Montag, 28. Juli 2014

Moon over Schwalmstadt

Es ist ein Riesenzufall. Wir haben uns mindestens zehn Jahre nicht mehr gesehen. Ich trinke gerade einen Bourbon, als er an die Theke tritt, um sich ein Bier zu bestellen.
„Andy? Bist du’s? Andy Bonetti?” fragt er mich ungläubig.
Ich habe ihn schon lange erkannt und nicke nur lässig. „Sven Wegener, wenn ich mich recht entsinne.“
Er lacht und schüttelt den Kopf. „Das ‚Kloster‘ in Kreuzberg. Die guten alten neunziger Jahre.“
Ich lache auch. „Du mit den Jungs von der Band auf der rechten Seite vom Tresen. Ich mit meinen Jungs von der Buchhandlung auf der linken Seite. Und immer Whisky aus Wassergläsern.“ Das „Kloster“ in der Skalitzer Straße am Schlesischen Tor ist damals meine Stammkneipe gewesen.
„Randvoll eingeschenkt. Wie es Elke wohl geht?”
Elke war die Wirtin und eine Punkerin wie aus dem Bilderbuch. Frisur, Make-up, Ledermini, Strapse - Kreuzberg hat nie wieder so eine großartige Punkerin gesehen wie sie. „Keine Ahnung“, antworte ich, „ich wohne nicht mehr in Berlin. Aber das ‚Kloster‘ hat schon lange geschlossen. Da ist jetzt so ein Touri-Schuppen drin.”
Wir stoßen auf die alten Zeiten an. Ich spendiere eine Runde Bourbon. Dann spendiert er eine Runde Bier. Wir stellen fest, dass wir beide Geschichten schreiben.
„Ich wohne nicht weit von hier“, sagt er.
„Gibt’s eine Tanke auf dem Weg?“ frage ich.
„Ich habe einen Kühlschrank voller Bier und eine gut sortierte Bar.“
Eine Viertelstunde später sitzen wir zusammen vor seinem Computer. Wir müssen nicht lange überlegen, welche Geschichte wir erzählen wollen. Es geht um die beste Kneipe des Universums und was wir alles dort erlebt haben. Wir lachen die halbe Nacht und vom abwechselnden Trinken und Reden bekomme ich Schluckauf.
Ich penne auf seinem Sofa im Wohnzimmer. Am nächsten Morgen erwache ich ohne Kater – ich bin immer noch betrunken.
„Kannst du mir Klamotten zum Wechseln geben? Ich brauche unbedingt eine Dusche.“
Er gibt mir ein T-Shirt, Shorts und Socken. Meine Sachen schmeiße ich in seinen Wäschekorb. Ich komme frisch geduscht und mit einem Handtuch auf den Schultern aus dem Bad und gehe in sein Arbeitszimmer.
Ich grinse ihn an. “Mir ist da gerade noch was eingefallen.“
„Ich mach uns mal ein kräftiges Frühstück“, sagt er und steht vom Schreibtisch auf.
Ich setze mich und beginne zu schreiben.
„Rühreier mit Speck und Zwiebeln?”
“Danke! Und schön scharf.”
“Wie scharf?”
“So scharf, wie du es gerade noch vertreten kannst. Und dann noch ein bisschen Chili dazu.“
Als er das Frühstück auf einem Tablett ins Arbeitszimmer bringt, stehe ich auf und bitte ihn, am Schreibtisch Platz zu nehmen. Während wir essen, liest er die neuen Textteile. Er macht mit vollem Mund ein paar Ergänzungen und Korrekturen, aus dem Dachsgepäckträger wird ein Dachgepäckträger.
Nach dem Essen trinken wir ein Bier und arbeiten zusammen weiter.
So entstand die Novelle „Moon over Schwalmstadt“.
The Communards – Never Can Say Goodbye. http://www.youtube.com/watch?v=DxsLoxbxeug

4 Kommentare:

  1. Das Kloster war auch meine Stammkneipe. Bis Elke, wegen der schweren Erkrankung ihres Freundes schloss, und das öde Kirk dort aufmachte. Ewig schade.
    Es hatte das Zeug dazu, die beste Kneipe des Universums zu sein.

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  2. Das ist ja witzig. Wir sind uns vielleicht hundert Mal begegnet, ohne uns zu kennen. Weißt du, wie es Elke heute geht? Hoffentlich gut. Ich habe damals im Wrangelkiez gewohnt. Am Schlesi dann noch ein Döner für den Heimweg.

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  3. Leider habe ich nie wieder etwas von ihr gehört oder sie wenigstens mal im Vorbeigehen gesehen. Sie hatte eigentlich vor den Laden wieder zu öffnen, wenn ihr Freund gestorben ist. Dazu kam es aber nie.
    Wer weiß, vielleicht haben wir beiden zu später Stunde sogar mal im Kloster gemeinsam einen gehoben und auf die guten alten Zeiten angestoßen?
    Wenn Du dort ein und aus gingst, dann doch sicher auch mal im Madonna oder im Intertank, oder?
    Ich wohne immer noch in der Ecke. Die Luft ist aber ziemlich dünn geworden dort.

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  4. Ich komme gerade aus Berlin zurück und war auch in meinem alten Kiez. Die Luft wird dünner, aber auf der Cuvrybrache bricht neues Leben durch den Asphalt. Auch die Falckensteinstraße hat mir das Herz erwärmt. Im Intertank war ich oft, schön düster und Beck's-Minimalismus zu guter Musik. Madonna sagt mir nix. Wo war das?

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