Dienstag, 26. Mai 2009

Ego-Shooter

Entschlossen und vor Kraft strotzend trete ich aus der Wohnungstür. Eine Nachbarin will vorüber – Handkantenschlag, Nasenbeinbruch. Ein älterer Herr kommt die Treppe herauf: Karatesprung gegen seinen Brustkorb, dumpf poltert er hinunter, morsche Knochen knacken. Yee-Haw! Auf der Straße ein untersetzter Arsch mit Köter. Eins auf die Fresse, alle beide, erst der Typ, dann die Töle. Yee-Haw! Wo will ich eigentlich hin? Zum Briefkasten. Aha! Yee-Haw!!! Und wieder ziehe ich meine blutige Spur durch Berlin ...


Abends dann ins Bella Napoli, mit einem doppelten Rittberger durch die Tür. Yee-Haw! Dem verdutzten Kellner die Speisekarte entreißen, lässiger Ellbogenstoß in seinen Magen. Mit Handstandüberschlägen an einen freien Tisch. Die Blumen machen erst mal den Abflug. Einmal Spaghetti Bolognese und ein Pils! Was, das ist ein "Slow Food-Restaurant"? Yee-Haw! In der Küche hagelt es Kopfnüsse, Arschtritte kommen zur Verteilung. Ich klopfe den Unterkiefer des Chefkochs al dente. Das Essen ist endlich fertig, das Restaurant auch. Yee-Haw!


Im Kino: Ziehe den Kassierer mit zwei Fingern an seinen Nasenlöchern aus dem Schalterhäuschen. Wie, hier läuft "Taxi Driver" mit Robert de Niro nicht? Yee-Haw! Schließlich ist die richtige Filmspule gefunden, aber die Plätze in der Kinomitte sind besetzt. Eiserne Fäuste gegen Schläfen, der lange Lulatsch vor mir bekommt einen Springerstiefel ins Genick. Yee-Haw! Unglaublich: Da raschelt jemand mit seiner Chipstüte. Aber er kennt meine Ninja-Wurfsterne nicht. Yee-Haw!


(Mit nacktem Oberkörper geschrieben)

Ingelheim am Rhein

Ich bin nur tausend Meter entfernt von einem Asylantenheim aufgewachsen. Dieses Heim hat nie gebrannt. Weitere tausend Meter entfernt liegt die VOG, die zentrale Halle der hiesigen Wein- und Obstbauerngenossenschaft. Diese Halle wurde etwa alle fünf Jahre aus versicherungstechnischen Gründen abgefackelt. Das Feuer loderte zum Himmel, das ganze Örtchen lief zusammen und hatte seinen Spaß, denn das Flammenspektakel versprach einen regelmäßigen Bonus für die organisierten Bauern. Das einzige, was sich in den neunziger Jahren änderte, war der Gedanke beim Bekanntwerden des Brandes: 'Jetzt haben sie das Heim angezündet!' Ich bin immer froh gewesen, dass die ubiquitäre Gemeinheit in meiner Heimatstadt ein anderes Ventil gefunden hat.

Montag, 25. Mai 2009

Feedback zu "Ich träume deinen Tod"

In den letzten Wochen gab es zwei phänomenal sachkundige und daher natürlich zwangsläufig extrem sahnegeile Rezensionen zu meinem Buch:


http://www.berlinkriminell.de/1/buecher_286.htm



http://www.radioberlin.de/service/buchtipps/dokumente/ich_traeume_deinen.html


Neben Radio Berlin hat auch STAR FM den Roman vorgestellt. Danke!

Dienstag, 12. Mai 2009

Brunnenkiez-Krimi Nr. 5

"Hast du ma‘ Feuer?"
"Nee, hast du ma’n Euro?"
Der arabische Pubertäter stutzte einen Augenblick, dann ging er weiter. Mardo hörte noch, wie er "Wichser" murmelte. Das war keine Beleidigung im Kiez, das war der Alltag. Deswegen würde er sich nicht mit einem Araber anlegen. Wer sich mit einem Araber anlegt, legt sich mit einer arabischen Familie an. Und wer sich mit einer arabischen Familie anlegt, legt sich mit der ganzen arabischen Gemeinde an.
Mardo war auf dem Weg zum Gesundbrunnencenter, um Mary abzuholen. Auf dem Vorplatz wurde er von Zeitungsaboverkäufern angekobert und von Zeugen Jehovas angefrömmelt. Die linksalternative Tante von Greenpeace vertrat sicher sympathische Ziele, die Mardo theoretisch auch jederzeit unterstützte. Aber er ging dem protestantischen Ernst und der bleiernen Moral dieser Menschen instinktiv aus dem Weg. Es erinnerte ihn immer an Abendbrot in der Jugendherberge, an die Trostlosigkeit von lauwarmem Früchtetee an langen schmucklosen Tischen. Gerade die Umweltbewegung hatte ein ungutes Denkmuster entwickelt, das allen Beteiligten unaufhörlich eingebimst wurde: Du bist ein Umweltsünder, du musst gegen das eigene und fremde sündhafte Verhalten ankämpfen, du kannst nicht gewinnen, weil du in einer bösen Welt lebst, Erlösung gibt es – wenn überhaupt – erst dann, wenn du längst tot bist. Kommt einem irgendwie bekannt vor. Es soll Unternehmen in der Glaubensindustrie geben, die mit diesem Geschäftsmodell seit zweitausend Jahren sehr erfolgreich sind.
Mardo betrat die Shopping Mall mit einem unguten Gefühl. Freiwillig hätte er die glitzernde Höhle voller Tinnef und Talmi nie betreten, für seine Bedürfnisse genügte ein Supermarkt und ein Gemüsehändler. Aber inzwischen hatten diese geklonten Malls die Marktplätze ersetzt, hier waren tagsüber viele Jugendliche aus dem Brunnenviertel. Die riesigen Einkaufszentren, die es überall in der Stadt gab, waren zugleich Treffpunkt und Arena, Orte der Freundschaft und der Rivalität. Aber wie im Feudalismus bestimmte die Obrigkeit (neudeutsch: Management), zu welcher Zeit dieser Ort nutzbar war, und nicht die Bewohner des Viertels.
Als er den Spielzeugladen in der ersten Etage betrat, war Mary bereits in den geheimnisvollen Katakomben des Gebäudes verschwunden, die hinter den Geschäften eine Parallelwelt aus Sozial- und Lagerräumen bildeten. Nach einigen Minuten, in denen Mardo einem wie besessen lachenden Ernie bei seinen mechanischen Kunststücken zusah, kam Mary auf ihn zu. Ein Lächeln und ein Kuss entschädigten ihn für den kurzen Ausflug ins Fegefeuer des Konsumterrors.

Sebastian Freudenstrahl stand am Eingang des Humboldthains und betrachtete das Juweliergeschäft auf der Brunnenstraße. Wie gewöhnlich liefen die Menschen in Richtung Bahnhof und Gesundbrunnencenter. Gleich würde ein älterer Mann den Laden mit einer Sporttasche verlassen. Jeden Abend von Montag bis Freitag war es so. Der Mann würde die Straße überqueren, die Brunnenstraße hinuntergehen gehen und dann in die Gustav-Meyer-Allee einbiegen. In der Wiesenstraße würde sein Auto stehen, denn er parkte jeden Tag auf der anderen Seite des Parks, um auf dem Weg ins Geschäft noch ein wenig die Stille und die frische Luft genießen zu können. In der Sporttasche würden sich wie immer die Tageseinnahmen des Juweliers befinden, die er auf dem Weg nach Hause bei einer Bank abgeben würde. Freudenstrahl, im rumänischen Sibiu geboren und in Moabit aufgewachsen, war ein erfahrener Dieb. Er hatte die Sache seit Wochen genau ausbaldowert, nochmal würde er nicht ins Gefängnis müssen. Heute hatte er besonders viele Kunden im Juweliergeschäft verschwinden sehen, heute musste er zuschlagen. Als er dem Mann mit der Sportasche folgte, gingen im tausend Gedanken durch den Kopf. Es muss alles ganz schnell gehen, dachte er. Schau dich unauffällig um. Ist jemand auf der Straße? Gewöhnlich war es in dieser Seitenstraße ruhig, nur der Eingang zum Parkplatz der Deutschen Welle war eine potentielle Gefahrenquelle. Vielleicht soll ich warten, bis er in die Wiesenstraße einbiegt? Nein, zu gefährlich. Es könnte ihm jemand entgegenkommen oder von der Hussitenstraße aus zusehen. Er würde die letzten Schritte näherkommen und den Mann niederschlagen. Seine Hand umklammerte ein Stück Kupferrohr in der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke. Er würde zuschlagen und mit der Tasche blitzschnell im Gebüsch verschwinden. Dann würde er durch den Park zum Bahnhof gehen und verschwinden. Alles war ganz genau geplant.

Der Regionalexpress nach Stralsund verließ den Bahnhof Gesundbrunnen pünktlich um 18:39 Uhr. Dieser Bahnhof war der zentrale Verkehrsknoten im Norden Berlins, den täglich hunderttausende Menschen passierten. Von hier kamen immer wieder Verbrecher ins Viertel. Und mit ihnen kommt auch meine Arbeit, dachte Mardo. An diesem Tag ging es jedoch nach Binz auf der Insel Rügen. Ein paar Tage am Strand würden ihnen gut tun, den klapprigen Toyota hatten sie zu Hause gelassen. Mary und Mardo hatten es sich gerade auf ihren Sitzen bequem gemacht, als sich ein junger Mann mit einer schwarzen Lederjacke und einer Sporttasche zu ihnen setzte. Wie immer war es Mardo unangenehm, wenn sich ein Fremder in seine Nähe setzte. In Zügen ging ihm das immer so. Eigentlich komisch, aber es gibt viele solche Merkwürdigkeiten im menschlichen Verhalten. Warum mögen wir es nicht, wenn uns jemand beim Essen zuschaut, der selbst gerade nicht isst? Warum fühlt man sich krank, nachdem man eine Sendung zum Thema Gesundheit gesehen hat? Warum tasten wir mit unserer Zunge die Zähne ab, wenn jemand von einem Zahnarztbesuch erzählt? Warum gilt jemand als fleißig, nur weil er früh aufsteht? Mit solchen Fragen konnte man sich gut befassen, während die Häuser des Wedding vorbeiglitten. Zweimal umsteigen und gegen elf Uhr wären sie im Hotel.

Der Plan hatte funktioniert. Sebastian Freudenstrahl saß im Zug und hatte die Sporttasche in seiner Hand. Er hätte sie gerne geöffnet, aber das war leider unmöglich. Neben ihm saß ein harmloses Pärchen, das offenbar an die Ostsee fahren wollte. Als er im Bahnhof seine Fahrkarte am Schalter gekauft hatte, konnte er die Bahnangestellte geschickt in ein kleines Gespräch verwickeln. Sie würde sich an ihn erinnern, wenn die Polizei nach dem Täter suchte. Und bei schwerem Raubüberfall gäbe es ganz sicher eine Fahndung. Er hatte ihr erzählt, er hätte in der Nähe von Stralsund ein Haus geerbt. Natürlich würde er den Zug irgendwo vorher verlassen, vielleicht in Angermünde oder Pasewalk. Im Park hatte ein Rentnerpärchen gesehen, wie er mit der Tasche durch das Gebüsch auf den Weg gestolpert war. Das musste nichts bedeuten, aber es war besser, seine Spur zu verwischen und eine Weile aus der Gegend zu verschwinden. Und dazu gehörte, eine falsche Spur zu legen. Auch den Brötchenverläufer auf dem Bahnsteig hatte er seine Geschichte vorgespielt, um Zeugen für seine Fahrt an die Ostsee zu haben. Zunächst gab er vor, nur mit einem Fünfzig-Euro-Schein bezahlen zu können, dann fand er – scheinbar zufällig – doch noch das nötige Kleingeld. Er sei wegen der Erbschaft ja so aufgeregt, berichtete er dem gelangweilten Pakistani.
Der Zug hatte die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen, Freudenstrahl hatte mühsam das Käsebrötchen hinuntergewürgt, obwohl er keinen Hunger verspürt hatte. Da blickte er zur Gepäckablage hinauf und sah eine weitere Sporttasche. Sie war ebenfalls dunkelblau und hatte drei weiße Streifen. Da kam ihm eine Idee. Er könnte seinen Auftritt perfekt machen, in dem er eine weitere Szene im Zug spielte. Das Pärchen würde sich daran erinnern, wie er an einem bestimmten Bahnhof den Zug verließ. In Wirklichkeit würde er durch eine andere Tür wieder einsteigen und noch einige Stationen mitfahren. Er unterdrückte ein Grinsen, als er seine Tasche, die bisher zwischen seinen Füßen gestanden hatte, aufhob und auf die Gepäckablage stellte. Die beiden Mitreisenden hatten nichts bemerkt, einträchtig blickten sie schweigend zum Fenster hinaus.

Als der Zug nach Bernau einrollte, stand Freudenstrahl auf, räusperte sich geräuschvoll und machte sich umständlich am Gepäck über ihm zu schaffen. Der fremde Mann blickte ihn mißtrauisch an. Freudenstrahl nahm die falsche Sporttasche und wollte gehen, als der Mann, wie von ihm erwartet, hinter ihm herrief: "Das ist meine Tasche."
"Aber nein, sie müssen sich irren. Das ist meine."
"Nein", erwiderte Mardo, "ich erkenne sie an der abgewetzten Ecke."
Zufällig kam nun auch der Schaffner des Wegs. Freudenstrahl war zufrieden, das wäre das I-Tüpfelchen auf seiner Show. "Das ist völlig unmöglich", fuhr er fort, "ich bin mir ganz sicher."
Erwartungsgemäß mischte sich der Schaffner in das Gespräch ein: "Kann ich helfen?"
"Ja", sagte Mardo, "dieser Mann hat meine Reisetasche mit seiner verwechselt." Mardo hatte Freudenstrahls Tasche von der Ablage heruntergenommen und zeigte sie dem Schaffner.
"Das können wir doch sofort klären", sagte der Schaffner zu Mardo. "Öffnen Sie doch bitte mal ihre Tasche, falls es Ihnen nichts ausmacht."
"Ganz im Gegenteil", sagte Mardo und öffnete den Reissverschluss der Sporttasche, bevor ihm der blass gewordene Mann in der Lederjacke zuvorkommen konnte. Was sie sahen, machte sie für einen Augenblick sprachlos. Neben einem Bündel Geld waren ein großer Haufen Schmuck und Edelsteine zu sehen, dazu ein Hammer, an dem noch Blut und Haare klebten. Freudenstrahl konnte es immer noch nicht fassen, selbst als die Polizei ihn schon abgeführt hatte. Er hatte einen Verbrecher überfallen.

Dienstag, 5. Mai 2009

Textgerümpel


Kann sich ein Hypnotiseur eigentlich selbst in Trance versetzen, wenn er lange genug in den Spiegel schaut?

Der letzte Schrei in Berlin: Montagmorgenparties bzw. No-Work-Parties. So neu, dass noch nicht einmal die Feuilletons davon erfahren haben. Und so geht es: Scheißwetter, sieben Uhr morgens, Kiosk, Jägermeister und Zigarette (sog. "Hartz IV-Gedeck"). Tipp: Am besten alleine feiern.

Manchmal gehe ich aus dem Haus und es fängt an zu regnen. Gut. Aber wenn es genau dann wieder aufhört, wenn ich ein anderes Haus betrete, dann ist es ein Teufelsbeweis.

Mein Zettelkasten mit alten Pointen aus Wehrmachtsbeständen hat mich schon bei manchem Text gerettet.

Die X-Straße in Y ist die sicherste Straße überhaupt. Sie wird nämlich von dutzenden Scharfschützen ins Visier genommen, die auf alles schießen, was sich bewegt. Jeder weiß, dass diese Straße bewacht wird, darum benutzt sie auch niemand. Wenn aber trotzdem ein altes Mütterchen gemächlich den Bürgersteig entlang geht, wird nicht geschossen, den alle Scharfschützen halten sie für eine Selbstmörderin, die auf diese Weise ums Leben zu kommen sucht. Und nach ihren perfiden Anti-Moral töten sie niemanden, der sterben will. Daher sind alle Leute, die auf der X-Straße gehen – und es sind nur sehr wenige, das kann ich Ihnen versichern – völlig ungefährdet. Nur rennen sollte man nicht, hier wirkt ein lässiges Schlendern geradezu lebenserhaltend.

Am Hauptbahnhof bin ich neulich erschrocken. "Bombardier – Willkommen in Berlin" steht da in großen Lettern. Und ich lese: Bombardierung. Das hat ja Tradition in der Hauptstadt ... ein angefügtes T und ein paar Streichungen wären auch nicht schlecht: "Bombardiert Berlin".

Ich habe noch nie verstanden, wie man den Tag mit Zeitungslektüre beginnen kann. Mit dem raschelnden, umständlich gefalteten Papier am Frühstückstisch hantieren, das wäre nichts für mich. Ich habe noch nicht mal einen Frühstückstisch, meistens frühstücke ich ohnehin nicht. Der Kopf ist doch am frühen Morgen am empfindlichsten und empfänglichsten. Und da haut man ihn gleich mit Mord und Totschlag, Krieg, Korruption und Elend voll. Kein Wunder, dass die Leute dann übel gelaunt zur Arbeit gehen. ‚Die Welt geht sowieso unter, aber meinem Chef geb‘ ich’s heute nochmal richtig‘, denken sie und wenn sie an ihrem Arbeitsplatz angekommen sind, ist alles Selbstvertrauen weggebrummelt und sie lassen ihren Frust doch nur wieder an Kunden und Kollegen aus.

Abenddämmerung. Mit nervösem Zittern legen die Alkoholiker ihre Schnapsflaschen auf das Band an der Supermarktkasse.

Früher gab es schwarze Schafe in den Chefetagen, heute hat man das Gefühl, schwarz sei die Grundfarbe der Herde.

Endpunkt der Faulheit: Du träumst, dass du schläfst.

14. Februar. Ich habe eine einzige Valtentins-Mail bekommen. Von einer Brauerei. Manchmal denke ich, mein ganzes Leben sei ein Slapstick-Film. Und wenn das wahr ist, würde ich gerne mal mit dem Regisseur sprechen.

Die meisten Menschen kann man kaufen und verkaufen wie die Haustiere in einer Zoohandlung.

Wenn das Leben die Hölle ist, braucht man eben einen feuerfesten Anzug.

Alles ist beständig im Fluß, weswegen wir uns auch gegenseitig fragen: Wie geht es? Und nicht: Wie ist es?

Kleine Kinder sind die wahren Götter, die Unsterblichen. Erst die Nachricht von ihrer Sterblichkeit schleudert sie vom Himmel auf die Erde hinab.

Warum sind Literaturwissenschaftler keine guten Schriftsteller? Weil jemand, der aus einem Schwein Wurst machen kann, nicht unbedingt auch aus einer Wurst Schwein machen kann.

Es klingelt an der Haustür. Ich reagiere nicht.
Da ruft es von draußen: "Ich weiß, dass Sie da sind."
Ich rufe schlagfertig zurück: "Und ich weiß, dass ich nicht da bin."

Die schweigende Mehrheit? Das sind doch die Toten, oder?

"Uns, dem Reichsfreiherren vom güldenen Pokal, dem Buddha der inneren Glückseligkeit, auch Wambo der Prächtige und Commodore Hüftgold genannt, geruhet es zu bemerken, dass uns in letzter Zeit zu wenig gehuldigt wird, dahero hiermit jedermanniglich in Kenntnis gesetzet sei, uns fürderhin Trankopfer darzubringen ..."
Beginn eines Apostelbriefs in mein Missionsgebiet

Eine riesige Wurst liegt auf einer Wiese, ich trete näher. Durch die Pelle sehe ich einzelne Gesichter.


Titel der geplanten Autobiographie: "Schallplatte, Festplatte, Grabplatte"


Es gibt so viele schöne deutsche Wörter, die es hinausgezogen hat in die Welt wie Eisberg, Blitzkrieg oder Weltschmerz. Aber was ist mit dem wundervollen Begriff "Leistungsbeweis"? Über diesen Klangkörper von geradezu wilhelminischer Wucht, gefunden in der Beschreibung einer Modenschau der "Werbegemeinschaft Kamp-Lintfort", sollten wir alle jeden Abend vor dem Einschlafen meditieren. Leistungsbeweis.

Unsichtbar wie der Milbenkot, den wir täglich einatmen, entfaltete der gelbe Likör seine segensreiche Wirkung.

Diese alleinstehenden Greisinnen, die jeden zwanghaft zutexten müssen, der ihnen im Supermarkt unfreiwillig näher kommen muss: An der Aldi-Kasse erfahre ich also heute, durch hartnäckiges Schweigen bereits das Schlimmste verhindernd, dass ich ja – trotz der Verzögerung, die jene schlohweisse Schildkröte schadenfroh verursacht – einen "friedlichen Eindruck" auf sie mache und man dies schon "an meinen Augen" sehe. Danke! Wo ist meine Uzi?

Wir berichten weiter aus Kamp-Lintfort: "Und dann der Kampf um die gemeinsame Weihnachtsbeleuchtung in der Fußgängerzone. Davon machen sich doch die jungen Leute heutzutage gar keine Vorstellung mehr. Ich scheue mich nicht, in diesem Zusammenhang den Begriff ‚Kulturkampf‘ zu verwenden. Während anderswo noch um Atomkraftwerke, Gleichberechtigung usw. gestritten wurde, haben wir den Dialog mit der Stadtverwaltung und den Geschäftsinhabern aufgenommen. Das war revolutionär im Jahre 1976, das kann ich Ihnen sagen!"

Wenn es Intimschmuck gibt, gibt es dann auch Intimjuweliere?

Früher habe ich beim Fernsehen gearbeitet. Von mir sind die Dialoge der Teletubbies.

Wenn man unsichtbare Dinge sehen könnte, zum Beispiel bei einer Theaterpremiere mit lauter Wichtigtuern, und die Profilneurosen leuchteten blau, die Psychosen grün, Eitelkeit wäre rot und Zorn gelb, so dass die Menschen verschieden leuchteten ... Der Saal wäre wunderbar illuminiert, tausend Lichtlein prangten und funkelten.

"Von Matthias gibt es wenig sichere Nachrichten", heißt es bei "www.heiligenlexikon.de". Offenbar kam er durch pures Losglück in die Stammelf des Frühchristentums und wurde erwartungsgemäß beim Bekehren zur Nächstenliebe totgeschlagen. Gilt u.a. als Patron der Metzger und Zuckerbäcker.

Die schweren Schulranzen sollen die Kinder auf die Zukunft vorbereiten. Je früher sie den krummen Dienstbotengang lernen, desto besser. Was wäre das auch für eine Welt, in der kleine Kinder fröhlich herum springen können, nachdem sie stundenlang stillgesessen haben? Und wieder wächst eine Generation Deutscher heran ...

"Guten Morgen, meine Damen und Herren! Und wieder liegt ein neuer Tag vor dem berühmten Schriftsteller A aus B. Was wird er heute schreiben? Wir wissen es nicht. Da! Er greift zur Wasserflasche und trinkt, bleibt aber zunächst im Bett liegen. A streckt sich und gähnt herzhaft. Wir melden uns wieder, wenn es von hier etwas Neues zu berichten gibt. Zurück an die angeschlossenen Funkhäuser."

Manchmal juckt mein Ausschlag, denkt die Erde.

Hätten Sie’s gewusst? Am 5. Mai 1809 wird in Knittelfeld den Akkusativ entdeckt.

"Wie ist Ihre Strategie vor Gericht?"
"Ich werde solange die Luft anhalten, bis ich blau anlaufe. Dann werden die schon sehen, was sie davon haben."

Es muss nicht immer positiv sein, ein Ziel zu haben. Auch Bomber haben Ziele.

Warum haben eigentlich alle Bilder und Gemälde vier Ecken?

Montag, 4. Mai 2009

Die Flucht


Ich mußte verschwinden, soviel war klar. Und so verließ ich den Norden und ging nach Süden.

Im ICE fiel ich niemandem auf. Die Menschen lasen Zeitung, aßen mitgebrachte Brote oder schliefen. Die Welt war in diesem Zug so beruhigend normal. Kinder lachten, Greise dösten am Fenster. Bald erreichten wir Grams, aber Grams war nicht weit genug. Ich fuhr weiter bis Kargstadt. War das weit genug? Die Bahnhöfe sehen alle gleich aus. Im Nebel erkannte ich den langgestreckten Bahnhofsbau. Vielleicht sollte ich in eine größere Stadt fahren. Allerdings würde man mich in größeren Städten sicher eher vermuten als in einer kleinen Stadt in der Provinz. Der Zug fuhr an und bald darauf hielt er in Böswillingen. Ich beschloß, wenigstens den Zug zu wechseln, um meine Spur zu verwischen.

Ein alter schmutziger Regionalzug bremste mit ohrenzerfetzendem Qietschen. Ich stieg ein, ohne auch nur die Himmelsrichtung seiner Fahrt zu kennen. Wenige Menschen mit Plastiktüten, resigniertes Schweigen. Braun und grau schwebte die Landschaft vorüber. Vorbei an verwitterten Strommasten, kleinen fensterlosen Backsteinhäuschen, schwarzbraunem Gestrüpp, aufgegebenen Gleisanlagen, bleigrauen Tümpeln. Dann ein Wald, schwarzes laubloses Geäst, der Boden zäher brauner Schleim, Andeutung von Wegen, die sich im Gewirr der verzweigten Linien verlieren. Am Horizont Wipfel und Himmel übergangslos im sonnenlosen Dunst. Das Bild brach auf, etwas brach hervor, ein Handrücken, schwarz behaart. Vorbei an grauen Holzschuppen, leeren Häusern mit hohlen Augen, aufgestapelten Kisten, fein geäderten Büschen, braungelben Feldern, dunklen Bäumen.

Viele Dörfer, schließlich eine Stadt. Ich stieg aus; es war mehr der Hunger, der mich hinaus trieb. Gegenüber dem Bahnhof fand ich eine kleine Gaststätte, in der mich Personal und Gäste mißtrauisch betrachteten. Ein einzelner Fremder bedeutete nie etwas Gutes. Gebratene Würste und Kartoffeln, das Bier fast geschmacklos. Als ich die Rechnung bezahlte, fragte ich nach einem Gästezimmer. Ich wurde an eine Pension auf dem Marktplatz verwiesen. Der Weg dorthin war auf gemeine Weise banal, die Fassaden waren so langweilig, daß ich mich zu fürchten begann. Wer dieses Leben aushielt, mußte zu allem fähig sein.

Wenig später lag ich auf einem Bett, dessen Matratze sich wie eine Hängematte bog. Ein Blick durch das Fenster, nichts zu sehen. Ich fing an nachzudenken. Vielleicht bin ich gar nicht auf der Flucht. Vielleicht bin ich nur einem Ruf gefolgt. Wer mich gerufen hat, weiß ich nicht. Wer mich jagt, weiß ich nicht. Keine Gesichter, keine Namen. Es hatte keinen Sinn, diese Gedanken weiter zu verfolgen. Ich mußte mir etwas zu trinken besorgen. Also verließ ich das Zimmer wieder und suchte einen Supermarkt. Ich fand ihn und fand Wein. Der Pensionswirt verbarg seine Abscheu nicht, als ich mit einer Tüte zurück kehrte, aus der das leise Klirren der Flaschen drang. Seinen Blick ertrug ich leicht, die unsichtbaren Blicke nicht. Wo suchten sie mich? Stunden später war es mir egal. In diesem Augenblick wäre es mir auch egal gewesen, wenn sie mich gefunden hätten.

Am nächsten Morgen verließ ich die Stadt wieder. Ich folgte auf meinen Weg den Gleisen. Hier fühlte ich mich sicher, obwohl es keinen Grund dafür gab. Ich bin heimatlos, mit leichtem Gepäck. Soll ich zurück kehren? Soll ich mich wehren? Soll ich angreifen? Weiß ich, wen ich angreifen soll? Weiß ich, wo ich angreifen soll? Weiß ich überhaupt, wohin ich zurück kehren soll?

Freitag, 1. Mai 2009

Pausengespräch


Ein Hammer sagt zu sich:
"Und was bin ich für mich?
Für Andere ein Werkzeug nur,
Vom wahren Leben keine Spur."

Der Nagel mußte lachen:
"Ja, was soll ich denn machen?
Bis an mein bitt’res Ende
Starr‘ ich auf diese Wände."