Mittwoch, 11. Juni 2014

Geschäftswelt

Eddie ist immer jemand anderes, dachte ich und drückte den Joint im Aschenbecher aus. Manchmal treffe ich ihn auf seinem alten Kahn, der am Ufer der Maas vertäut ist, manchmal in einer diesen leeren Wohnungen. Hier wird der Stoff kiloweise verkauft und ich bin jedes Mal hochkonzentriert, wenn ich die Holländer treffe. Eine gusseiserne Steigleiter führt nach unten, im Schiffsrumpf geht es durch schmale Gänge in einen großen Raum, in der nur eine wohnzimmermäßige Ledersesselgruppe, ein flaches Tischchen und ein Fernseher stehen. Während man raucht und Musikvideos ansieht, werden die Geschäfte gemacht. Schwarzer Marokkaner in Form halbpfündiger Eier, ockerfarbene Platten Superpoll. Die ständig wechselnden Wohnungen sind ähnlich. Alle Zimmer sind leer, nur in einem Raum finden sich wieder Sessel, Tisch und Fernseher. Der Stoff ist irgendwo in der Wohnung gebunkert, manchmal muss er erst geholt werden. Dann plaudere ich mit Eddie, wir rauchen einen Spliff und selbst der Typ, der immer nur schweigend in den Fernseher starrt, schaut nun freundlich in die Runde. Kann man lässiger sein Geld verdienen?
Die Eddies dieser Welt sitzen gemütlich vor der Glotze, machen ein paar Deals am Tag und können fürstlich davon leben. Ich fahre einmal alle paar Monate zu ihnen, sitze ansonsten ebenso gemütlich zu Hause und verteile den Stoff portionsweise an meine Leute, die ihren eigenen Konsum durch Botendienste für ihre Freunde finanzieren. Das geheimnisvolle Schiff lässt uns alle gut leben. Und es sind nicht nur die Drogen, sondern auch die damit verbundenen Aufregungen. Durch die Innenstadt von Maastricht kreuzen, ein Kilo Dope in der Jeansjacke, zwei Zivilbullen hinter mir. Ein anderes Mal sitze ich in einer Polizeistation, mein Wagen wird mit Hunden kontrolliert und die Vollidioten finden die zwei Kilo einfach nicht. Pokerface und dein Herz macht 180 beats per minute. Später geht die voll aufgedrehte Mucke direkt in dein Blut. Adrenalin, der echte Rausch. Gibt nichts Besseres.
Dann die Nummer mit der Panne auf dem Schleichweg zurück durch Luxemburg, irgendwo in der Pampa. Wagen in der Werkstatt, Dope in der Sporttasche, eine Freundin holt mich raus. Eine Frau ist ohnehin immer eine unauffällige Begleitung, zwei junge Männer sind grundsätzlich verdächtig. Es sei denn, es handelt sich um eine 85jährige Heroin-Dealerin aus Wuppertal – die schickt man besser alleine los. Eine Frau wirkt mit Sonnenbrille immer cool, ich wirke mit Sonnenbrille immer gleich verdächtig. Aber wenn ich lächle wie ein Idiot, wirkt das entlastend. Ich hatte bisher immer Glück. Irgendwann weißt du, dass sie dich nicht erwischen. Das größte Glück hatte aber Stinky aus der Ackerstraße. Sie haben ihn am 11.9.2001 in seiner Wohnung hochgenommen, abgeführt und in der Polizeiwache an eine Heizung gekettet. Dann kommen die Meldungen über die Terroranschläge in den USA und die ganzen Bullen sind in heller Aufregung. Obwohl er dieses Mal sicher für mehrere Jahre in den Bau gegangen wäre, lassen ihn die Bullen laufen, keine Anzeige. Seinen Stoff sieht er allerdings auch nicht wieder, da wird einiges in den polizeilichen Eigenbedarf gewandert sein.
Weniger Glück hatte mein Kollege T-Dog, der mit einem Kilo Koks an einer Autobahnraststätte über die Leitplanke sprang, nachdem er gecheckt hatte, dass das Rauschgiftdezernat hinter ihm fährt. Er hat den Stoff auch ordnungsgemäß gebunkert und sich erfolgreich aus dem Staub gemacht. Als er ein paar Tage später sein Päckchen wieder abholen wollte, haben sie ihn hochgenommen. Zwei Jahre Bau, nicht weit von der Kirche entfernt, wo ich zu dieser Zeit ganz brav im Schutz der heiligen Dreifaltigkeit meinen Zivildienst und meine Geschäfte machte. Welcher Bulle beantragt schon für die Katakomben einer Kirche einen Hausdurchsuchungsbefehl? In meinem Heimatstädtchen beispielsweise lagerten viele Jahre riesige Drogenmengen in einem Keller unter dem Arbeitsamt, das sind die besten Verstecke. Wo ist T-Dog heute? Vielleicht tot, vielleicht in Bielefeld, was ziemlich aufs Gleiche rauskommt.
Dies ist die Verheißung des Verbrechens: Es macht dich entweder sehr frei oder sehr unfrei. Aber es erspart dir die lauwarme Pseudofreiheit des durchschnittlichen Angestellten. Der Kopf ist frei von Zwängen. Die Angestellten tun Dinge, ohne den Grund ihrer Handlungen zu erkennen. Sie vertrauen darauf, dass am Monatsende Geld für diese Handlungen bezahlt werden wird. Und mit diesem Geld verlängern sie ihr ödes Leben wieder um einen Monat. Ich weiß dagegen genau, was ich mache und warum. Und ich beschränke mich auf wenige entspannte Geschäfte und genieße ansonsten das Leben. Es gibt praktisch keine Termine, ich mache was ich will. Eddie ist immer da, meine Leute treffen mich immer zu Hause an. Nur so ist das Leben vorstellbar: Freunde, Musik, Essen, Getränke, Drogen. Eine Welt jenseits von Karriere, Uhrzeiten, Lebensplänen und anderen Zwangsvorstellungen des modernen Menschen.
Killing Joke – Love like blood. http://www.youtube.com/watch?v=bYY_kFlrTeQ

8 Kommentare:

  1. Ei Ei Ei !
    Sowas kann man sich doch garnicht ausdenken !
    Da reicht auch hörensagen nicht.
    Das muß man sebst erlebt haben !

    Schreibt einer aus dem ehedem goldenen Dreieck Metzingen-Urach-Münsingen.
    Amis, H und was es sonst noch gab.

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    1. Aaah, die schwäbischen Mohnkinder ;o)
      Morgen gibt es einen weiteren Beweis meiner blühenden Phantasie in Sachen Rauschmittel. Habe ich alles am Nachbartisch gehört oder aus dem Fernsehen *twink*
      Wir hatten in Ingelheim auch jede Menge Amis, wenn in der Kaserne Zahltag war, hatten die Wirte alle Hände voll zu tun. Und wenn die MP die GIs aus der Disco "abgeholt" haben, hast du dich ganz flach an die Wand gedrückt. Filmreife Gesichter!

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  2. Jaja, diese widerlichen Polizeidokus im Fernsehen können die Phantasie schon ganz schön blühen lassen. Hab ich mir sagen lassen. Sollte ich mir jetzt Sorgen machen, weil du schriebst, dass du bei mir "Quellen" gefunden hast?? ^^

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  3. Ich werde mich hauptsächlich auf deine Texte "Vom Wohnen in Berlin", Teil 1 (1.1.2014) und 2 (5.2.2014), beziehen, falls ich ins Kreuzverhör genommen werde. Die NASA hat bestimmt längst Akten über uns angelegt - du solltest dich also nicht wundern, wenn du demnächst beim Bäcker von den Navy Seals hochgenommen wirst oder eine US-Drohne in deinem Wohnzimmer einschlägt ;o)))

    Ich bin jedenfalls total unschuldig. Ich kaufe ja noch nicht mal Schokoladenzigaretten!

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  4. Nicht nur die NASA, auch die GQ...Zum Glück geh ich nie zum Bäcker, zum Frühstück gibt's, wenn überhaupt, Filterlose und Kaffee, so schwarz dass der Löffel drin stehen bleibt.
    Kaugummizigaretten wenigstens? Apropos einkaufen, Veranstaltungstip für Berlin, Morgen zur "Langen Nacht der Rigaer Strasse" in der Kadterschmiede, ich zitiere mal den Stressi: "5pm: Workshop zu dem Prinzip des 5-Finger-Rabattes."

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  5. Ja, zur weiten Welt der selbstbestimmten Aneignung lebenswichtiger Güter - kommt Aldi nicht eigentlich von Allmende? - wäre auch noch viel zu sagen ... Ich bin Anfang August für zwei Wochen in Berlin. Hast du für diese Zeit Veranstaltungstipps?

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  6. Hab ich bestimmt. Anfang August ist wohl leider etwas zu spät für diesen netten jungen Mann hier (ich schwanke noch zwischen "Hä?"und "Oha!"): https://www.youtube.com/watch?v=cUEbWNCoPMI

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  7. Coole Idee - auch wenn er zwischen den ganzen Grashändlern im Görli kaum auffallen dürfte. Aber er will ja weiter in den Mauerpark, da gibt es auch mehr Kundschaft. Zur Hanfparade bin ich in Berlin. Habe vor Jahren schon mal mit ein paar Jungs aus Duisburg teilgenommen, die mich besucht haben (und aus Venlo feines Material dabei hatten).

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