Montag, 9. Februar 2015

Der Bluff

Eigentlich wollte ich nur Bier kaufen.
Ich stand an der Ampel und wartete auf Grün. Da kam sie und stellte sich neben mich. Ich sah sie flüchtig an und blickte in ein strahlendes Lächeln. Sie sah Weltklasse aus. Kurze blonde Haare, hellgrüne Augen, ein schwarzes Kleid. Ich wollte schon wieder wegsehen, aber ich konnte nicht. Sie lächelte einfach immer weiter.
„Donnerwetter, da ist aber jemand gut gelaunt“, sagte ich, ohne lange nachzudenken.
„Ja, ich könnte die ganze Welt umarmen. Es ist einfach unfassbar.“ Sie hob die Arme, als ob sie es mir beweisen wollte.
„Was ist denn passiert?“ fragte ich neugierig.
„Ich habe beim Pferderennen gewonnen. Zehntausend Euro. Und jetzt will ich einfach Party machen.“
Die Ampel schaltete auf Grün und wir gingen über die Straße.
„Wie gewinnt man denn zehntausend Euro beim Pferderennen?“
„Weißt du, was eine Zwölfer-Wette ist?“
„Nein. Keine Ahnung“. Ich kannte mich mit Pferdewetten überhaupt nicht aus.
Während wir nebeneinander gingen, erklärte sie mir ihr Wettsystem. Sie hatte von einem Freund einen Tipp bekommen und redete so schnell, dass mir ganz schwindlig wurde. Ich merkte gar nicht, wie wir die Richtung wechselten und nicht zum Supermarkt gingen, den ich eigentlich ansteuern wollte. Ich folgte ihr, während sie sprach.
„Weißt du was, du bist ein netter Kerl. Wir trinken jetzt im ‚San Remo‘ eine Flasche Champagner zusammen und bestellen uns Austern. Einverstanden? Ich will nur noch kurz in diese Boutique, um mir eine Halskette zu kaufen. Wir müssen hier lang.“
Wir gingen durch einen Hinterhof und ich hatte längst die Orientierung verloren. Eine schöne Frau lädt mich zu Champagner und Austern ein. Wahnsinn! Ich war wie in Trance.
Wir gingen in den Laden. Niemand war da. Die junge Frau löste sich von mir und ging zielstrebig hinter den Tresen. Was machte sie da? Scheiße! Sie öffnete die Kasse und nahm Geld heraus. Ich drehte mich um und steuerte die Tür an. Damit wollte ich nichts zu tun haben.
Da kamen zwei junge Männer die Treppe herunter, die neben der Kasse ins obere Stockwerk führte.
„Was machen Sie da?“ schrie einer die junge Frau an.
Ich ging einfach weiter und hatte die Türklinke schon in der Hand, die rief der andere: „He, Sie da. Stehenbleiben!“
Und ich blieb stehen.
Dann standen wir im Kreis, die zwei Männer, die junge Frau und ich.
„Wir sind bereit, die ganze Sache zu vergessen, wenn Sie kooperativ sind. Für hundert Euro vergessen wir den Diebstahl.“
Die junge Frau sah mich nicht an. Sie zuckte nur mit den Schultern und murmelte kleinlaut, sie hätte kein Geld dabei.
„Aber du hast doch zehntausend Euro“, rief ich erstaunt.
Die beiden Männer lachten. „Ihre Freundin sieht nicht so aus, als hätte Sie zehntausend Euro dabei. Kommen Sie, geben Sie uns die hundert Euro, sonst holen wir die Polizei.“
Nein, dachte ich mir. Ich zahle für diese blöde Tussi doch keine hundert Euro. Dann wäre ich für diesen Monat pleite. „Holen Sie ruhig die Polizei. Ich kann alles erklären.“
Einer der Männer zog seelenruhig ein Handy heraus und wählte mit der Kurzwahltaste eine Nummer an. Er erklärte, um was es ging und gab die Adresse des Ladens durch.
Wir hatten etwa eine Minute schweigend gewartet, als ein Polizist den Laden betrat. Die Männer grinsten, die Frau starrte immer noch auf den Boden.
Der Mann, der telefoniert hatte, erklärte dem Polizisten den Sachverhalt und stellte mich als Komplizen dar.
Mir kam die Sache merkwürdig vor. Polizisten traten immer zu zweit auf. Und in einer Minute kommt die Polizei in Berlin nicht.
Als der Mann fertig war, sah mich der Polizist an und sagte: „Ihren Personalausweis, bitte.“
Ich stutzte. Warum nahm er nicht zuerst die Personalien der Frau auf? Sie hatte schließlich den Diebstahl begangen. Das ist ein abgekartetes Spiel, schoss es mir durch den Kopf.
„Ich hätte gerne mal Ihren Dienstausweis gesehen“, sagte ich zu dem Polizisten.
Ich sah die Unsicherheit in seinen Augen.
„Wenn Sie mir Ihren Ausweis nicht zeigen wollen, nehme ich Sie mit auf die Wache“, sagte er ziemlich laut.
„Nach Paragraph 137, Abschnitt 2 sind verpflichtet, mir Ihren Dienstausweis zu zeigen.“ Ich hatte keine Ahnung, was der Paragraph 137 ist, aber ich sah im Gesicht des Polizisten, dass er es auch nicht wusste. Er hatte keinen Dienstausweis und er war auch kein Polizist. Langsam bekam ich Oberwasser.
„Ich werde jetzt den Polizeinotruf wählen und dann klären wir, was hier eigentlich läuft.“
Ich zog mein Handy und wählte blitzschnell irgendeine Nummer. „Ja, ist da die Polizei? Kommen Sie bitte in die Goltzstraße 57, der Laden heißt ‚Die schöne Marianne‘. Hier gibt sich jemand als falscher Polizist aus.“ Die Adresse und den Namen des Ladens hatte der Mann ja dem falschen Polizisten am Telefon genannt. Ich wartete einen Augenblick und tat so, als ob ich zuhören würde, dann sprach ich weiter: „Hier spricht Rechtsanwalt Dr. Göbel.“ Ich buchstabierte meinen angeblichen Nachnamen und nannte eine falsche Adresse irgendwo in der Nähe.
Wenn es ein Bluff war, würde ich einfach ein bisschen mitspielen. Das Schweigen war unglaublich. Der Polizist schwieg, die Männer schwiegen, die junge Frau schwieg. Keiner sah mich an.
Ich genoss das Gefühl und sagte mit einem maliziösen Lächeln: „Wir haben jetzt drei Minuten, bis die Polizei eintrifft. Aber ich gebe Ihnen eine Chance. Ich will hundert Euro.“ Dann ging ich einen Schritt auf die junge Frau zu. „Und ich will das Geld von Ihnen!“ Meine Stimme war jetzt laut und schneidend.
Die junge Frau lief zu Ladenkasse, nahm zwei Fünfzig-Euro-Scheine heraus und gab sie mir.
Ich nahm das Geld und verließ den Laden, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Dann ging ich wie geplant in den Supermarkt.
Sie hatten tatsächlich Champagner.
K.I.Z. - Ein Affe und ein Pferd. https://www.youtube.com/watch?v=MSNzIXa67Vw

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