Freitag, 23. April 2010

Kiezschreiber-Look gesucht


Beim ersten Mal habe ich mich zwar gewundert, aber nichts weiter dabei gedacht. Beim zweiten Mal habe ich mir nach dem Wundern gedacht, Frühlingsanfang ist sowieso eine komische Zeit. Neulich stand zum Beispiel ein kahlköpfiger E-Gitarrist mit seinem Instrument an der Fußgängerampel, ich wartete auf Grün und er zupfte lautlos an seinem Instrument herum. Alles okay soweit. Aber beim dritten Mal habe ich echt angefangen nachzudenken.

Im Winter bekomme ich von einer Dame unbestimmten Alters zu hören, dass ich wie ein Dachdeckermeister aussehe. Dachdeckermeister! Ich?! Gut, das alles fand vor einer psychatrischen Tagesklinik statt, also habe ich nicht lange darüber nachdenken müssen. Aber dann neulich die junge Frau in der U-Bahn-Station. Ich sei ein Kontrolleur, sie würde mich kennen. Ich verneine, sie erzählt derweil in ihr Handy, sie hätte einen Kontrolleur auf dem Bahnsteig erkannt. Und dann, drittens, komme ich zu einer Eröffnungsfeier an der Brunnenstraße und eine dauergewellte Frau erklärt mir: Sie sind von der Polizei.

Was ist los? Warum erzählen mir die Leute, dass ich wie ein Dachdecker, Kontroletti oder Bulle aussehe? Warum sehe ich nicht aus wie ein Kiezschreiber?

Freitag, 16. April 2010

Frühling 2010


Ja, wie geht’s denn so? So lala halt. Aber was heißt das? Schließlich geht es dem ganzen Land so. So lala heißt zum Beispiel: nicht besoffen. Wenn man wenigstens besoffen wäre ... – alles würde gleich weniger mittelmäßig bis kritisch wirken. So lala heißt: ging einem schon besser, ging einem schon schlechter. Tja, die Lebenserfahrung. Ohne sie wäre alles immer neu und aufregend. Aber wenn man in die Jahre kommt, beginnt man zu vergleichen. Und dann ist fast alles so lala. Vielleicht wird alles anders, wenn wir Fußballweltmeister werden. Ganz anders. Richtig doll ganz anders. Bis es wieder so lala ist. Naja. So weit, so gähn. Weihnachten ist manchmal schön. Und was machen wir an Silvester? Bei Anja und Klaus gibt es Fondue. So endet das Jahr, so fängt das neue Jahr an. Kein Wunder, dass es so ist wie es ist. Man muss ja für lala dankbar sein. Immerhin ist man nicht krank. Manche Leute haben sogar Arbeit und verdienen Geld dabei. So geht’s auch. Wann ist eigentlich dieser Text zu Ende?

Briefkasten heute


Gehen Sie noch gerne an Ihren Briefkasten? Und wenn ja: warum? Ich gehe nicht mehr gerne dorthin. Der Grund: Früher war alles besser. Ja, ich weiß, Sie werden jetzt sagen, dass alle alten Menschen sagen, früher sei alles besser gewesen. Aber ich bin erst Dreiundvierzig und in diesem Falle stimmt es einfach. Früher habe ich im Briefkasten tatsächlich Briefe gefunden. Sie erinnern sich, diese länglichen viereckigen Dinger mit Inhalt - und ich rede jetzt nicht vom neuesten Plasma-Bildschirm. Es gab farbige Ansichtskarten mit einsilbigen Erzählungen, Aufrufe zum politischen Protest und gelegentlich habe ich sogar Schokolade von der Nachbar-WG entdeckt. Und heute? Nur noch Rechnungen und Reklame, alles Nette kommt per E-Mail. Im Briefkasten nur Mörgel und Schlunz, ich mag ihn gar nicht mehr aufmachen. Aber gelegentlich tut man es doch, so wie man einen Mülleimer leert oder seine Blase. Und was finde ich dieser Tage? Einen unauffälligen Umschlag, der einen merkwürdig antiquierten und seriösen Eindruck macht. Es schreibt mir die VG Wort, eine Organisation, die die Rechte der Autoren vertritt, ähnlich der GEMA für die Musiker. Man habe in meinem Namen über viele Jahre einen Prozess bis vors oberste Bundesgericht getrieben und schließlich gewonnen. Über meinen Anteil an der erstrittenen Summe habe man mir einen Scheck ausgestellt, der beiliege. Es sind fast tausend Euro, die ich auf diese Weise im Briefkasten finde. Seitdem schlendere ich jeden Morgen pfeifend, die Hände in den Hosentasche, die Treppen zu den Briefkästen hinunter. Welche Wunder erwarten mich heute?

Samstag, 10. April 2010

Ein Traum


In Russland stürzt ein Flugzeug ab, der polnische Präsident und andere hochrangige Politiker kommen ums Leben und in Deutschland kommt man ins Träumen: Was wäre, wenn alle unsere Besserwisser und Wichtigtuer in ein einziges Flugzeug steigen und, sagen wir mal, in den Wannsee stürzen und ertrinken? Dann bekämen wir vielleicht einen Bundespräsidenten, der nicht wie ein verirrter Sparkassendirektor durch die Republik geistert. Eine Bundeskanzlerin, die eigenständige politische Positionen verträte und erkennbare politische Ziele verfolgte. Einen Außenminister, der als oberster Diplomat dieses Land vertreten könnte – und keinen miesen kleinen Kläffer, der Sozialhilfeempfängern nicht die Wurst auf dem Brot gönnt und ihnen spätrömische Dekadenz unterstellt, der Kritik nicht pauschal als schwulenfeindlich und demokratiegefährdend denunziert und seinen Kumpels aus dem Darkroom sein Amt für Geschäftemacherei zur Verfügung stellt. Einen Verteidigungsminister statt einem Kriegsminister. Vielleicht wären sogar ein paar katholische Bischöfe an Bord. Ach, wäre das schön! Jürgen Möllemann ist vor einigen Jahren mit gutem Beispiel voran gegangen oder besser: gesprungen ...

Donnerstag, 8. April 2010

Frühlingserwachen


Ich träumte von einer hellen, schönen Villa in Italien und erwachte an einem Ort, den ich nicht kannte. Ich lag auf einer Matratze und blickte über einen schmutzigen, von allerlei Lumpen und Unrat übersäten Holzboden. Die Sonne schien durch zerbrochene Scheiben, hinter denen sich ein grün leuchtendes Dickicht in alle Richtungen zu erstrecken schien. Das Licht spielte in den leeren Weinflaschen, ich sah eine Weile zu. Dann erhob ich mich und drehte mich zum ersten Mal in diesem Raum um. Ein wurmstichiger Schrank, dem eine Tür fehlte. Vergilbte Zeitungsausschnitte an einer Wand, die ich nicht entziffern konnte, die Pressefotos schienen Boxer oder Politiker zu zeigen. Ein umgeworfener Stuhl. Ich ging in den nächsten Raum, auch hier alles zerstört und verwahrlost. Das Haus mußte schon seit langem verlassen sein, nichts erinnerte mehr an einen menschlichen Gebrauch, es war, als seien die menschengemachten Dinge ohne Seele, jetzt wo sie wieder ein Teil der Natur wurden. Im Haus selbst keine Geräusche, draußen lärmten unzählige Vögel. Ich ging weiter und kam in einen großen hohen Raum, offenbar die Eingangshalle. Die runde Treppe ins obere Stockwerk lag zerbrochen an der Seite, ich ging ins Freie. Im wuchernden Gras waren die Umrisse von Wegen kaum noch zu erkennen, hinter dichtem Gebüsch erhob sich ein hoher Laubwald. Wer hier wohl gewohnt haben mochte? Das Haus bot keine Hinweise. Ich ging ein wenig in der näheren Umgebung spazieren. Keine anderen Häuser, keine Straßen, nur Wälder und Wiesen, die vor geschäftigen Insekten zu vibrieren schienen. Sicher war hier schon lange niemand mehr gewesen. Ein von den Menschen vergessener Ort. Ich ging zurück und legte mich wieder hin. Was machte ich hier eigentlich?