Freitag, 23. September 2011

Ein Kiez im Jenseits

Friedhof Grunewald-Forst
 
Wer der idyllischen Havelchaussee durch den Grunewald oder am Ufer des Flusses folgt, erreicht bald das Schildhorn. Die Landzunge ragt weit in die Havel hinein und bietet einen wunderbaren Ausblick über die Gewässer westlich der Hauptstadt. Wer jedoch den außergewöhnlichsten Friedhof Berlins besuchen will, der biegt vorher in den Schildhornweg ein. Nach kurzer Zeit steht man vor dem Eingangstor zum Friedhof Grunewald-Forst.

Ein Friedhof mitten im Wald? Kilometer entfernt von den belebten Straßen der Stadt? Die Geschichte des Ortes ist ungewöhnlich und beginnt im Kaiserreich. Damals weigerten sich die Kirchengemeinden, Selbstmörder auf ihren Friedhöfen beerdigen zu lassen. Sie mussten in ungeweihter Erde bestattet werden. Da in der Bucht der Schildhorn-Halbinsel häufig Wasserleichen angetrieben wurden – darunter viele Selbstmörder, die wegen ungewollter Schwangerschaften oder Spielschulden „ins Wasser gingen“ – legte die Forstbehörde in unmittelbarer Nähe den Friedhof an. Bald sprach sich die Lichtung im Grunewald als Bestattungsort herum, Angehörige von Selbstmördern baten um eine Grabstelle, mancher Lebensmüde tötete sich gleich vor Ort, um den Hinterbliebenen die Mühe demütigender Amtsgänge zu ersparen. 

Der seit 1878/79 genutzte Friedhof hat heute eine ordentliche Friedhofsmauer, ein rustikales Eingangsportal und eine Leichenhalle. Beim Spaziergang durch die Reihen fallen viele Grabsteine ins Auge. Da sind die kyrillischen Kreuze einiger russischer Offiziere, die gemeinsam den Freitod wählten, als sie 1918 von der Ermordung des Zaren erfuhren. Bis 1927 wurde der Friedhof ausschließlich für die Beerdigung von Selbstmördern genutzt, danach wurde diese Beschränkung aufgehoben. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden hier zivile Opfer in Einzelgräbern und einem Sammelgrab bestattet. Der Berliner Heimatforscher und Ehrenbürger Willi Wohlberedt wurde hier auf eigenen Wunsch beerdigt. Die Gräber der Kleinkinder sind neueren Datums und berühren den Betrachter, auf einem Grabstein ist ein Teddybär eingemeiselt.

Ganz versteckt in einer Ecke findet sich der heimliche Höhepunkt des Rundgangs. Das Grab von Christa Päffgen wird sehr oft von Fans aus aller Welt besucht. Eine Rotweinflasche mit einer Rose im Hals, Kerzen, Briefe – die letzte Ruhestätte der Sängerin und Schauspielerin erinnert an Jim Morrisons Grab in Paris. Bekannt wurde sie unter dem Namen „Nico“ als Sängerin der Band „The Velvet Underground“ und als Muse von Andy Warhol. Sie drehte mit Federico Fellini „La Dolce Vita“, Bob Dylan produzierte ihre erste Single. Sie kannte alle Größen des damaligen Rockuniversums, ihre Musik beeinflusste Bands wie Joy Division und später die Gothic-Szene. Sie starb, wenige Monate vor ihrem fünfzigstem Geburtstag, 1988 auf Ibiza. Auf dem Friedhof Grunewald-Forst ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter beerdigt.
 

Erreichbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Bus 218 (ab Messedamm/ZOB/ICC), Haltestellen: Schildhorn (direkt an der Havel) oder Havelweg (näher am Friedhof).


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