser, wenn ein paar von denen Teddys verteilen und sich aufführen wie bekloppte Teenager, die auf ihre Lieblings-Boygroup warten. Das ganze Thema ist viel zu ernst und zu vielschichtig, als dass man es in pauschalen Kategorien darstellen könnte.

    AntwortenLöschen
  2. Immerhin sollen die Asylverfahren mit Hilfe von McKinsey-Beratern beschleunigt werden. Alles wird gut.

    AntwortenLöschen
  3. Zitat: "... „Willkommenskultur“ häufiger in der alten Bundesrepublik zu finden ist ..."

    Die Willkommenskultur besteht aus den gleichen Leuten die 2003 eiskalt Hartz-Terror, Niedriglohnpoltik und Banken-Entfesselung in die Wege geleitet haben. Es sind alles verlogene Heuchler.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Auf die Politiker bzw. die Parteien trifft das sicher zu. Aber für die freiwilligen Helfer, die sich im Augenblick um die Flüchtlinge kümmern, gilt das nur zum Teil. Ich könnte mir denken, dass viele von denen gegen das Hartz-Regime usw. sind.

      Löschen
  4. „über jeden Syrer oder Iraker“

    Wir sollten froh sein über _jeden_. Wirklich?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Jeder Syrer und jeder Iraker hat das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen.

      Wir brauchen sicher keine anonymen Amateure als Hilfs-Sheriffs, die sich als Richter über ihre Mitmenschen aufspielen wollen ;o)))

      Löschen
    2. „Jeder Syrer und jeder Iraker hat das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen.“

      Sicher. Das haben sie aber so nicht gesagt, und ich auch so nicht gefragt oder angedeutet. Da drehen Sie mir etwas an. Ich will das Recht auf einen Asylantrag niemandem in Abrede stellen. Das ist insgesamt eine hervorragende Errungenschaft. (Dennoch: als wäre gerade jeder Flüchtling auch tatsächlich asylberechtigt, aber das ist wohl eine Geschichte für einen anderen Tag.)

      Ich bezweifle aber, dass wir die Pflicht haben, froh zu sein über _jeden_, der anlandet. Das wäre unreflektiert und naiv. Das hat auch gar nichts mit Asyl zu tun. Ganz abgesehen davon, dass eine Pflicht sich über etwas zu Freuen an sich schon eine merkwürdige Sache ist. Genauso gut kann man jemanden zwingen zu tanzen oder zu singen. Wieviel Freude da wohl drin steckt?

      „Wir brauchen sicher keine anonymen Amateure als Hilfs-Sheriffs, die sich als Richter über ihre Mitmenschen aufspielen wollen ;o)))“

      ?

      Jemand sagte einmal: Wenn man die Welt verstehen will sollte man die Finger lassen von einem Studium der Politikwissenschaft und sich beschäftigen mit Wirtschaft. Kann mich damit mehr und mehr anfreunden. :)

      Löschen