Dienstag, 29. Juli 2014

Down and out in Bauernheim

Bauernheim ist ein Bilderbuchdorf in Hessen mit gepflegten Straßen, Blumenkästen an den Fenstern, einem Maibaum und sogar etwas Kunst neben der Bushaltestelle. Die Menschen hier sind freundlich und rechtschaffen. Sie gehen anständigen Berufen nach, zahlen brav ihre Steuern, genießen ihren gediegenen Wohlstand und halten sich treu an die Gesetze. In Bauernheim habe ich noch nie einen Falschparker gesehen. Hier, unweit von Bad Nauheim, ist die Welt noch in Ordnung. Wenn ich dort zu Besuch bin, fühle ich mich immer an das Auenland erinnert. Friedliche Hobbits, die des Abends beim Schoppen in ihren zahlreichen Gasthäusern sitzen und deren Gespräche um die nächste Ernte, das Wetter, die Kinder, den Beruf und das Vereinsleben kreisen. Diese ehrbaren Bürger sind das Salz der Erde. Wenn nicht neunzig Prozent aller Deutschen genauso leben würden, wie sie es tun, wäre diese Republik längst am Ende. Ich bin dankbar, dass es Orte wie Bauernheim gibt. Wenn alle Menschen Tagträumer und Taugenichtse wie die Berliner wären – nicht auszudenken.
In dieser vorbildlichen Gemeinde gibt es einen berühmten Bürger, auf den alle stolz sind: Thomas Geyer, Bundestagsabgeordneter im Berliner Reichstag. Er hat sich jahrelang um die Belange des Dorfes gekümmert, hatte stets ein offenes Ohr für die kleinen Sorgen der Bewohner, war ein gern gesehener Gast auf Dorffesten und Familienfeiern, ein freundlicher und hilfsbereiter Nachbar, zu dem Jung und Alt aufgeschaut haben. Auf Bundesebene hat er sich als unerschrockener Verfechter unserer Grundrechte und tapferer Kämpfer gegen die amerikanische Spionage einen guten Ruf erarbeitet. Er ist permanent in den Medien präsent und gelegentlich habe ich sein Gesicht sogar in der Tagesschau gesehen. Und plötzlich schlägt die Meldung wie ein Blitz ein: Thomas Geyer gesteht öffentlich, dass er Crystal Meth, also harte Drogen, genommen hat – nachdem ihn seine Berliner Dealerin verpfiffen hat und die Ermittlungsbehörden SMS-Nachrichten mit Drogenbestellungen von seinem Diensthandy sichergestellt haben (die er mit der Fahrbereitschaft des Bundestags in einer Schöneberger Gartenlaube abgeholt haben soll …). Ein Skandal, der es auf die Titelseiten der Presse schafft und der landesweit diskutiert wird. Die glänzende Karriere dieses Mannes scheint unwiderruflich zerstört.
Für die braven Bauernheimer ist die Geschichte ein Schock. Es ist, als sei die Sonne vom Himmel gefallen. Plötzlich bekommt die heile Welt im Auenland hässliche Risse und Reporter von der BILD-Zeitung schleichen durch die sauberen Gassen des Dorfes. Die Bürger wollen es einfach nicht glauben, dass „ihr Thomas“ so etwas getan haben soll, und halten bis zu seinem öffentlichen Geständnis, das sein Rechtsanwalt in den Medien verbreiten lässt, mit eherner Nibelungentreue an ihm fest. Das kann nicht sein! Das darf nicht wahr sein! Und auf Diskussionsbeiträge oder gar Kritik in Internetforen reagieren sie humorlos bis hysterisch. Sie sind es einfach nicht gewohnt, dass das grelle Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses ausnahmsweise auf ihren Ort fällt. Als die Regionalzeitung einen Tag vor dem Geständnis berichtet, aus seinem „Umfeld“ habe man die Information, dass er Crystal Meth nähme, und ich bei Facebook die Vermutung äußere, ein „Wichtigtuer aus der Nachbarschaft“ habe es der Zeitung gesteckt (übrigens ein insgesamt harmloses Pro Geyer-Statement, das vom amtierenden Bürgermeister und Parteifreunden Geyers geliket wurde), kommen wütende Kommentare – selbst der Pressesprecher des örtlichen Sportvereins entblödet sich nicht – und ich erhalte sogar einen unverschämten, oberlehrerhaften Brief von einem Bauernheimer CDU-Mitglied. Am selben Tag werde ich in Bauernheim von einem adipösen Nachbarn von Thomas Geyer persönlich auf meine „Verleumdung“ angesprochen. Innerhalb weniger Tage hat sich das nette hessische Dörfchen in ein sizilianisches Wespennest verwandelt.
Mir tut vor allem Thomas Geyer leid. Es ist traurig, dass er wegen einer Sache, mit der er nur sich selbst, aber keinem anderen geschadet hat, jetzt öffentlich an den Pranger gestellt wird. Aber es ist ebenso traurig, dass er als lebendes Vorbild in einem Bilderbuchdorf leben muss, in dem die Menschen allen Ernstes glauben, er habe fünfzig Jahre keine Drogen genommen, dann einen Monat eine der härtesten Drogen der Welt und danach wieder gar nichts. Ich finde diese Naivität, die sich in diesem Fleckchen deutscher Provinz bewahrt hat, geradezu rührend. Harte Drogen? Vielleicht in Frankfurt oder Berlin, aber nicht bei uns! Ich habe selbst lange in Berlin gelebt (die Erlebnisse habe ich in meinem Roman „Bonettis Metropolis“ verarbeitet) und in dieser Stadt – sowie in etlichen Redaktionen – hat man ein ganz anderes Bild von Thomas Geyer. In Berlin, genauer gesagt im Prenzlauer Berg, wo er neben seinem Bauernheimer Domizil noch eine weitere Wohnung unterhält, konnte er richtig aufleben. Dort konnte er so sein, wie er im Auenland nie sein durfte. In Berlin kennt man ihn als liebenswerten und witzigen Homosexuellen, der gerne feiert, Alkohol in rauen Mengen verträgt und gelegentlich auch mal andere Sachen ausprobiert. Und jetzt eben Crystal Meth. Na und?
In Berlin ist die halbe Stadt auf Koks und die andere Hälfte ist gerade besoffen. Mein Nachbar in Berlin hat jahrelang gekokst und Crystal Meth eingepfiffen. Der Mann ist um die Fünfzig und ist jeden Morgen mit Schlips und Aktentasche ins Büro gegangen, ohne dass es jemals aufgefallen wäre. Ich kenne Leute, die waren zwanzig Jahre heroinabhängig und haben in dieser Zeit geheiratet, eine Familie gegründet, ein Haus gebaut und sind selbstverständlich durchgehend berufstätig gewesen. Und in meinem Berliner Kiez habe ich auf der Motzstraße (wo jedes Jahr das größte „lesbisch-schwule Stadtfest“ Europas stattfindet) schon Schwule im Ledermini und Strapsen und mit Zehn-Tage-Bart gesehen, da war Conchita Wurst noch gar nicht auf der Welt. Das ist die Wirklichkeit im Jahre 2014: Es gibt Schwule und es gibt Drogen – und es gibt Schwule, die Drogen nehmen. Jetzt ist auch Bauernheim endlich in der Wirklichkeit angekommen. Und die sieht ganz anders aus als im Fernsehen.
P.S.: Zuletzt habe ich Thomas Geyer beim Public Viewing des Spiels Deutschland-Portugal am 16. Juni vor dem evangelischen Gemeindehaus in Bauernheim gesehen. Das Endspiel hat er sich vermutlich alleine in seinem Wohnzimmer angeschaut, weil die elende Journaille sein Haus belagert. Ich hoffe, dass seine Partei zu ihm hält und er weiter in der Politik arbeiten kann. Und so manchem Bauernheimer wünsche ich die gleiche Gelassenheit im Umgang mit Kritik, die man von Berlinern gewohnt ist, die 365 Tage im Jahr Häme und Lästereien ertragen müssen und in deren Stadt selbst die Skandale noch ein größeres Format haben als anderswo.
House of Pain – Jump Around. http://www.youtube.com/watch?v=KZaz7OqyTHQ

1 Kommentar:

  1. Der Typ hat einen großen Fehler gemacht: Er hat die Drogen selbst gekauft und nicht einen Mitarbeiter losgeschickt. In so einer Position kann man sein Dope doch nicht mehr selbst kaufen. Und dann auch noch vom eigenen Handy aus bestellt! Ein halbes Jahr nach Snowdens Enthüllungen!!

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