Donnerstag, 26. Februar 2015

Fragen zur Teezeit

Krachowiak saß an der Bar und stierte in einen Long Island Ice Tea. Eistee war die richtige Erfrischung an einem so schönen Nachmittag, dachte er und einen Augenblick später widerte ihn sein eigener Sarkasmus an. Das kam selten vor. Manchmal hatte der erste Alkohol des Tages eine erhellende Wirkung – so wie ihn umgekehrt das letzte Glas einer Nacht in heulendes Elend stürzen konnte. Es war so selbstverständlich geworden, nach dem Mittagessen langsam in den Genuss alkoholischer Getränke hinüber zu gleiten und dann allmählich die Schlagzahl zu erhöhen. Er fragte sich, ob er eigentlich Alkoholiker war. Diese Frage stellte er sich alle paar Monate und seine Antwort war nicht ganz klar. Er war unsicher, ob er tatsächlich noch das Biest zähmen konnte oder ob er nicht längst zwischen seinen spitzen Reißzähnen in Fetzen gerissen wurde. Hatte er nicht schon als junger Mann seine wichtigsten Einfälle auf Bierdeckeln notiert? Es gab alle möglichen Selbsttests im Internet. Ein paar Fragen und man wusste, ob man Alkoholiker war.
Denkst du oft an Alkohol?
Wenn „oft“ mehrmals täglich bedeutete, dann konnte er diese Frage nur mit „Ja“ beantworten. Schon in der Kantine beim Mittagessen beneidete er die Kollegen in München, von denen er wusste, dass sie zum Schweinebraten ganz selbstverständlich eine Halbe Weißbier verzehrten.
Trinkst du jeden Tag  Alkohol?
Ja. Es musste schon eine üble Party vorausgegangen sein, um ihm einen ganzen Tag lang den Alkohol madig zu machen. Und selbst dann hatte er ja am gleichen Kalendertag, nur eben in den frühen Morgenstunden, Alkohol konsumiert.
Wird in deinem Umfeld regelmäßig Alkohol konsumiert?
Ja. Er war schließlich Journalist. Er traf sich mit anderen Journalisten, mit Schauspielern, Musikern, Politikern, Bankertypen und all den anderen Leuten, die ohne das Schmiermittel Alkohol (und nicht zu vergessen: Kokain) gar nicht miteinander funktionierten. Alle tranken, als Abstinenzler hätte er den Beruf wechseln können. Leute, die was gegen Suff und Drogen hatten, machten sich in seinen Kreisen verdächtig. Wer nicht bis zum Morgengrauen senkrecht an einer Theke stehen konnte, galt nichts im Journalismus und in der High Society der Hauptstadt. Dreiwöchige Aufenthalte in der deutschen Filiale der Betty-Ford-Klinik gehörten inzwischen einfach zum guten Ton in gewissen Kreisen.
Werden bei dir Hemmungen durch Alkohol abgebaut?
Ja, natürlich. Das ist doch Sinn und Zweck der Übung. Locker werden, mit Menschen in Kontakt kommen, den Mut finden, auch alleine auf eine Vernissage zu gehen und dort neue Leute kennenzulernen. Ein gehemmter Klatschreporter ist totes Fleisch.
Hast du am Morgen schon mal zittrige Hände?
Ja. Manchmal musste Krachowiak sogar den Morgenkaffee mit Kognak strecken, um sich selbst auf die Piste zu bekommen.
Trinkst du oft alleine Alkohol und ohne besonderen Grund?
Ja. Wozu brauchte man überhaupt einen Grund für ein Bier oder ein Glas Wein? Er hatte mal gelesen, der ganze Ackerbau sei vor Urzeiten überhaupt erst entwickelt worden, damit Menschen genug Material zur Alkoholproduktion hätten. Das Brot sei eigentlich ein Nebenprodukt der Alkoholproduktion. Seit es Menschen gibt, wird getrunken. Selbst die Tiere berauschten sich an vergorenem Obst.
Hast du ein schlechtes Gewissen wegen deines Alkoholkonsums?
Diese Frage war schwer zu beantworten. Einerseits machte er sich Gedanken über seine Gesundheit, andererseits hatte er keine Beschwerden. Alles lief – aber er wusste eben nicht, wie lange dieses Leben so weiter laufen konnte. Mal hatte er Angst vor der Zukunft, mal lachte er ihr schallend ins Gesicht. Nachts Herrscher der Welt, morgens eine kümmerliche Laus zwischen schmierigen Bettlaken.
Ich trinke, um zu vergessen, dachte Krachowiak. Und ich schreibe, um mich zu erinnern.
(aus: ME, Weißer Wedding)
Jackie Mittoo - Ghetto Organ. https://www.youtube.com/watch?v=UDX2A0gxMjM

7 Kommentare:

  1. Ich bin bereits seit ein paar Jahren trocken. Nach dem Entzug hatten mich meine Antworten (bei der Entwöhnung) bei einigen Fragen selbst überrascht.

    "Werden bei dir Hemmungen durch Alkohol abgebaut?" - Anfangs ja. Aber im Rückblick musste ich erkennen, dass das schon seit Jahren nicht mehr funktioniert hatte. Es kam zu keiner angstlösenden, auflockernden, belustigenden oder beruhigenden Wirkung mehr. Ich habe Alkohol nur noch zum Selbstzweck in mich hineingeschüttet.

    "Hast du ein schlechtes Gewissen wegen deines Alkoholkonsums?" - Die meisten Menschen merken und wissen, dass sie Alkoholiker sind. Nur zugestehen will man sich das nicht ... bis zur letzten Minute. Erst in der Aufnahme der Klinik konnte ich das mir und anderen gegenüber zugeben. Ich kenne auch nur wenige, die den ersten Schritt alleine gehen konnten.
    ABER: Das Trockenbleiben kann man nur durchhalten, wenn man es auch selber will. Bei aller Hilfe, die ich beim Outing, Entzug, Entwöhnung, am Arbeitsplatz und in der Familie hatte und die auch extrem hilfreich war, diese Voraussetzung ist wirklich grundlegend. Ohne fremde Hilfe ist aber das Durchhalten auf dem sehr langen Weg der Abstinenz sehr unwahrscheinlich.

    Ich war zu meinen Saufzeiten NIE so angstfrei wie jetzt. Die sinkende Wirkung des Angstlösens plus dem unbestimmten Wissen über die eigene Abhängigkeit wirkten bei mir gegenseitig verstärkend bis zur irgendwann stattgefundenen Eskalation.

    "Trinkst du oft alleine Alkohol und ohne besonderen Grund?" - Erweiterung: Gehst Du manchmal mit Freunden saufen? Und während diese danach besoffen bei sich einschlafen, geht es bei Dir zuhause erst richtig los?

    Wer merkt, dass er einen problematischen Alkoholkonsum hat, kann das einfach mal mit seinem Hausarzt besprechen. Die leicht verderblichen Sachen aus dem Kühlschrank entfernen, Heizung runterdrehen, Türen und Fenster zumachen und auf gehts in Richtung Entzug. Man kann dort (fast) jederzeit gehen, falls man es nicht aushält. Und die Leute in den Kliniken und Beratungsstellen sind fast durchweg nett. Der Arbeitsplatz ist übrigens auch gesondert geschützt.
    Wenn man es nicht beim ersten Mal schafft, so ist das keine Schande und man kann jederzeit wieder einen neuen Versuch wagen.
    Ich feiere jedenfalls inzwischen zweimal Geburtstag im Jahr und das zurecht und überglücklich.

    PS: Das "kontrollierte Trinken" wird seit wenigen Jahren nicht mehr prinzipiell von den Therapeuten abgelehnt. Aber da muss man schauen, was man für ein Typ ist und ob die Abstinenz nicht vielleicht doch besser zu Einem passt.

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    1. Glückwunsch! Ich finde die neue Phase meines Lebens auch äußerst zufriedenstellend. So produktiv war ich in meinem ganzen Leben noch nicht. Einmal die Woche im Kreise guter Freunde, so lautet meine Devise. Und die ganzen illegalen Sachen sind komplett gestrichen. Zwei Freunde von mir haben erfolgreich einen Heroinentzug geschafft - die waren viel schlimmer dran. Hast du eine neue Sucht entwickelt? Mein Feind heißt Schokolade ;o)

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    2. Ja ... Schokolade. :D
      Anfangs gab es erstaunliche Dosissteigerungen. Ich arbeite auch teilweise erfolgreich dran mit den Techniken, die ich bei der Entwöhnung und in meiner Gruppe gelernt habe. Nur ist der Leidensdruck nicht so groß. Die Gewichtszunahme konnte ich aber durch kontrolliertes Naschen stoppen.

      Auch Dir einen herzlichen Glückwunsch!

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    3. Kontrolliertes Naschen ... wenn es aber Duplo im 20er-Pack gibt und neben dem Computer steht! Man müsste die Kraft eines Heiligen haben, ich verfüge aber leider nur über die Widerstandsfähigkeit eines Hundes im Wurstparadies ;o)

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    4. Dazu sind wir ja Menschen. Wir können fehlende Kraft durch Ideen und Planung ersetzen.

      Manchmal funktioniert es, drei bis vier Sorten möglichst von unterschiedlichen Herstellern zu kaufen. Von jeder dann zwei, drei Streifen nehmen und in kleine Stückchen teilen. Falls die Stücke noch zu groß sind, einfach nochmal durchbrechen. Dann das Ganze in einem kleinen Schälchen oder einer flachen Schale dekorativ anrichten und außerhalb der direkten Armlänge abstellen.
      Eine andere Möglichkeit ist, auf hochwertige dunkle Schokolade zu setzen. Die Stangen mit den "Plantagen"-Schokoladen halten bei mir deutlich länger als Milka.
      Oder bei Heißhunger auf Schokolade eine dicke Scheibe Brot mit schönem Belag essen, damit man gar nicht erst anfängt, sich mit Schokolade sättigen zu wollen.
      Oder die Gedanken ablenken mit Spaziergang, Meditation, Kopf leeren (auf den linken Zeh konzentrieren ...), viel Wasser trinken, die zehn Minuten Suchtdruck überstehen, ...
      Ansonsten gibt es Schlimmeres. Bei Schokolade ist ein Rückfall nicht so schlimm. ;o)

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    5. Ich werde an mir arbeiten, die Tipps hören sich gut an :o)

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    6. Eins muss ich aber noch loswerden:
      Man sollte auf KEINEN Fall einen Entzug ZUHAUSE ohne ärztliche Kontrolle machen. Das kann böse enden.

      PS: Ich würde die Schokolade nicht "Feind" nennen. "Gegner" ist vollkommen ausreichend. :D

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