Samstag, 30. August 2014

Das Haus bei den Blutbuchen

Bisweilen ereignen sich in unserer ebenso ruhigen wie reizenden Grafschaft doch bemerkenswerte Geschichten, von denen ich Ihnen die folgende nicht vorenthalten möchte:
Es war gegen elf Uhr morgens, ich war gerade mit der Lektüre des „Bad Nauheimer Morgen“ beschäftigt, als Johann, mein braver Kammerdiener, den Besuch einer jungen Dame meldete, die mich dringend zu sprechen wünschte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bin ich kein Freund unangemeldeter Besuche, da sie erstens den geregelten Tagesablauf durcheinander zu bringen pflegen, zweitens häufig mit unangenehmen Nachrichten verbunden sind und drittens einen mehr als deutlichen Hinweis auf die mangelnden Umgangsformen des Besuchers geben.
Ich empfing also die junge Dame, entgegen meinen Gepflogenheiten, in meinem Salon, obwohl ich nur mit einem seidenen Morgenrock, meinem rot-weiß-blau-gestreiften Pyjama und Plüschpantoffeln bekleidet war.
„Mister Bonetti, ich muss Sie unbedingt um Ihren Rat bitten.“ Die Frau mochte Anfang Zwanzig sein, sie war von schlankem Wuchs und hatte auffallend hellblonde lange Haare.
„Nehmen Sie bitte Platz, meine Werteste. Welche Angelegenheit führt Sie zu mir, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
Sie nahm Platz und schlug ihre auffallend langen Beine übereinander. „Mein Name ist Juliette Baxter. Es geht um ein Stellenangebot und ich weiß nicht, ob ich es annehmen kann.“
„Nun, ich bin unglücklicherweise kein Berufsberater“, antwortete ich kühl.
„Das Stellenangebot ist so rätselhaft, dass ich keinen anderen Ausweg wusste, als mich an Sie zu wenden, Mister Bonetti. Ich habe meine Unterlagen bei einer Casting-Agentur eingereicht und gestern bin ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Ein älterer und offenbar wohlhabender Herr hat mir eine Stelle als Gesellschafterin seiner Gattin angeboten. Ich soll in seinem Haus wohnen und bekomme dafür 50.000 Euro jährlich.“
„Das klingt doch sehr interessant für eine junge Dame, oder nicht?“ fragte ich mit kaum verhohlenem Desinteresse.
„Dieser Mann stellte aber einige seltsame Bedingungen: Ich solle mein Haar abschneiden und schwarz färben, außerdem müsse ich immer ein bestimmtes dunkelblaues Kleid tragen, das er für mich bereithalte. Und ich darf das Haus in den ersten Wochen nur in seiner Begleitung verlassen. Ist das nicht ungewöhnlich?“
„Das ist sicher richtig, aber ich verstehe nicht ganz, wie ich Ihnen in dieser Angelegenheit behilflich sein kann?“
Sie sah mich flehend mit ihren großen türkisfarbenen Augen an. „Ich kenne niemanden in dieser Grafschaft, Mister Bonetti, und jeder schätzt Sie hier als vollendeten Gentleman. Kann ich auf Ihre Hilfe zählen, wenn ich mich allein und schutzlos in diese abgelegene Villa begebe?“
Nun war ich natürlich bei meiner Ehre gepackt. „Selbstverständlich, Miss Baxter. Lassen Sie mir eine Nachricht zukommen, falls Sie in Schwierigkeiten sind.“
Dann klingelte ich mit meinem kleinen silbernen Glöckchen nach Johann, der die junge Dame hinaus begleitete.
Eine Woche später erhielt ich ein Telegramm eben jener Dame, die mich bat, sie am Flussufer in der Nähe des Hauses zu treffen, das im Volksmund den Namen „The Copper Beeches“ trug. Ich ließ Johann also die Kutsche anspannen und meinen Reiseanzug herauslegen. Bereits eine Stunde später verließen wir mein Anwesen in Upper Ingleham und waren auf dem Weg nach Lower Ingleham. Es dämmerte schon, als ich die junge Dame am verabredeten Treffpunkt vorfand. Sie trug ein blaues Kleid, ihr Haar war kurz und schwarz.
„Nun, meine Liebe. Sie wünschen mich zu sprechen?“
„Mister Bonetti, ich bin so froh, Sie zu sehen. Mister und Mistress Wilshire sind im Theater. Sie müssen bald zurück sein, daher habe ich nur wenig Zeit.“
„Erzählen Sie mir alles und lassen Sie nichts aus, so unwichtig es Ihnen auch erscheinen mag“, sagte ich mit der beruhigenden Stimme eines erfahrenen Kriminalisten.
„Jeden Tag muss ich in diesem blauen Kleid, das mir Mistress Wilshire gegeben hat, stundenlang am offenen Fenster sitzen. Mister Wilshire erzählt mir köstliche Anekdoten und bringt mich zum Lachen. Ich bekomme Kuchen und Kaffee gereicht, darf mich aber nicht vom Fenster wegbewegen. Eines Tages, als ich mich zufällig umdrehe, sehe ich einen jungen Mann vor dem Fenster, der mich anstarrt. Als es Mister Wilshire bemerkte, war er sehr ungehalten und schloss das Fenster. Außerdem habe ich bei meinen Gartenspaziergängen mit Mistress Wilshire bemerkt, dass in einem Flügel des Anwesens die Fenster permanent geschlossen sind. Eines Nachts habe ich mich in diesen Flügel geschlichen, aber die Zugangstür war verschlossen. Gestern Abend habe ich gesehen, dass der Schlüssel zu diesem Flügel im Schloss steckte. Also sah ich mich vorsichtig um und schlüpfte hinein. Ich fand drei leere Zimmer, deren Türen offen standen. Die vierte Tür jedoch war verschlossen und mit schweren eisenbeschlagenen Balken verriegelt. Ich habe einen grauenhaftes Stöhnen von dort vernommen.“
„Ich verstehe, Miss Baxter. Mir scheint, als sei Eile geboten. Führen Sie mich bitte zum Haus der Wilshires.“
Als wir im Haus bei den Blutbuchen waren, ging ich sogleich zur Tür, die in jenen geheimnisvollen Flügel führte und die ich verschlossen vorfand. Ich zog einen Bund Dietriche hervor und in kurzer Zeit hatte ich die Tür geöffnet. Die mit eisenbeschlagenen Balken bewehrte Tür machte etwas mehr Mühe, aber auch sie ward schließlich geöffnet.
Auf einem Diwan lag eine junge Frau, gefesselt und geknebelt, die Miss Baxter aufs Haar glich. Ich löste den Knebel und die Fesseln, die Frau schlug die Augen auf. Mit ein wenig Riechsalz und Franzbranntwein holte ich sie ins Leben zurück und sie erzählte mir Ihre Geschichte. Mister Wilshire habe sie geschlagen und misshandelt. Ferner sei es ihrem Verlobten nicht erlaubt gewesen, sie zu besuchen. Als sie ihrem Hausherrn mit Anzeige gedroht habe, hätte er sie gefesselt und geknebelt in diesem Raum eingesperrt.
Plötzlich hörte ich einen Schrei. Das musste Miss Baxter sein. Offensichtlich waren die Wilshires zurückgekehrt. Ich versteckte mich hinter der Tür und tatsächlich kam wenige Augenblicke später Mister Wilshire durch die Tür ins Zimmer gestürmt. Ich trat hinter der Tür hervor, packte ihn am Schlafittchen und drehte ihm den Arm auf den Rücken.
„Mister Wilshire, hätten Sie die Liebenswürdigkeit, mich zu Polizei zu begleiten?“
Und so war auch dieser Fall gelöst. Für das Double ihrer Gefangenen hatten die Wilshires keine Verwendung mehr und so engagierten sie als nächstes einen Rechtsanwalt. In einer der folgenden Nächte brannte das Haus bei den Blutbuchen vollständig nieder. Der Täter wurde nie gefasst.
Madness – House of Fun. http://www.youtube.com/watch?v=GJ2X9SANsME

2 Kommentare:

  1. Da hat doch sicher wieder Jonny Malta wieder seine Finger im Spiel.

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  2. Vielleicht war Mr. Malta ja der geheimnisvolle Verlobte? Am Montag wird Bonetti jedenfalls in den nächsten Fall verwickelt ...

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