Donnerstag, 8. Januar 2015

Die Wette – Sequel der Fortsetzung

„Ein Mensch ist erfolgreich, wenn er zwischen Aufstehen und Schlafengehen das tut, was ihm gefällt.“(Bob Dylan)
Rocky „Das Messer“ Palermo, der von seinem New Yorker Büro den Buchmarkt von Bad Nauheim und der umliegenden Landkreise kontrollierte, reagierte auf die Entführung seines besten Autors, wie man es von ihm erwartet hatte. Sein zuständiger Gebietsleiter, Morty „Pinball“ Malinowsky, fuhr nach Kompten und parkte einen Kleinlaster vor dem Clubhaus der Bloods.
Nur zwei Stunden nach dem Anruf von Hanky “Bone Sucker” Lustig, dem Boss der Bloods, in der Villa Bonetti, den Bonettis Kammerdiener Johann sogleich nach New York zu Rocky Palermo weitergeleitet hatte, ging die Bombe hoch. In der engen Gasse, die aus fensterlosen Hinterhäusern bestand, zerstörte die gewaltige Detonation das gesamte Clubhaus und begrub „Bone Sucker“ Lustig mitsamt einiger Gang-Mitglieder, seiner Freundin „Hell Kitty“, seinem Billardtisch und seiner Plattensammlung unter einem Berg rauchender Trümmer.
Aber die Bloods schlugen zurück. Marty „Pain Wizard“ Schinderknecht, der neue Boss, fuhr mit ein paar Jungs zur Stammkneipe der Crips. Als sie den Laden in ihren Bloods-Kutten betraten, wurde es schlagartig still wie in einem schlechten Western. Im „Dead Horse“ saßen ein paar Crips am Tresen, die beim Blick in den Lauf einer abgesägten Schrotflinte auch tatsächlich bereitwillig Auskunft gaben. Sie hatten mit der Bombe nichts zu tun. Aber ein Typ, der kein Wort Hessisch konnte, hatte sich vor ein paar Stunden in Kompten nach den Bloods umgehört. Nur eine Stunde später starb „Pinball“ Malinowsky im Kugelhagel der Bloods. Die Prospects, die den Auftrag erledigt hatten, wurden umgehend zu vollwertigen Mitgliedern der Gang befördert und hatten die Erlaubnis, sich für den Job eine Träne unter das rechte Auge tätowieren zu lassen.
Währenddessen saß Andy Bonetti gefesselt auf einem Stuhl. Toby „Grumpy Cat“ Schwanenhals, schwergewichtiges und grauhaariges Urgestein der Bloods, bewachte ihn. Das Haus am See war eines der besten Verstecke der Gang. Es wurde nur in Ausnahmefällen genutzt. Waffen und Drogen lagerten in den Docks von Bad Nauheim, die an Kompten grenzten. Das Hauptquartier und die berüchtigte Spelunke „Honky Tonk“ („Wir haben beides: Country und Western“) waren im Zentrum von Kompten.
Bonetti hatte während seiner Gefangenschaft jede Menge Zeit, um über die verpassten Gelegenheiten seines Lebens nachzudenken. Über die Bücher, die er nicht geschrieben hatte. Über die Bücher, die er nie zu Ende geschrieben hatte. Zu den unvollendeten Schriften gehörten ein Zyklus von 144 Erzählungen über Aufstieg und Fall eines ambitionierten Schriftstellers, der um die Jahrtausendwende nach Berlin kommt („Weinbergschnecke und Katapult“), sowie sein politisches Vermächtnis, das den Titel „Individuelle Revolution und staatenlose Gemeinschaft“ tragen sollte. Und ausgerechnet jetzt hatte er verdammt gute Ideen für den Text!
Heinz Pralinski und Johnny Malta wurden von Bonettis Kammerdiener Johann über die Entführung informiert, als Malinowsky in die Ewigkeit abberufen worden war. Jetzt waren sie am Zug, denn die Polizei traute sich schon seit Jahren nicht mehr nach Kompten. Johnny Malta konnte reden. Er sollte am Telefon die Bloods als Bonettis Freund besänftigen und die Geldübergabe vereinbaren, um auf diese Weise Zeit zu gewinnen. Währenddessen machte sich Pralinski auf den Weg nach Kompten.
Er zog sich eine abgewetzte Lederjacke an, setzte sich eine schwarze Sonnenbrille auf, schmierte sich etwas Dreck ins Gesicht und stieg in seine alten Schlangenlederstiefel. Sein einziger Kontakt in Kompten war Porky “Rusty Nail” Plissken, mit dem er zur Schule gegangen war. „Rusty Nail“ hatte früher zur Gang der „Herzbuben“ gehört, die schon vor zwanzig Jahren im Bandenkrieg zwischen den Bloods und den Crips aufgerieben worden waren wie alter trockener Parmesan.
Die Sonne ging gerade unter, als Heinz Pralinski in Kompten ankam. Auf der Straße waren nur noch Dealer und Nutten. Nach Einbruch der Dunkelheit konnte man sich ausschließlich bewaffnet und in gepanzerten Ami-Schlitten aus den Siebzigern durch diesen Teil Bad Nauheims bewegen. Straßenbeleuchtung und Spätverkaufsstellen gab es nicht. Pralinski hatte eine Maschinenpistole neben sich auf dem Beifahrersitz, in einem Schulterhalfter steckte sein Colt und im rechten Stiefel hatte er ein Messer versteckt.
„Rusty Nail“ wohnte in einem düsteren Hinterhaus unter dem Dach. Er betrachtete Pralinski misstrauisch durch den Türspion. Seine Miene hellte sich aber auf, als er das Bündel Hundert-Euro-Scheine sah, mit dem ein grinsender Kerl in einer abgewetzten Lederjacke vor seinem Gesicht herum wedelte.
„Die Bloods haben also Bonetti“, fasste „Rusty Nail“ die Situation zusammen. „Und er war nicht in ihrem Hauptquartier. Möglicherweise haben sie ihn in den Docks am Hafen versteckt. Aber er könnte überall in Kompten sein. Die Gang hat etliche Wohnungen für ihre Deals, außerdem stehen hier jede Menge Wohnungen leer.“
„Was sollen wir tun?“ fragte Pralinski.
„Wir fragen den Hassler. Er kennt die Bloods. Seit drei Jahren ist er ihr Webmaster und kümmert sich um ihren Internetauftritt. Wusstest du, dass die Bloods seitdem bei Facebook mehr Likes haben als die Crips?“
„Erzähl mir den Rest im Auto, okay?“
Und dann ging es durch die Nacht zu einem Haus, in dem sich noch nicht mal die Addams Family wohlgefühlt hätte. Kein Licht brannte und als die beiden Männer ausstiegen, heulte ein Wolf. Dann begann es zu regnen. Es blitzte und donnerte. Das große dunkle Haus wurde für den Bruchteil einer Sekunde in gespenstisches Licht getaucht.
Danny „Lucky Punch“ Hassler, der mit einer Frittenbude in Bottrop Pleite gegangen war, lebte in einer Kellerwohnung am Rande von Kompten. Wenn sein Wohnzimmer ein Fenster gehabt hätte, könnte man von dort aus die Müllkippe sehen. Er hatte eine Pommesgabel auf dem linken Unterarm tätowiert. Außerdem trug er immer sein Hemd offen, so dass man den Spruch „Expect no mercy“ lesen konnte. ‚Expect no mayo‘, dachte Pralinski, aber er verkniff sich den blöden Spruch. Natürlich kannte „Rusty Nail“ nur andere Versager, aber irgendwo musste er ja mit der Suche nach Bonetti anfangen.
Bei „Rusty Nail“ saß ein hagerer junger Mann mit strohblonden Haaren, den alle nur „Mississippi Slim“ nannten. Es hieß, er sei Rheinländer, irgendwo aus der Gegend von Duisburg. Seine Tätowierungen erzählten Pralinski eine Menge: Das Spinnennetz auf seiner rechten Schulter deutete auf einen Gefängnisaufenthalt hin. Auf den Fingern seiner linken Hand waren die Buchstaben DFFL zu lesen: „Dope forever, forever loaded“. Slim war also drogenabhängig und machte für ein paar Gramm Heroin oder Kokain, Crack oder Crystal Meth vermutlich alles. Damit war die Währung klar, in der dieser Mann für seine Informationen bezahlt werden wollte.
Er hatte das Durcheinander nach dem Anschlag auf das Clubhaus der Bloods ausgenutzt und ein Auto aufgebrochen. Er hatte ein Handy geklaut, außerdem noch ein bisschen Koks und eine Glock 17.
„Kann ich mal das Handy sehen?“ fragte Pralinski.
„Was kriege ich dafür?“ fragte „Mississippi Slim“ misstrauisch zurück.
Pralinski warf lässig einen Beutel mit feinstem hessischem Gras auf den Tisch.
Dann schaute er sich die SMS auf dem Handy an. Ein „Sleepy Weazel“ hatte vor einigen Stunden mit „Bone Sucker“ Nachrichten ausgetauscht. Sie hätten „AB“ von „RP“. Also Andy Bonetti, den Mann von Rocky Palermo. Sie hielten ihn in einem „Haus am See“ gefangen.
„Wo gibt es denn in Kompten einen See?“
„Der alte Baggersee hinter den Kiesgruben. Da gab es früher mal eine Bikerkneipe, aber die hat schon lange dicht.“
Wenig später schlich sich Heinz Pralinski durch das Gebüsch. Vor dem Gebäude standen weder Wachen noch Autos. Aber ein Fenster war erleuchtet. Vorsichtig näherte er sich dem Haus und blickte hinein. Da saß Bonetti, an einen Stuhl gefesselt. Ein paar Meter weiter saß ein Typ in einem Holzfällerhemd mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher.
Pralinski entschied sich für den einfachsten Trick der Welt. Er nahm die Deckel von zwei alten Blechtonnen und schlug sie gegeneinander. Ein Heidenlärm. Das Licht im Haus ging aus. „Grumpy Cat“ kam heraus, ein Gewehr in der Hand, und schaute sich um. Und schon traf ihn der patentierte Handkantenschlag von Heinz Pralinski und er sank bewusstlos zu Boden. Dann ging er in die Hütte und befreite seinen Freund.
Pralinski schleppte den stark geschwächten Erfolgsautoren, der während seiner mehrstündigen Gefangenschaft nur einen Mettigel und eine Flasche Apfelwein bekommen hatte, aus der Hütte auf die Straße. Jetzt mussten sie nur noch etwa fünfhundert Meter laufen, dann waren sie an der Villa Bonetti, die wie durch ein Wunder ganz in der Nähe lag.
Aber plötzlich tauchten drei finstere Gestalten aus der Dunkelheit auf: Nicky „Balrog“ Edamer, Dicky „Rancor“ Greyezer und Goofy „Evil Smurf” Tilsiter. In Krompten nannte man sie einfach: Die Drei von der Käsetheke. Es waren die übelsten Mitglieder der Crips. Bereit, für eine Handvoll überbackener Tortilla-Chips einen Mord zu begehen. Ihre Seelen waren so schwarz wie ein Pik-Ass.
„Bonetti gehört uns. Wir kassieren das Lösegeld“, sagte Nicky und entsicherte seine MAC-10.
Im Hintergrund rief „Rusty Nail“: „Tut mir leid, Heinz. Aber ich brauche das Geld. Mein Hund hat Würmer.“
Pralinski und Bonetti hoben erschöpft die Hände.
Aber da knatterte es über den Baumwipfeln und ein Scheinwerfer erleuchtete grell die Szene.
„Lassen Sie die Waffen fallen und legen Sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden.“
Als die Crips zögerten, schlug eine Salve Dum-Dum-Geschosse vor ihren Füßen auf. Sie warfen die Maschinenpistolen auf den Boden und legten sich brav wie Engel auf den Asphalt.
Johnny Malta landete den Helikopter und seine Freunde stiegen ein.
„Alle Hesse sin Verbräschä, denn se klaue Aschebäschä. Klaun se kaane Aschebäschä, sinse schlimme Messäschdäschä“, sagte Bonetti und sie lachten alle zusammen. A-Team nix dagegen.
P.S.: Nach einer erholsamen Nacht in seiner Villa ließ sich Bonetti von Heinz Äugelein, seinem Chauffeur, im Maybach nach Kompten fahren, wo er in Ruhe auf Ernesto Cabrón wartete. Seitdem gehört ihm eine Farm in Patagonien.
Peter Fox - Haus am See. https://www.youtube.com/watch?v=8IeLFOtAVBk

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