Montag, 1. Juni 2015

Für Johanna, Charlotte und Justus

Kind: Wer bist du?
Kiezschreiber: Ich bin der Kiezschreiber.
K: Was machst du?
K: Ich denke mir Geschichten aus. Die schreibe ich auf.
K: Und wie geht das?
K: Dazu muss ich alleine sein. Und es muss ganz still sein. Dann kommt irgendwann die Geschichte angeschlichen. Zuerst ein Bild oder ein Gesicht. Vielleicht sehe ich ein Haus oder einen Menschen, der die Straße lang geht.
K: Träumst du die Geschichten?
K: Manche Geschichten träume ich auch. Dann wache ich morgens auf habe eine fertige Geschichte im Kopf.
K: Wie geht denn das?
K: Das weiß ich auch nicht. Im Schlaf macht der Kopf, was er will. Dann denkt er sich Sachen aus, die es vielleicht gar nicht gibt.
K: Du bist also ein Geschichtenerzähler. Was ist denn ein Kiez?
K: Das sagt man so in Berlin. Ein Kiez ist ein Ort, wo man seine Nachbarn kennt und den Bäcker und wo man Freunde hat. Wie in deinem Dorf. Die Kieze sind die kleinen Puzzlestücke, aus denen sich die große Stadt zusammensetzt.
K: Was ist Berlin?
K: Das ist die Hauptstadt vom ganzen Land. Da wohnen die Königin und ganz viele Menschen. Nur dass die Königin Kanzlerin heißt und nicht mehr in einem Schloss lebt, sondern in einem Büro sitzt.
K: Warum?
K: Das weiß ich auch nicht. Das war schon immer so.
K: Spielen alle deine Geschichten in Berlin?
K: Nein, die können überall spielen. Ich kann mir ja auch einen Ort ausdenken, den es gar nicht gibt.
K: Erzähl mal eine Geschichte!
K: Da ist zum Beispiel die Geschichte von dem Jungen, der ganz viel Geld verdienen will. Einen Riesenhaufen Geld. Und von dem Geld will ich er sich eine zweite Mutter kaufen.
K: Und schafft er das?
K: Nein, es gibt Dinge, die kann man sich nicht kaufen. Niemand hat zwei Mütter.
K: Warum?
K: Weil jeder Mensch nur eine Mutter und einen Vater hat. Mehr gibt’s nicht. Jeder hat genau eine Mutter und einen Vater – und das war’s.
K: Und bei den Tieren?
K: Jede Katze hat eine Katzenmutter und einen Katzenvater. Jedes Pony hat eine Ponymutter und einen Ponyvater. Das ist bei allen Menschen und Tieren so.
K: Erzähl noch eine Geschichte!
K: Da gibt es noch die Geschichte von dem Mädchen, dass älter werden will als seine Schwester, obwohl die drei Jahre älter ist.
K: Wie will sie das machen?
K: Sie isst so viel Schokolade, bis sie fast platzt. Sie denkt, wenn sie ganz viel Schokolade isst, kann sie ihre Schwester einholen.
K: Und was passiert dann?
K: Ihr wird schlecht.
K: Sie kotzt!
K: Kotzt? Es schießt so ein armdicker Strahl brauner Brühe aus ihrem Mund, dass sie am Ende bis zu den Knien in Kotze steht.
K: Iiiih!
K: Ja, aber so geht die Geschichte.
K: Ich habe auch eine Geschichte.
K: Erzähl mal!
P.S.: Johanna, Charlotte und Justus sind 7, 5 und 3 Jahre alt. Sie leben bei Georg und Ulrike. Da war ich gestern zu Besuch. Kann man sich nicht ausdenken.
K: Hast du auch Kinder?
K: Nein. An dem Tag, an dem die Kinder verteilt wurden, habe ich verschlafen. Als ich hinkam, waren schon alle weg.
Ken Boothe - Everything I Own. https://www.youtube.com/watch?v=bfFNnXc1By4

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