Dienstag, 2. Juni 2015

Audienz beim Großschriftsteller

„Die Deutschen haben eine dunkle und eine weniger dunkle Seite.“ (Maurice de la Chaussee)
Ich traf Andy Bonetti im Salon der Pension Fontane an der Rehwiese in Berlin-Nikolassee, in der traditionell Maler, Musiker, Schriftsteller und Bildhauer abzusteigen pflegen, die auf Publicity keinen Wert legen. Die Besitzerin, Modestia Jankel, ist bekannt für ihre unbedingte Diskretion, so dass ich nicht fürchten musste, andere Journalisten in der Pension zu treffen.
Bonetti stand an einem Bücherregal und las ein wenig Dostojewski, „Erniedrigte und Beleidigte“, wenn ich mich Recht entsinne. Er trug chinesische Seidenpantoffeln, ein rotkariertes Holzfällerhemd mit einer Krawatte im gleichen Muster und dunkelgrüne Knickerbocker. Seine Schläfen begannen damals schon grau zu werden, und er hatte einen Schnurrbart, aber noch nicht jenen patriarchalisch wirkenden silberfarbenen Vollbart, der ihm auf Fotografien später jenen Ausdruck von Heiligkeit und Unschuld verleihen sollte.
Als ich ihn nach seiner Einschätzung zu Dostojewski fragte, lächelte er. „Ich habe mein Leben lang versucht, ein besserer Schriftsteller zu werden. Dabei habe ich mich an anderen Schriftstellern orientiert. Ich fing bescheiden an und schlug eines Tages Joseph Roth und Heinrich Böll. Dann stieg ich mit Thomas Mann und Hermann Hesse in den Ring. Ich arbeitete hart und eines Tages habe ich sie besiegt. Ich bilde mir ein, an guten Tagen ein Unentschieden gegen Kafka erkämpft zu haben. Aber gegen Dostojewski habe ich keine Chance.“

Ich fragte ihn, warum er Dostojewski so schätze. Er antwortete, niemand könne Figuren so präzise zeichnen wie er. Niemand könne die Emotionen der Leser so steuern, wie es der spielsüchtige Russe aus dem neunzehnten Jahrhundert könne. Ich wies Bonetti darauf hin, dass der aktuelle Pulitzerpreisträger Maurice de la Chaussee, ein Romancier aus Nancy, für eben diese Qualität geschätzt würde.

„Ich bitte Sie“, sagte er und Zornesfalten verwandelten seine glatte hohe Stirn in eine stürmische See, „dieser Mann ist doch total überschätzt. Im New Yorker wird er seit Jahren in den Himmel gelobt. Der Autor dieser Ergüsse ist immer der gleiche: Professor Jeremy T. Pendercraft von der Unlikely Occurence Society. Dieser Gesellschaft gehören zufällig 49 Prozent am Verlag Dédain in Paris, das die Werke von de la Chaussee seit vielen Jahren betreut.“
Er ging wütend auf und ab. Ich wagte nicht, Bonetti zu unterbrechen. „Das absolutistische Bedürfnis nach barocker Prachtentfaltung schwitzt aus jeder Pore seiner infantilen Unterhaltungsliteratur. Warum kann man diese Machwerke an jedem Flughafen der Welt kaufen? Weil die Leser diesen schwülstigen französischen Stil mögen. ‚Mich dünkt‘ – wer benutzt denn heute noch solche Formulierungen? Oder ‚So ließ ich mir denn zum Zwecke eines Meuchelmords von der Gräfin einen Dolch aushändigen‘. Selbst in einem historischen Roman lasse ich das nicht durchgehen.“
Er kam mir bedrohlich nahe und seine Augen funkelten mich wütend an. Jetzt roch ich auch seine Fahne. Sein Gesicht war rot von Schnaps und gekränkter Ehre. „Dieser blasierte Franzmann! Eine Geschichte muss die Menschen mitreißen. Sie muss wie die Axt durch heißen Kartoffelbrei gehen. Kennen Sie Kenny Lannister? ‚Sharks don’t play‘ und ‚Swollen Things‘ sind einfach großartig geschrieben. Lannister hat die Welt gesehen. Den Mann können Sie an jeden Bartresen, auf jede Bühne, in jeden leeren Raum dieser Welt stellen. De la Chausee hat doch Nancy nie verlassen. Seine ganzen Romane spielen in dieser langweiligen Stadt. Das öde Provinznest war früher bekannt für seine Fabrik, in der Glasaugen für Teddybären hergestellt wurden, bevor die Chinesen diesen Markt übernommen haben.“
„Wussten Sie, das Maurice de la Chaussee in diesem Jahr den Literaturnobelpreis bekommen soll? Es ist noch nicht offiziell, aber die Feuilleton-Spatzen pfeifen es von den Kaffeehausdächern“, sagte ich.
„Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt“, schrie das Männlein, und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen, und riss sich selbst mitten entzwei.
Adam & the Ants - Prince Charming. https://www.youtube.com/watch?v=9p__WmyAE3g

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