Mittwoch, 15. Februar 2012

À la recherche du temps bellevue

Schalten Sie den Wulff nicht aus. Installiert wird Update 1 von 99 ...
Nachtrag 17. Februar: Wulff geht vom Netz. Aus Mainz erhalte ich die Botschaft, dass die Motivwagen für den Rosenmontagsumzug in aller Eile umgebaut werden. Typisch humorloser Hannoveraner ... er hätte auch am Aschermittwoch zurücktreten können!

Samstag, 11. Februar 2012

Die Gier wird uns retten

Hat schon mal jemand was von „Rückführung“ gehört? Das ist, wenn Leute unter Hypnose in ein Leben zurückreisen, das sie angeblich vor langer Zeit einmal in einem anderen Körper geführt haben. Die Probanden erzählen dann, wie es als Berater von Pharao Ramses gewesen war oder als Ritter am Hof des fränkischen Königs. Ich habe mich schon immer gefragt, warum niemand erzählt, dass er als Bauarbeiter an den Pyramiden geschuftet hat oder als Bauer auf dem Feld. Wer hat die Schuhe von Ramses angefertigt, wer hat das Brot für die Ritter gebacken? Wo sind all die Mägde und Handwerker, die damals doch etwa 99 Prozent der Bevölkerung ausgemacht haben (so wie heute übrigens auch)? Ich habe lange darüber nachgedacht und heute Morgen bin ich in der Badewanne endlich auf die Lösung gekommen: Nur die Seelen der reichen Leute wandern weiter durch die Zeit und inkarnieren sich z.B. im Jahre 2012 in Bottrop. All die anderen sterben einfach sang- und klanglos wie Feldmäuse. Endlich ergibt der Kapitalismus einen Sinn! Ich habe mich immer schon gefragt, ob es einen tieferen Grund dafür gibt, warum wir uns den ganzen Tag mit albernen Berufstätigkeiten herum plagen, uns abhetzen und kaputt machen, warum wir diese Berge von nutzlosen Gegenständen um uns herum anhäufen. Na klar! Wer viel Geld hat, dessen Seele wird unsterblich werden. Die Gier wird uns alle retten. Unser Seelenheil ist uns gewiss, wenn wir nur lebenslang alles an uns raffen, was uns in die Finger kommt. Und in deinem nächsten Leben kommst du dann in die „The next Uri Geller Show“.

Montag, 6. Februar 2012

Die siebziger Jahre

Die Sechziger waren das Jahrzehnt der Befreiung. In den siebziger Jahren kam dieses neue Lebensgefühl überall in der Provinz an und wurde in Form von langen Haaren, bunten Klamotten und Popmusik Teil des Alltags. Für die Generation der „68er“ gab es in den Siebzigern nur drei Wege: Drogen, Extremismus oder SPD. Auf diese Weise endeten viele ihrer Vertreter tragisch in terroristischen Vereinigungen, rot-grünen Bundesregierungen oder schlicht auf dem Friedhof. Wir Kinder der Siebziger trugen den ideologischen Ballast der älteren Generation nicht mit uns, wir genossen ein kleines bisschen Revolution mit einem Kassettenrekorder in unserem Kinderzimmer. Wenn wir die Sex Pistols oder die Ramones hörten, hätten wir die ganze Welt in Stücke schlagen können – und dennoch waren wir am nächsten Morgen doch wieder pünktlich um 7:40 Uhr zur Mathematikstunde mit Herrn Kaschuba in der Schule.

Sonntag, 5. Februar 2012

Wenn man den Dienst an der Waffe verweigert ...

Während meiner Zivildienstzeit hatte ich im Altersheim einmal einen Patienten zu pflegen, der im zweiten Weltkrieg als Scharfschütze eines Spezialkommandos der Waffen-SS an der Ostfront eingesetzt war. Er hat 95 Menschen ermordet und jede Nacht sah er in seinen Träumen die Gesichter der jungen Männer wieder, die er ins Fadenkreuz genommen hatte, um danach in eben diese Gesichter eine Kugel abzufeuern und sie beim Sterben zu betrachten. Das hat er mir damals in einer ruhigen Stunde erzählt. Der alte Mann ist dann auch relativ bald gestorben. Meine Pflege war mit Sicherheit eine Erlösung für ihn.

Samstag, 4. Februar 2012

Aus einem Interview zu meinem neuen Roman

„Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, Geld zu verdienen. Und ich rede nicht davon, dass ich mein Zimmer aufgeräumt und dafür Extra-Taschengeld bekommen hätte. Für eine Firma, die Reagenzgläser hergestellt hat, habe ich zu Hause Prospekte zusammengelegt, in einen Umschlag gesteckt, die Adresse aufgeklebt und einen Drucksache-Stempel draufgedonnert. Fertig! 8 Pfennige pro Umschlag. Das gab fast 3 DM pro Stunde, wenn man nicht rumgetrödelt hat. Den handschriftlichen Arbeitsvertrag habe ich heute noch. Meine Mutter hat als Putzfrau gearbeitet und uns Kinder durchgebracht, Taschengeld gab es keins. Tagsüber, wenn wir aus der Schule kamen, haben wir an der Würstchenbude zu Mittag gegessen oder im Supermarkt eine Tüte Chips gekauft.

Als ich mit vierzehn Jahren kräftig genug war, habe ich im Baumarkt als Aushilfe gearbeitet. In der Zeit fing es auch an, dass ich mir Sachen, auf die ich Bock hatte, einfach geklaut habe. Das waren vor allem Schallplatten und Bücher: Police, Zappa, Kafka, Bernhard. Meine Schwester hat auch geklaut, manchmal waren wir im Team unterwegs. Als sie einmal erwischt wurde und mit der Polizei nach Hause gebracht wurde, hat meine Mutter ihr richtig die Fresse poliert. Man darf sich eben nicht erwischen lassen. Mich haben sie jedenfalls nie erwischt, später habe ich mit Dope sogar richtig Asche gemacht.

Wir hatten kein Auto und sind nie in den Urlaub gefahren. Trotzdem würde ich heute sagen, dass ich eine glückliche Kindheit hatte. Man kannte ja die Alternative gar nicht, denn bei uns im Kiez lebten alle so. Wir Kinder waren frei und sind den ganzen Nachmittag herumgezogen. Ich erinnere mich an ein Feuer, dass wir auf einem leerstehenden Grundstück mit alten Autoreifen gemacht haben – da kam sogar die Feuerwehr! Im Nachhinein kann ich sagen: Man wird nicht nur hart im nehmen, sondern auch hart im geben. Deswegen kann ich mit den ganzen androgynen Waschlappen der heutigen Jugend nicht viel anfangen, für die das angesagte Wet-Gel wichtiger ist als eine klare Position. Ich weiß, wer meine Freunde sind und wer meine Feinde.“

Gentrifizierung als Tierfabel

Wenn so eine Scheiße wie im Prenzlauer Berg in der Natur passieren würde, hätte niemand dafür Verständnis. Stell dir vor, du kaufst ein Stück Wald. Und dann beschließt du einfach, alle Kaninchen mit einem Arschtritt von deinem Grundstück zu befördern. Und nachdem alle Kaninchen weg sind, siedelst du Nerze in diesem Wald an. Jeder würde dich für total bescheuert, herzlos und was weiß ich noch alles halten, wenn du so was machen würdest. Die Tierschützer würden demonstrieren, Greenpeace hätte dich von morgens bis abends in der Mangel und bei Facebook hättest du das Image von Josef Ackermann. Jedem Juchtenkäfer wird heute mehr Respekt entgegengebracht als einem Menschen.

Donnerstag, 2. Februar 2012

Vom Schloss Bellevue nach Moabit

Laut der von Google Maps berechneten Route ist das Schloss Bellevue (Spreeweg 1) von der Justizvollzugsanstalt Moabit (Alt-Moabit 12) genau einen Kilometer entfernt, die Fahrzeit – etwa in einem Audi Q3, um hier ein beliebiges Beispiel zu nennen – beträgt zwei Minuten. Die Strecke wäre aber sicher auch zu Fuß einfach zu bewältigen, wenn man so ganz ohne Sponsoren und Hilfsmittel auskommen müsste. Ein kleiner Schritt für einen Präsidenten, aber ein großer Schritt für die Republik. Ich erinnere mich an eine Wohnungsbesichtigung im Februar 1992 in Moabit, als der Vermieter mit der frohen Botschaft aufwartete, vom Balkon aus könne man die Herren Honecker und Mielke im Knast beim Hofgang beobachten. Möglicherweise bekommen die Anwohner ja bald wieder was zu sehen? Ich würde mich jedenfalls für sie freuen und käme auch gerne mal mit einem Piccolöchen zu Besuch …

Tankstellennightlife

Woran erkennt man den Nicht-Berliner? An der nachmitternächtlichen Bestellung bei meiner Tanke. Da steigt ein blondgeföhnter Wichtigtuer aus dem Taxi, lässt den Motor laufen und bestellt beim Nachtaugust doch tatsächlich sechs kleine Flaschen Bier. Damit hat er sich schon als Laie geoutet. Dit is’n Sechsaträja, Mann! Der Profi-Tankstellenmensch erkennt sofort die Situation und sagt frech, so viele kleine Biere hätte er nicht und verkauft dem Ahnungslosen daraufhin sechs große Einzelflaschen zu je 1,90. Bevor er noch ins Taxi gestiegen ist, hört er schon das Gelächter des zahnlosen Alkoholikers hinter mir in der Warteschlange und den Kommentar: „Wees nich, wat’n Sixpack is. Den hammse doch in Kasachstan großjezogen.“ Und schon sind gefühlte dreißig Grad minus vergessen.