Montag, 15. Juni 2015

Blogstuff 4

„Zorn reicht nicht. Auch der Zorn einer Mehrheit reicht nicht. Es muss jemand da sein, der den Zorn organisiert. Wer im Land der satten Feigheit? Wie im Überwachungsstaat?“ (Heinrich Knochenhauer)
Wie viele Menschen führen das Leben von Aschenputtel? „Da musste es von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun (…). Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern musste sich neben den Herd in die Asche legen.“ Daher der Name. Aschenputtel wird ausgebeutet und verachtet, aber wehrt es sich? Nein, die Gebrüder Grimm zeichnen zur Freude der Obrigkeit das Bild eines Menschen, der klaglos alles aushält und stumm sein Schicksal erleidet, um dann wie durch ein Wunder von einem schönen Prinzen erlöst zu werden. Halt deinen Mund, mach deine Arbeit und alles wird gut. Es ist eine schöne Geschichte. So schön, dass wir dieses Märchen noch heute erzählen – notfalls in einem Hollywood-Film wie „Pretty Woman“.
Tonio Kröger: Das Kunstwerk soll den Eindruck vermitteln, der Künstler sei von seinen Emotionen geleitet und folge blind seiner Inspiration, in Wirklichkeit ist die Wirkung des Kunstwerks auf den Betrachter, Hörer oder Leser stets kühl berechnet. Kunst ist überwiegend Handwerk, Kunsthandwerk. Der vollkommene Künstler ist einsam und arm. Er stellt das Leben nur dar, ohne an seiner Banalität teilzunehmen. Und doch spürt er die „Sehnsucht … nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit“, von der ihn seine Erkenntnis trennt.
Der schöpferische Akt beginnt mit der Idee, einer plötzlich aufflackernden Leidenschaft, dem Drang, etwas zu erschaffen. Aber man darf sich nicht überwältigen lassen, sondern muss Gelassenheit und Überblick bewahren, einen Rhythmus finden, der sich langsam steigert, der pulsiert wie das Blut in den Adern, der sich auf den Höhepunkt zubewegt. Den Höhepunkt zögert man hinaus, soweit es die Kräfte erlauben … aber das ist ein anderes Thema. Danach rauche ich gerne eine Zigarette.
Das Vollprogramm ZDF Kultur wird mit zwei Mitarbeitern betrieben. Einer der beiden Beschäftigten hat nur einen Zeitvertrag. Marktanteil: 0,5 Prozent. Die Zukunft des Journalismus, die Zukunft der Kultur.
Überhaupt: die Quote. Es ist das einzige Kriterium bei der Beurteilung einer Fernsehsendung, deren Quotenentwicklung im Minutentakt kontrolliert und analysiert wird. Ein Fernsehsender ist wie ein Kiosk, hat mir ein Redakteur mal im Vieraugengespräch erläutert. Wichtig ist, dass die Produkte verkauft werden. Was die Leute damit machen, ist letztlich egal. Selbst wenn sie die Zeitschrift oder das Eis sofort in den Mülleimer schmeißen, dem Kioskbesitzer ist es wurscht. Ob die Zuschauer sich informiert oder unterhalten fühlen? Wer will das wissen? Die Wahrheit reduziert sich auf eine Zahl: die Quote. Wie in der Politik: das Wahlergebnis. Wie in der Wirtschaft: Umsatz, Gewinn, Wirtschaftswachstum. Überall steht am Ende eine Zahl, um die sich ungezählte Hoffnungen und Sorgen ranken.
Es sind nicht nur immer die gleichen Leute, die in den Talkshows sitzen, sie vertreten auch immer die gleiche Meinung. Wäre es nicht kostengünstiger, wenn Praktikanten mit lustigen Handpuppen auf den Stühlen säßen, die den Bosbach usw. spielen?
Fernsehen, Internet: Wir sehen so viel von dieser Welt wie keine Generation zuvor und verstehen doch so wenig. Im Winter füttern wir die Vögel im Garten und hinter dem Horizont verhungern die Kinder.
Reichtum ist ein Distinktionsmerkmal. Wenn alle Millionäre wären, müsste der Millionär sein Klo ja wieder selbst putzen. Reiche Menschen haben also ein nachvollziehbares Interesse an Massenarmut. In den USA sind alle wichtigen Politiker Millionäre, die Unternehmer sind es sowieso. Woher sollte also der Impuls zu einer Angleichung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse kommen? Die Massen werden wie im alten Rom nach den Regeln „panem et circenses“ und „divide et impera“ ruhiggestellt, ihre Energien dürfen sie in einem Arbeitsleben mit Wettlaufcharakter und als Konsumenten im Freizeitstress der scheinbar unendlichen Möglichkeiten verbrennen.
Nazareth - This Flight Tonight. https://www.youtube.com/watch?v=ylW6sC6NNhY

1 Kommentar:

  1. Hübsche kulturkritische Spitze.
    Aber die Verpsychologisierung der Millionäre ist unnötig. Die werden auch ohne Gier automatisch reicher, solange die funkional gehaltene Armut nichts an den Spielregeln ändert.

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